: Festnetz sucht nach festem Nest
Ein kranker tschetschenischer Flüchtling braucht dringend ein Telefon, um im Notfall einen Arzt zu rufen. Doch die Telekom will ihm keinen Anschluss legen. Denn für seine Asylbewerber-Wohnung gibt es keinen Mietvertrag
Er muss telefonieren. Mit Ärzten, regelmäßig. Denn Alasch Osmajew hat einen künstlichen Darmausgang, er hat Schmerzen und kann nicht lange sitzen, laufen oder stehen. Folgen des Kriegs in Tschetschenien. Ein Festnetztelefon wäre die Verbindung zwischen seiner Wohnung in Wilmersdorf und den Ärzten. Die Deutsche Telekom aber gibt ihm keinen Anschluss. Denn Osmajew wohnt in einem Haus für Asylbewerber.
Osmajew ist schlaksig, trägtDreitagebart und einen roten Pullover. Der 44-jährige Sportlehrer bewegt sich langsam wie ein alter Mann. Wenn er seine Geschichte erzählt, spricht er ruhig und leise. In Tschetschenien kämpfte er gegen russische Soldaten und musste sich vor ihnen verstecken. Bei einem Artillerie-Angriff auf sein Dorf wurde er schwer verletzt. Immer wieder kamen Soldaten zu ihm und schlugen ihn zusammen. Auch seine Frau, die als Ärztin Verwundeten half, wurde geschlagen, berichtet er. Ein ehemaliger Schüler warnte ihn: Milizen hätten vor, ihn zu töten. Im März dieses Jahres floh er nach Berlin, seine Frau kam mit den drei Kindern nach. Hier schrieb ein Arzt in einem Gutachten, dass Osmajew sich nicht allein ernähren, waschen und pflegen kann. Und: „Er benötigt ein Telefon wegen Akutsituationen, die (…) durch telefonischen ärztlichen Rat behoben werden können.“
Osmajew beantragte einen Festnetz-Anschluss bei der Telekom, diese schrieb ihm: „Für Asylbewerber werden von der T-Com generell keine Telefonanschlüsse eingerichtet.“ Das Anti-Diskriminierungsbüro in Berlin beschwerte sich. Prompt entschuldigte sich die Telekom für Brief und Inhalt. „Das Ganze hat nichts damit zu tun, dass es um einen Asylbewerber geht“, sagt Marc Sauser von der T-Com. Aber das Ganze hat damit zu tun, dass Osmajew in einem Haus wohnt, in dem Wohnungen Asylbewerbern zur Verfügung gestellt werden. Sauser vergleicht die Situation mit der in Altenheimen.
Er findet es wichtig, dass man Herrn Osmajew hilft, aber Osmajew ist eben nicht Mieter der Wohnung. „Ein Pächter, Mieter oder Besitzer kann einen Telefonanschluss problemlos bei uns in Auftrag geben“, sagt Sauser. Also müsste der offizielle Mieter der Wohnung den Anschluss beantragen.
In der Tat können Asylbewerber die Wohnungen in dem Haus nicht selbst mieten. Das Bezirksamt zahlt die Wohnungsmieten über Tagessätze. Dimo Wehner, der Eigentümer und Verwalter des Hauses in Wilmersdorf, geht deshalb davon aus, dass das Bezirksamt die richtige Stelle wäre, um nach Festnetzanschlüssen zu fragen. Wehner selbst hat kein Problem mit Festnetzanschlüssen in den Wohnungen.
Ein Anruf beim Bezirksamt enthüllt aber eine juristische Leerstelle. „Wir sind auch nicht Mieter des Hauses. Mieter ist im Prinzip niemand“, sagt Siegfried Schuler, der das Wilmersdorfer Sozialamt leitet. Und er klingt ganz so, als wüsste er, wie kafkaesk sich das anhört. Aber er versucht zu erklären. Das Bezirksamt nennt einer Leitstelle für Wohnungslose die Asylbewerber. Diese Leitstelle gehört zum Land Berlin, hat einen Vertrag mit dem Hausbesitzer und vergibt die Wohnungen an die Bedürftigen. So klingt selbst Schuler ein wenig ratlos, denn das Sozialamt kann für Osmajew keinen Vertrag mit der Telekom schließen. Aber er glaubt, dass die Telekom bei gutem Willen einen Vertrag schließen könnte. Denn in dem Haus gebe es mehrere Wohnungen mit Festnetzanschlüssen, sagen Osmajew und Wehner.
Osmajew hat jetzt ein Prepaid-Handy, dessen Kosten ihm zu hoch sind. Siegfried Schuler vom Wilmersdorfer Sozialamt immerhin beließ es nicht bei Erklärungen. „Wenn nötig, finden wir eine Lösung“, meinte er. Gestern war Osmajew bei Schuler, Ergebnis: das Sozialamt gibt Zuschüsse zu den Handy-Kosten. Das Geld kommt von einem Sonderfonds, nicht von der Telekom.Giuseppe Pitronaci