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Archiv-Artikel

„So etwas darf es nicht mehr geben“

Hier geborene Menschen wie Kurnaz sollten deutsche Staatsbürger sein, sagt der FDP-Politiker Max Stadler

taz: Herr Stadler, gerade beginnt der Disput darüber, ob Murat Kurnaz die deutsche Staatsbürgerschaft verdient hat. Sollte er den deutschen Pass bekommen?

Max Stadler: Er hätte ihn gebraucht, als er jahrelang in Guantánamo einsaß. Wenn jemand die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, dann hat er einen Anspruch darauf, dass ihn der Staat schützt.

Also soll er den Pass kriegen?

Wissen Sie, ich möchte da derzeit keine Empfehlung an die zuständigen Behörden abgeben – gerade weil ich in den Ausschüssen sitze und da in einer anderen Rolle bin. Ich finde, dass die Urteilsfindung ganz einfach ist: Es gibt ein Prozedere für die Einbürgerung. Das sollen die Bremer Behörden nach Recht und Gesetz entscheiden. Und sie sollen das diesmal ohne Einmischung tun. Die brauchen nicht wieder Ratschläge aus Berlin – die sie ja beim letzten Mal in negativer Weise bekommen haben.

Was meinen Sie damit?

Das Bundesinnenministerium riet den Bremern Behörden, die Aufenthaltserlaubnis für Kurnaz zu beenden. Später wollte man die entsprechende Seite in seinem türkischen Pass ja sogar physisch beseitigen.

Welche Lehre für das deutsche Staatsbürgerrecht kann man aus dem Fall Murat Kurnaz ziehen?

Ich persönlich ziehe daraus den Schluss, dass wir bei der Regelung des Staatsangehörigkeitsrechts vor einigen Jahren eindeutig zu kurz gegriffen haben.

Was heißt das?

Es kann nicht sein, dass jemand, der hier geboren wurde und Zeit seines Lebens hier war, sich nicht auf die Hilfe des deutschen Staats verlassen kann. Murat Kurnaz ist ein Inländer ohne deutschen Pass. Wir sollten dafür sorgen, dass es so etwas künftig nicht mehr gibt.

Warum hat die FDP nicht früher darauf gedrungen, etwa die doppelte Staatsbürgerschaft zu vereinfachen?

Es gab damals Argumente aus der Bevölkerung, die hießen: Es wäre ungerecht, wenn die zwei Pässe haben und wir nur einen. Wir haben das damals aufgegriffen, weil wir dachten, die Leute sind noch nicht so weit, die doppelte Staatsbürgerschaft zu akzeptieren. Jetzt sehen wir, es hätte Kurnaz geholfen und es hätte der Sicherheit des Landes nicht geschadet, wenn dieser junge Mann den Pass seines Geburtslandes gehabt hätte.

Aber hatte sich Kurnaz nicht verdächtig gemacht?

Ja, es gab Verdachtsmomente – aber die haben sich eben nicht bestätigt. Die Amerikaner würden niemals jemanden freilassen, wenn er gefährlich wäre. Bei einer gründlichen Abwägung muss man sagen: Es gab jedenfalls keinen Grund für die deutschen Behörden, alles zu tun, um seine Einreise vier Jahre lang zu verhindern. Das konnten die beteiligten Dienste nur, weil Kurnaz keinen deutschen Pass hatte. Die haben immer nur gedacht: „Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit“ – und vergessen, dass sie auch eine Fürsorgepflicht für den De-facto-Bürger Kurnaz haben. INTERVIEW: GEORG FAHRION,ELISE LANDSCHEK