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Archiv-Artikel

Es war einmal eine Gegenkultur

Hiphop ist nie der eindeutige Aufschrei aus den Ghettos gewesen, zu dem die Kritik ihn gerne erklärte. Doch je lauter der Weltlauf verlangt, Position zu beziehen, desto fragwürdiger wird eine popkulturelle Haltung, die genau dies anbietet

Es passt zwar nicht in das Ideal der Rebellenkultur, aber Hiphop wurde mehr vom Crackdealer beeinflusst als von Martin Luther King

VON UH-YOUNG KIM

Nichts Böses ahnend rief ich eines Morgens meine E-Mails ab, darunter eine Nachricht aus New York, in der es hieß: „Du bist ein Rassist und ein Faschist. Bald komme ich nach Europa, und wenn ich in Deutschland bin, werde ich dich finden und dir weh tun. Bei Allah.“ Was hatte ich getan, dass man mir in göttlichem Namen drohte?

Die Nachricht war eine Reaktion auf einen Artikel, den ich für ein Reggae-Magazin über das politisch ambitionierte Hiphop/Reggae-Album des Verfassers der Mail geschrieben hatte. Nun habe ich mit der Zeit ein Misstrauen gegenüber Musikern entwickelt, die sich „conscious“, also politisch bewusst geben und dabei so tun, als müssten Weltretter nicht auch ihre Miete zahlen. Zwar waren Public Enemy die Beatles meiner Jugend, doch meist verdrängen die Vertreter des politisch bewussten Hiphop die eigene Verflechtung mit der Industrie sowie die Frage, was überhaupt noch politisch an der Ware Musik sein kann. Stattdessen fassen sie alles selbstgerecht unter das Schema von Gut und Böse und mischen daraus – so auch in diesem Fall – einen wässrigen Befreiungscocktail im Namen aller Unterdrückten der Welt.

Trotz meiner Skepsis war der Tenor der Besprechung positiv – schließlich will man den Leuten ja nichts Böses. Da das Reggae-Magazin auch international auf Englisch erscheint, landete die Geschichte direkt beim Musiker am anderen Ende des Atlantiks, um für größtmögliche Missverständnisse zu sorgen. Die in der Besprechung aufgeworfene Frage, was das Leiden im Nahen Osten nun genau mit dem in New Orleans zu tun habe, wertete er als Beweis dafür, dass man nicht für Palästina eintreten dürfe – eine Kampfansage gegen „uns“.

So wurde ich unfreiwillig in die große Erzählung hineingeworfen, die die Welt in zwei Lager spaltet: hier der aufgeklärte und vernünftige Westen bzw. die Unterdrücker, dort die religiösen Spinner und Terroristen bzw. die Opfer. Vom Innenminister bis zum besten Freund wird man gerade dazu gedrängt, sich zu entscheiden: für „uns“ oder „die“ – wer auch immer das sein soll. Wie aber konnte der herrschende Diskurs und seine Paranoia Selbstverständlichkeiten meines Alltag so verdrehen, dass ich als Handlanger des Bösen wahrgenommen wurde?

Dabei begann Hiphop gar nicht als Aufschrei aus den Ghettos etwa gegen soziale Ungerechtigkeit – wie eine eurozentrische und bevormundende Rezeption noch heute nahelegt. Des Blutvergießens aus der Gangkultur überdrüssig, wandten sich die Kids Anfang der Siebziger vom kollektiven Kampf ab, sie wollten feiern und cool aussehen. Erst Jahre nach dem ersten Hiphop-Hit wurde das Fundament für den politischen Rap gelegt: Grandmaster Flashs „The Message“ von 1982 reflektierte die hoffnungslose Stimmung unter den Bedingungen der Reagonomics. Zuvor hatte das Kollektiv Zulu Nation um Afrika Bambaataa eine Definition von „consciousness“ vorgelegt, die dem Individualismus in der jungen Subkultur näher lag. Hierbei ging es nicht um die Aufdeckung von Machtverhältnissen, sondern um „knowledge of self“ – das Bewusstsein über das eigene (göttliche) Wesen. Die revolutionäre Basis war nicht der Kampf von Organisationen gegen Systeme und Institutionen, sondern die persönliche Transformation.

Die gesellschaftsumwälzenden Ideen aber verprachen mehr Drama, und so fanden „black nationalists“ Ende der Achtziger in Public Enemy ihre Botschafter. Auch wenn die Gruppe als Inbegriff des politischen Raps gilt, lag ihre Stärke nicht darin, Politik zu machen, sondern Musik zu produzieren und Platten zu verkaufen. Chuck D und seine Kostümtruppe waren eben nicht die Black Panthers, sondern nur die „Black Panthers des Rap“ – keine Bewegung, sondern deren Inszenierung in der Popwelt. Ihre Anziehungskraft ging von einem cleveren Konzept aus, das mit dem Image des Rebells wucherte.

Die politische Agenda von Public Enemy und Rapgruppen aus dem Dunstkreis der Nation of Islam gestaltete sich derweil als wild zusammengerührtes Patchwork aus schwarzem Separatismus und fundamentalistischen Verschwörungstheorien. Dabei warfen sie kritische Journalisten mit rassistischen Polizisten und korrupten Politikern in einen Topf, feierten Mao, Chomeini oder Gaddafi als Vorbilder und propagierten Antisemitismus und Homophobie.

