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Archiv-Artikel

„Schleuser vermitteln Hoffnung“

Fehlende Möglichkeiten für legale Zuwanderung erzeugen gerade erst die Nachfrage für illegale Migranten, sagt Michael Bommes, Professor für Migrationsforschung. Die Grenzen zu überwinden werde immer schwieriger und teurer

taz: Herr Bommes, wie schätzen Sie den Vorfall von Dienstag ein, bei dem nach einer Verfolgungsjagd sechs Menschen ums Leben kamen, darunter mehrere Migranten?

Michael Bommes: Die Polizei hat wohl getan, was sie immer tut, wenn sich jemand einer Kontrolle entzieht: Sie ist hinterhergefahren. Auffällig ist die hohe Bereitschaft der Verfolgten, ihr eigenes Leben und das ihrer Mitreisenden aufs Spiel zu setzen. Man riskiert nicht so viel, wenn man keine große Angst und nichts zu verheimlichen hat.

Die Polizei Berlin hat in diesem Jahr bereits 250 Fälle von Schleusung aufgedeckt. Das sind fünfmal so viele wie im Vorjahr. Woran liegt das?

Im Moment gibt es keinen Grund anzunehmen, dass sich die Möglichkeiten für illegale Einwanderer im vergangenen halben Jahr dramatisch verbessert hätten. Studien aus den letzten zehn Jahren sagen eher, die Zahlen hätten sich stabilisiert. Man kann anhand dieser Statistik nicht sagen, ob die Polizei ihre Aufmerksamkeit oder sich die illegale Einwanderung gesteigert hat.

Die Polizei spricht von einem Trend zur illegalen Einwanderung von Chinesen in diesem Jahr. Stimmt das?

Migration aus China nach Europa nimmt überhaupt zu, nicht nur in illegaler Form. Es ist nicht erstaunlich, dass es dann auch zu vermehrter illegaler Einwanderung kommt. Wanderungen entstehen langfristig, Strukturen entstehen und Netzwerke bilden sich. Im Falle von China ist davon auszugehen, dass sich die nötigen Vermittlungsbahnen nach Europa in den letzten 10 bis 15 Jahren aufgebaut haben.

Welche Entwicklungen bei Schleusungen sehen Sie?

Für die Beteiligten ist Schleusung nicht primär etwas Kriminelles, sondern die Gewährleistung von Transport. Man muss davon ausgehen, dass es ein wechselseitiges Steigerungsverhältnis gibt.

Das heißt?

Zum einen ist da der Migrationskontrollapparat der EU, der unerwünschte Zuwanderung zu verhindern sucht. Auf der anderen Seite gibt es die Organisationen, die wir Schleuser nennen, die sich entsprechend professionalisieren. Für Flüchtlinge wird das Ganze deswegen immer teurer. Die Chance auf Arbeit und eine neue Zukunft in Europa ist aber eben nicht so gering, wie man meinen könnte, denn sie wird immer wieder ergriffen. Und die, die wir Schleuser nennen, könnten nicht überleben, wenn sie den Migranten nicht eine gewisse Hoffnung vermitteln könnten.

Welche Rolle spielt die EU-Politik dabei genau?

EU-Politik bekämpft die Schleuserkriminalität explizit. Die Kehrseite ist, dass es kaum legale Zuwanderungsmöglichkeiten nach Europa gibt. Diese Blockierung erzeugt auf paradoxe Weise eine Nachfrage nach den Migranten, von denen explizit gesagt wird, dass man sie nicht haben will. Denn sie sind bereit, Arbeiten zu Preisen zu verrichten, die für die legal ansässige Bevölkerung nicht attraktiv sind.

INTERVIEW: ELISABETH RANK