: Fanmeile wird zur Deutschlandmeile
Ausländische Fußballfans meiden vor dem Deutschlandspiel die Fanmeile. Die Atmosphäre dort ist hitzig
„Deutschland ist geil“, dröhnt es vor dem Halbfinale Deutschland vs. Italien über die Fanmeile. Die Stimmung auf dem Fanfest ist umgeschlagen – das ist zumindest der Eindruck, wenn man nachmittags über die Straße des 17. Juni schlendert. Von bunter Fahnenpracht aus aller Welt ist nichts mehr zu sehen. Betrunkene in Deutschland-Trikots grölen jetzt schon „ihr könnt nach Hause gehen“ und zeigen dabei jedem den Stinkefinger, der an ihnen vorbeiläuft. Er ist nicht so, dass die Stimmung richtig aggressiv wäre – aber die lockere Atmosphäre der vergangenen Wochen, das Nebeneinander von Fans verschiedener Länder, das ist vorbei. Nunmehr regiert wieder Deutschland.
„Deutschland ist geil“, heißt die neue Single der Berliner Band Soul Control, die an diesem heißen Nachmittag die zweifelhafte Ehre haben, auf der großen Bühne vor dem Bandenburger Tor zu spielen. Sie sollen die in Deutschland-Fahnen gehüllten und schwarz-rot-gold bemalten Jugendlichen vor der Bühne richtig in Stimmung bringen – doch bisher sind gerade mal 50 Fußballfans gekommen. Der Text ihres Lieds ist einfach mitzusingen: Nach der Aufzählung der Namen der deutschen Nationalmannschaft wird gesagt, dass die genauso geil sind wie ihr Vaterland.
„Deutschland ist super“, sagt auch der Australier Andrew Bromhead. Eine tolle Zeit habe er hier. Aber abends alleine auf die Fanmeile gehen und das Spiel anschauen würde er nicht. Unter hunderttausenden Deutschlandfans würde er sich schon etwas einsam fühlen, so der 28-jährige Lehrer aus Sydney. Der Australier ist einer der wenigen Ausländer, die sich an diesem Nachmittag zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor verirren. Weiße Trikots mit dem Namenszug Ballack oder freie Oberkörper zur schwarz-rot-goldenen Perücke dominieren. Der Fernsehsender Arte interviewt einen einsam herumstehenden Italienfan.
„Deutschland, Deutschland“ – das singt nach dem Spiel niemand mehr in der U-Bahn. Auf der Strecke Richtung Neukölln ist es ungewohnt ruhig. Ein Mann im Italien-Trikot wird aufgefordert, lieber Pizzen auszufahren als hier rumzustehen. In Berlin ist man wieder in der Realität angekommen.
SEBASTIAN LEHMANN