Von ihren teils reaktionären Ansichten ernüchtert, schrieb der britische Musikjournalist Simon Reynolds nach einem Interview: „Glücklicherweise sind Public Enemy machtlos genug, um auf uns Popstreber eine faszinierende Wirkung auszuüben. Sonst wären sie beunruhigend.“ Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ging von den Poeten der Negation aber doch einmal eine öffentliche Gefahr aus, als ihr Mitglied Professor Griff 1989 wegen judenfeindlicher Äußerungen an den Pranger gestellt wurde. Ohne eine kohärente politische Linie brach ihr ideologisches Kartenhaus unter dem Druck einer empörten Öffentlichkeit zusammen. Die Rapper waren nicht darauf vorbereitet, sich als politische Führer zu verteidigen. Sie waren Entertainer und somit zuerst von den Launen des Marktes abhängig.

Der Markt orientierte sich derweil um: „knowledge of self“ wurde erst von der „strength of street knowledge“ des Gangsta-Rap und später vom Geschäftssinn eines Sean „Diddy“ Combs abgelöst. Die Gegenbewegung ließ nicht lange auf sich warten. Zunächst formierte sich um Gruppen wie De La Soul oder A Tribe Called Quest die Native Tongue Posse. Mit traditionellen Symbolen ließen sie die panafrikanische Utopie wiederaufleben. Bezeichnend für diese Ära war jedoch nicht der Afrozentrismus, sondern die direkte Fortschreibung der Jazzgeschichte einerseits und die verspielte Öffnung zu anderen Musikkulturen andererseits. Wie schon bei Public Enemy fiel die Strahlkraft ihrer politischen Aura mit dem Höhepunkt ihres musikalischen Schaffens zusammen. Heute machen andere die bessere Musik.

Aus den Kindern der Native Tongues, Acts des Labels Rawkus und Muckern aus Philadelphia bildete sich Ende der Neunzigerjahre eine Gemeinschaft heraus, die bewusst von kommerziellen Standards abwich. Für den Rapper Talib Kweli oder die Hiphop-Band The Roots, die sich nicht über „bitches, guns and money“ ausließen, wurde das Subgenre Independent Rap aus der Taufe gehoben; Sängerinnen wie Erykah Badu oder Jill Scott, die die übertriebene Maskulinität des Mainstream-Hiphop mit einer selbstbestimmten Weiblichkeit konterten, fasste man unter Neo-Soul zusammen.

Vor ein paar Jahren zerplatzte die letzte Auflage der „consciousness“-Bewegung wie eine Blase: Rawkus ging unter – samt der aufgedeckten Finanzspritze von Medienmonopolist Rupert Murdoch. Um vor einem größeren Chor zu predigen, trat der sonst um Integrität bemühte Common in einem Coca-Cola-Spot auf, und die Roots kamen beim Klassenfeind Def Jam unter Vertrag. Talib Kweli möchte inzwischen nicht mehr als „conscious artist“ wahrgenommen werden, das beeinträchtige seine Marktanteile. Andere hat der bevorstehende Durchbruch gelähmt. Und selbst als Kanye West zuletzt vor einem Millionenpublikum Präsident Bush attackierte, hatte die mutige Kritik den schalen Nachgeschmack des Marketing-Hypes.

Was als politischer Rap begann, als „conscious rap“ verwässert und dann als „independent“ abgestempelt wurde, ist heute zur Marktnische geworden. Nicht mehr die „message“ vereint die Rapper, sondern die Konsumgewohnheiten ihrer Hörer. Deutlich wird diese Verschiebung in der jüngsten Namensschöpfung: Backpack Rap. Ihre Fans tragen Markenrucksack und iPod, statt Versace kaufen sie Ecko, statt Champagner trinken sie Bionade.

Auch wenn es nicht in das sozialromantische Ideal der minoritären Rebellenkultur passt, so wurde Hiphop mehr vom Crackdealer beeinflusst als von Martin Luther King. Scorseses Gangster-Epen sind relevanter für ihre Anrufungsmodelle als Spike Lees Sozialdramen. Ihre Anhänger schalten nicht das „CNN des schwarzen Amerikas“ ein, sondern schauen auf die Marke der Turnschuhe.

Wenn Hiphop dabei das Sprachrohr der Unterdrückten geblieben ist und ihre Träume zum Ausdruck bringt, so ist davon nur der Wunsch nach sozialem Aufstieg geblieben, gesäumt von haufenweise Statussymbolen. Hiphop als explizite Gegenkultur hingegen war seit jeher dem Dilemma unterworfen, sich verkaufen zu müssen und politisch harmlos zu bleiben. Aus dem Wechselspiel zwischen rechtschaffenem und kommerziellem Hiphop ist der vom Materialismus besessene Diskurs umso gestärkter hervorgegangen. Weniger durch die dissidente Authentizität der Straße als über wandlungsfähige Vermarktbarkeit hat sich Hiphop als erfolgreichste und widerstandsfähigste Jugendkultur unserer Zeit etabliert. Nun, es könnte schlimmer sein.

Übrigens hat sich der Typ aus New York inzwischen beruhigt und seine Drohung zurückgenommen. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass er ein Stück für die dem Magazin beiliegende CD zur Verfügung gestellt hat. Dafür wollte er, dass sein Album abgefeiert wird. Es ging bloß um das übliche Geben und Nehmen im Geschäft.