taz-Thema: Wie sicher ist Berlin?: "Videoüberwachung ist trügerisch "
Wie kann der öffentliche Raum sicherer gemacht werden? Ein Gespräch mit TU-Forscher Jan Abt.
taz: Herr Abt, ist es in der Großstadt nicht irrational, den Anspruch zu haben, sich jederzeit und überall sicher zu fühlen?
Jan Abt: Das ist nicht irrational, sondern ein normales menschliches Bedürfnis. Und zwar in jeder Stadt, nicht nur in Berlin. Andererseits richten wir Menschen uns auch in der Welt ein, die uns umgibt: Man gewöhnt sich daran, dass es unsichere Orte gibt. Wenn aber aufsehenerregende Gewalttaten geschehen, beginnt man, sich Fragen zu stellen, die man sich sonst nicht stellen würde.
Dann werden Forderungen nach mehr Polizei und Videoüberwachung laut?
Ja, reflexartig. Wobei beides aber meist nicht zu Ende gedacht wird. Nach Videoüberwachung wird schnell gerufen, weil die Annahme besteht, das sei schnell gemacht und verursache wenig Kosten. Man braucht aber auch Leute, die sich die Videos anschauen und eingreifen, wenn etwas passiert.
Bringt Videoüberwachung tatsächlich mehr Sicherheit?
Zur Prävention von Affekttaten wie spontanen Prügeleien nützt sie nicht. Videoüberwachung kann dort aber die Aufklärungsquote erhöhen. Bei geplanten Taten führt sie eher zur Verdrängung: Die Täter warten eben an einem anderen, nicht überwachten Ort auf ihr Opfer. Auch die Erwartung, dass bei Videoüberwachung schneller Hilfe da ist, ist falsch: Es dauert häufig zu lange, bis jemand kommt. Videoüberwachung kann trügerisch sein und auch dazu führen, dass eigene Sicherheitsvorkehrungen unterlassen werden oder die Hilfsbereitschaft Anwesender sinkt.
37, ist Diplomingenieur und forscht im Projekt "Dynamische
Arrangements
städtischer Sicherheitskultur" an der TU Berlin.
Und mehr Polizei?
Auch das erhöht nicht unbedingt das Sicherheitsgefühl. Viele Menschen werden durch mehr Polizeipräsenz eher verunsichert, weil sie sie für ein Indiz von Gefahr halten. Die Annahme ist: Wo viel Polizei ist, muss auch viel passieren. Wirkungsvoll ist dagegen, wenn ich darauf vertrauen kann, dass ich im Problemfall von Anwesenden unterstützt werde – und die nicht wegschauen.
Wie sicher kann man eine Großstadt wie Berlin machen?
Dieses Interview ist Teil des Themenschwerpunkts in der aktuellen zwölfseitigen taz.berlin-Wochenendausgabe, die am Samstag erscheint. Dort zusätzlich: eine Reportage über die Entwicklung der Gewalt-Kriminalität in Berlin und zahlreiche persönliche Reflektionen über Angst.
Zudem am Samstag in der Wochenendausgabe:
- eine Reportage aus dem Pelzgeschäft im Wedding
- ein Interview mit der Theatersouffleuse Tina Pfurr
- ein vierteiliger Wochenrückblick
Im Briefkasten oder am Kiosk.
Da müssten Sie erst die Frage beantworten: Was verstehen wir unter Sicherheit? In Berlin gibt es lokal sehr verschiedene Lebensstile. Was in Wilmersdorf als unsicher gilt, ist in Friedrichshain vielleicht kein Thema. Fragen Sie Ordnungsamtsleiter, bekommen Sie in jedem Bezirk eine andere Antwort auf die Frage, was als Problem angesehen wird. Zudem müssen wir diese Frage auch in Zusammenhang damit diskutieren, wie urban wir leben wollen. Eine Großstadt kann kein gut ausgeleuchtetes Fußballfeld sein. Zur Stadt gehören das Fremde, die Vielfalt, überraschende Situationen. Wir müssen immer neu diskutieren, wie viel davon wir akzeptieren wollen. Dazu gehört eine Diskussion über Werte, die schon in der Schule beginnen sollte.
Wie soll Ihr Projekt Sicherheitsempfinden stärken?
Wir wollen die Akteure, die mit dem Thema im öffentlichen Raum befasst sind, zusammenbringen. Unsicherheit entsteht, wenn die konträr handeln: Wenn etwa das Stadtplanungsamt einen schönen neuen Platz baut und sich das Ordnungsamt hinterher beschwert, dass dabei Ecken entstanden sind, die zu Schmuddelecken werden. Oder wenn Maßnahmen, die an einem Ort zur Beruhigung führen, Probleme nur an einen anderen Ort verlagern. Um das zu vermeiden, braucht es ein Zusammenspiel aller Akteure.
INTERVIEW:
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