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Archiv-Artikel

Das Ende von Belgien

Wie eine Fake-Doku im Fernsehen das Land spaltet – und an das verdrängte Grundproblem des Staates erinnert

„Flandern wird einseitig seine Unabhängigkeit erklären.“

Der Beginn des Nachrichten-Specials ließ das belgische Fernsehpublikum Mittwochabend zusammenzucken. Nichts weniger als das „Ende von Belgien“ wurde reklamiert. Die Redaktion des staatlichen Senders RTBF erlebte am nächsten Morgen einen ihrer „verrücktesten Tage“, wütende Proteste zogen sich durchs Land. Der Senderchef wurde zu einem „Rendezvous“ mit der zuständigen Ministerin Fadila Laanan bestellt. Dort sollte er „bestraft werden“, wie ein Mitarbeiter des Senders der taz schildert. Mit einersolchen Reaktion hatten die Journalisten nicht gerechnet.

Was war passiert? RTBF strahlte zur besten Sendezeit eine unangekündigte Fake-Doku aus. Inhalt: Der flämische Teil des bipolaren Staates habe sich abgespalten. Untermalt wurden der Staats-Albtraum mit Bildern vom König, der mit der Luftwaffe aus dem zerfallenden Land geflogen wird. Mit Straßenbahnen, die vor der neuen Grenze Halt machen müssen. Mit einer Kundgebung aus 20 Schauspielern und immerhin 200 echten Demonstranten vor dem Palast, die für die Einheit der Nation einstanden. Eine halbe Sunde ließ der Sender seine Zuschauer im Unklaren. Erst dann wurde das Geheimnis mit einer Diskussionsrunde gelüftet.

Die Reaktionen erinnern an das Medienereignis „War of the Worlds“. Das berühmt gewordene Hörspiel von Orson Welles sorgte am 30. Oktober 1938 für Panik in den USA. Damals war der Inhalt, Außerirdische würden die USA heimsuchen, um einiges unrealistischer. Die Zuhörer – medial viel weniger sensibilisiert als heute – glaubten der Radio-Übertragung dennoch. 68 Jahre später halten immer noch 89 Prozent der Belgier die frei erfundene Sendung für wahr. Das zeigt, wie realistisch eine mögliche Spaltung des Landes mittlerweile betrachtet wird. Schon seit längerem wollen sich flämisch-nationalistische Kreise vom ärmeren wallonischen Süden trennen.

Auch deshalb besteht in Belgien eine Scheu, „Witze über Sprache und Ethnien“ zu machen, wie ein Sender-Sprecher erklärt. Aus der angespannten Situation heraus sind die herben Proteste erklärbar. Politiker aller Parteien, auch Ministerpräsident Guy Verhofstadt, kritisierten das Machwerk scharf. Nachrichten-Chef Benoît Moulin sagte es gegenüber der taz so: „Belgien ist wie Kalifornien: Wir warten auf den ‚big bang‘.“ Der große Knall, die Teilung des Landes, wird aus den Köpfen verdrängt. Die Sendung brachte das Thema mit unlauteren Methoden, aber wirkungsvoll ins Bewusstsein zurück. ROMAN SCHMIDSEDER