: 120 finale Minuten auf der Berliner Fanmeile
Ein letztes Mal Stadionatmosphäre für Arme, ein letztes Mal mitfiebern. Nur – mit wem?
Finale auf der Fanmeile in Berlin. Ein letztes Mal Schlange stehen vor der Sicherheitskontrolle, ein letztes Mal einen schottischen Fan fragen, was er unter dem Kilt trägt. Ein letztes Mal Stadionatmosphäre für Arme, ein letztes Mal mitfiebern. Nur – mit wem, wenn man kein Italiener, kein Franzose ist?
Der Nebenmann hat gerade voller Inbrunst die italienische Hymne mitgesungen. Aha, ein Italiener, aber jetzt kommt die französische Hymne – und die kann er ebenfalls auswendig! Aha, ein Deutscher. Jetzt skandiert er: „Die-Fan-Mei-Le!“
Das ist der Unterschied zur Vorrunde: Während man zum Beispiel bei der Begegnung Niederlande gegen Elfenbeinküste angenehm plaudernd mit zwei Norwegern ins Gespräch kommen konnte, die unbedingt den Weg zu einem guten Strip-Lokal gezeigt haben wollten, ist hier bitter Ernst. Hier wird nicht gesprochen. Hier wird angefeuert. Hier wird Bier bestellt, notfalls mit den Ellenbogen. Hier wird die überforderte Thekenkraft als „Fotze“ beschimpft, weil sie nicht sofort mit drei gefüllten Bechern rüberkommt. Hier sind viele Italiener und einige Franzosen, aber hier ist Deutschland. Der T-Shirt-Stand hat Schals und Leibchen aller Herren Länder im Angebot, das Hemd für heimische Fans ist mit einem großen Adler geschmückt und dem Spruch „Unsere Heimat. Unsere Ehre. Unser Stolz.“.
Die Fan-Meile, jedenfalls dieser Abschnitt zwischen drittem Großbildschirm und MasterCard-Riesenrad, ist lautstark für Frankreich, es sind viele französische Fahnen zu sehen und viele französische Trikots. „Allez les Bleus!“, skandieren die Frankreich-Fans, und auch die im deutschen Trikot, weil, Italien hat uns ja rausgeworfen. Seltsam: Kurz darauf skandieren die voll kostümierten Frankreich-Fahnen-Schwenker einen anderen Schlachtruf: „Los jetzt, Frankreich! Schieß ein Tor!“ Auf Deutsch! Man könnte es deutsch-französische Freundschaft nennen, wüsste man nicht genau, dass dieselben Leute mit derselben Begeisterung für Italien und gegen Frankreich wären, wenn das Turnier einen anderen Verlauf genommen hätte. Manche machen es sich ganz einfach und rufen immer wieder nach „Lukas Podolski!“.
Als Zinedine Zidane seinen Abgang versaut, ist die Menge erst ungläubig still, dann, als der Kopfstoß mehrmals in Zeitlupe zu sehen ist, wird Zizou gellend ausgepfiffen. Doch die Hartgesottenen rufen schon kurz darauf wieder „Allez les Bleus!“ , aber es sind weniger geworden. Und dann, die Füße schmerzen, nach über 120 Minuten, gewinnt Italien. Allgemeiner Aufbruch. Ein Bayer im Frankreich-Trikot schimpft: „Dusel-Weltmeister!“ Auf dem Weg zum Ausgang singen die Italiener „Italia!“. Die Deutschen rufen: „Ihr seid nur ein Wett-Skandal! Wett-Skandal! Wett-Skandal!“ Oder einfach nur: „Deutschland!“
STEFAN KUZMANY