taz-Serie Stadtwerk (2/3): Alle Macht den Räten
Der Energietisch fordert ein Stadtwerk, das ökologisch, demokratisch und sozial ist. Die taz beleuchtet dies in einer dreiteiligen Serie. Teil 2: Das Räte-Stadtwerk.
Für den Politikwissenschaftler Carsten Herzberg ist es eine wahre Wonne, dass die Debatte über die Zukunft der Energieversorgung in Berlin gerade heißläuft. Denn Herzberg leitet an der Universität Potsdam das Forschungsprojekt „Demokratische Kontrolle öffentlicher Unternehmen“. Er untersucht, auf welchen unterschiedlichen Wegen Bürger weltweit Einfluss auf Unternehmen im Besitz ihrer Kommune nehmen können. Hierfür serviert ihm der Energietisch das wohl interessanteste Fallbeispiel überhaupt – bislang zumindest in der Theorie.
Direkte Vertreter
Denn gewinnt das Bündnis seinen Volksentscheid, dann würde Folgendes geschehen: Berlin müsste ein Stadtwerk gründen, in dessen Aufsichtsgremium sechs direkt gewählte VertreterInnen der Energieverbraucher sitzen. Zusammen mit sieben ArbeitnehmervertreterInnen und den für Wirtschaft und Umwelt zuständigen Senatoren würden sie den sogenannten Verwaltungsrat bilden und die Geschäftsführung des Stadtwerks überwachen.
Das wäre eine Revolution. In Berlins öffentlichen Unternehmen wie Stadtreinigungs- oder Verkehrsbetrieben (BVG) sitzen für das Land als Eigentümer bisher nur Vertreter des Senats, manchmal des Abgeordnetenhauses, oft auch auswärtige Experten wie der Mobilitätsbeauftragte des Hessischen Verkehrsministeriums bei der BVG. Besonders Externe wie er sollen eine unabhängige Kontrolle der Geschäfte gewährleisten.
Das können die Kunden selbst am allerbesten, findet der Energietisch – also sollen sie auch selbst Verwaltungsräte aus ihrer Mitte wählen. Damit habe die Initiative eines verstanden, sagt der Potsdamer Wissenschaftler Herzberg: „Öffentlicher Besitz allein reicht nicht mehr aus.“ Viele Bürger würden nicht nur die Rekommunalisierung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge fordern, sondern auch ihre direkte Beteiligung: „Sie wollen sich nicht mehr auf die Rolle des Kunden beschränken lassen.“
Dafür hat der Energietisch nicht nur die Direktwahl von Verwaltungsräten, sondern eine ganze Palette von Instrumentarien in seinen Entwurf gepackt. Eines davon: Wenn 3.000 Bürger einen Vorschlag zur Geschäftspolitik an den Verwaltungsrat richten, dann muss dieser sich damit beschäftigen. Sollten etwa Bürger am Stadtrand nicht wollen, dass die Stadtwerke ein Windrad in ihrer Nachbarschaft bauen, können sie dieses Thema auf die Agenda setzen – ohne Garantie auf einen Bauverzicht.
Ein weiteres Instrument: 5.000 Unterschriften braucht es, um die Stadtwerke zu einer allgemeinen Kundenbefragung zu verpflichten. Außerdem müsste das Unternehmen mindestens je eine Versammlungen pro Jahr auf Landes- und Bezirksebene einberufen, um dort seine aktuelle Geschäftspolitik zu erörtern.
Es ist aber vor allem die Direktwahl der Verwaltungsräte, die in der rot-schwarzen Koalition auf Kritik stößt. Der SPD-Umweltpolitiker Daniel Buchholz sagt etwa: „Ich habe erhebliche Bedenken bezüglich Legitimation, Kompetenz und Haftungsfragen.“ Schließlich seien Senatsmitglieder und Abgeordnete gewählte Vertreter und die durch sie ausgeübte Aufsicht über Landesunternehmen damit sehr wohl demokratisch legitimiert. Ob allein die vom Energietisch vorgesehenen Fortbildungen in Betriebswirtschaft und Recht ausreichen, um gewählte Verwaltungsräte ausreichend zu qualifizieren, sei fraglich. „Zudem weiß ich nicht, ob dem Energietisch wirklich bewusst ist, dass diese Bürgerräte durchaus für ihr Handeln in Haftung genommen werden könnten“, sagt Buchholz. SPD- und CDU-Fraktion 8080/starweb/adis/citat/VT/17/DruckSachen/d17-0704.pdf:schlagen stattdessen eine Ombudsstelle vor, die Streitfälle schlichten soll, und einen Beirat als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Bevölkerung.
Davon hält Wissenschaftler Herzberg nicht viel: „So würden die Bürger wieder auf einen Nebenschauplatz gestellt.“ Ob das Modell mit direkt gewählten Verwaltungsräten funktioniert, könne allerdings erst die Praxis zeigen. Geringes Interesse und niedrige Wahlbeteiligungen, wie es viele befürchten, erwartet Herzberg nicht – der lokale Bezug sei ein starker Faktor für Beteiligung. „Wenn die Menschen per Post eine Wahlankündigung erhalten und verstehen, dass es um eine wichtige Sache geht, kann ich mir eine hohe Beteiligung vorstellen.“
Zur Wahl stellen würden sich dabei kaum Laien, sondern eher Fachleute aus Umweltverbänden oder Parteien. Ohnehin müssten Kandidierende nach dem Modell des Energietischs erst einmal 500 Unterstützerunterschriften vorweisen.
In Paris gibt es eine Art Mittelweg zwischen den Vorstellungen von Energietisch und Koalition in Berlin. Seit der Rekommunalisierung der Pariser Wasserbetriebe 2009 sitzen nicht nur Politiker und Arbeitnehmer in deren Aufsichtsgremium (PDF: Präsentation der zuständigen Pariser Vize-Bürgermeisterin). Fest reserviert sind außerdem Posten für Vertreter von Verbraucherschutz- und Umweltverbänden, einen Wissenschaftler und einen Experten für lokale Partizipation. Ganz ohne Direktwahl.
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