: Ohne Papiere, ohne Chance
BERLIN taz ■ Das Paar aus dem westafrikanischen Guinea lebte schon ein halbes Jahrzehnt in Berlin: Das Asylverfahren hatte sich hingezogen, schließlich war der Antrag abgelehnt worden und die beiden waren untergetaucht – mit der in Deutschland geborenen Tochter. Nach deren fünftem Geburtstag stellte sich die Frage, wie das Mädchen zur Schule gehen kann. Die Eltern sprachen mit der Flüchtlingsberaterin Traudl Vorbrodt, die fragte den Direktor einer katholischen Grundschule, dem sie vertraut. Er schulte das Kind ein.
Traudl Vorbrodt kämpft um Bildungschancen für Migranten. Nicht darum, dass sie viel und sinnvoll lernen, sondern darum, dass sie überhaupt eine Schule besuchen können. Immer wieder kommen Menschen mit Kindern zu ihr in die Härtefallberatung von Pax Christi und Flüchtlingsrat. „Eine sehr arbeitsintensive Geschichte“, sagt sie. „Diese Menschen haben natürlich Angst, dass sie auffliegen.“
Petra Roth, Oberbürgermeisterin des künftig schwarz-grün regierten Frankfurt am Main, verlangte am Wochenende in der taz, dass solche Kinder unterrichtet werden: „Das hat mit der Würde der Menschen zu tun.“ Doch ausgerechnet in Hessen fährt die Landesregierung von Roths Parteifreund Roland Koch eine harte Linie: Sie nimmt Migrantenkinder ohne Aufenthaltsrecht nicht nur von der Schulpflicht aus, sondern pocht auch darauf, dass Schulen derartige Fälle unverzüglich den Ausländerbehörden melden: Das schreibe der Paragraf 87 des Bundesaufenthaltsgesetzes vor. „Statuslose Kinder sind weder schulpflichtig noch zum Schulbesuch berechtigt“, sagte ein Sprecher des Kultusministeriums der taz.
Eine Studie der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen schätzt, dass allein in Frankfurt 25.000 bis 40.000 Menschen in der Illegalität leben – 5 bis 10 Prozent davon seien Kinder und Jugendliche. Sie würden ausgegrenzt, schreiben die Autoren der Studie, weil ihnen die gesellschaftliche Teilhabe im Bildungsbereich versagt bleibe.
In Frankfurt soll sich nun eine Arbeitsgruppe mit dem Problem beschäftigen. Knackpunkt dürfte die Frage sein, ob die Schulleiter angehalten bleiben, verdächtige Schüler zu verpfeifen. „Der Denunziationsparagraf muss weg, und es muss Fonds für Schulbücher oder Versicherungen geben“, fordert Bernd Mesovic, Referent bei Pro Asyl.
Die Stadt München löst das Problem pragmatisch: Das sozialdemokratisch geführte Schulreferat legt die Gesetze großzügig aus. Die Schulleitung müsse zwar nach Alter und Wohnort des Kindes fragen, heißt es in einem Rechtsgutachten des Schulreferats: „Es besteht aber weder aus schulrechtlicher noch aus ausländerrechtlicher Sicht eine Verpflichtung, Nachweise zu verlangen.“ Motto: Was der Direktor nicht fragt, braucht ihn nicht heiß zu machen.
Die Schulfrage ist für Menschen ohne Papiere noch schwieriger zu bewältigen als der Zugang zur Gesundheitsversorgung: Zum Arzt gehen kann man auch mit einer geliehenen Chipkarte, bestimmte Ärzte behandeln kostenlos und ohne Namensnennung. Doch wer zur Schule geht, braucht ein Zeugnis.
GEORG LÖWISCH