: Heinersdorfer Kulturkämpfe
Die Ahmadiyya-Gemeinde will eine Moschee in Pankow bauen. Viele Bürger protestieren, manche drohen auch. Der Imam beschwichtigt. Ein CDU-Funktionär gibt sein Amt auf: Er konnte kein Argument gegen das Gotteshaus finden – aber sein Spitzenkandidat unterstützt die Gegner
von Torsten Gellner
Wer bei Heiner Fleck anruft, muss erst den Stimmtest bestehen. Klingt der Anrufer vertrauenswürdig? Fleck ist misstrauisch, die Presse hat in den vergangenen Wochen nicht immer in seinem Sinn berichtet. Der Arzt im Ruhestand ist Sprecher der Interessengemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger, die gegen den Bau einer Moschee im Ortsteil kämpft. „Wir sind keine Rassisten und distanzieren uns von der NPD“, sagt Fleck, nachdem der Stimmtest bestanden ist. Was er nicht verstehen kann: „Warum wollen die Ahmadis hier eine Moschee bauen, wo überhaupt keine Muslime wohnen?“
Schon im kommenden Jahr wollen die rund 200 Mitglieder der Berliner Ahmadiyya-Gemeinde in einer neuen Moschee beten: an der Heinersdorfer Tiniusstraße. Fleck betont, er achte die Religionsfreiheit. Der Islam habe aber einen politischen Anspruch. Und den findet er bedenklich: „Unsere Wertvorstellungen sind mit denen der Ahmadiyya nicht kompatibel.“
In einem Reinickendorfer Einfamilienhaus erfährt man vielleicht mehr über die politischen Ziele der Ahmadiyya. „Wir sind nicht politisch“, sagt Abdul Basit Tariq. Der kleine Mann mit dem grauen Kinnbart ist der Imam der Ahmadiyya-Muslim-Jamaat, die hier seit 18 Jahren eine Behelfsmoschee unterhält.
Tariq sitzt an seinem Schreibtisch und redet gegen Vorurteile an. Auch das mit dem politischen Anspruch sei ein Vorurteil. „Wir respektieren die Gesetze dieses Landes“, sagt er und: „Nein, wir wollen die Scharia nicht einführen.“ Er zieht einen Koran aus der Schublade: „Hier, lesen Sie selbst, lesen Sie laut!“ Sure 4, Vers 101: Wer für die Sache Allahs auswandert, der wird auf Erden genug Stätten der Zuflucht und der Fülle finden. Auch das laute Lesen macht nicht ganz klar, was das mit dem Grundgesetz zu tun haben soll. Der Imam ist behilflich. „Das heißt: Wenn ein Muslim glaubt, dass das Recht eines Landes gegen den Koran verstößt, soll er das Land verlassen.“
Tariq wurde 1948 in Pakistan geboren, studierte in Islamabad Theologie und deutsche Literatur. 1982 kam er nach Deutschland und begann seine Karriere als Imam: Frankfurt, München, Köln, Hamburg, Stuttgart, Bremen, Dresden – das sind nur die größeren Städte, in denen er gewirkt hat. Im nächsten Jahr soll Heinersdorf hinzukommen. „Sie sehen ja selbst, dass unser Gebetsraum zu klein ist“, sagt er und deutet auf ein karges Zimmer, das vielleicht 80 Quadratmeter misst. Seit zehn Jahren sucht die Gemeinde einen neuen Standort. Aber die Grundstücke waren zu klein oder zu teuer, und in vier anderen Bezirken wurden die Anfragen, anders als in Pankow, abgelehnt. Übrig blieb Heinersdorf: Der Preis stimmte, die Behörden hatten nichts dagegen. Und auch wenn die Ahmadis, die schon 30 Moscheen in Deutschland gebaut haben, wissen, dass es immer Anwohnerproteste gibt: Mit derart massivem Widerstand hatte keiner gerechnet.
„Die Moschee wird brennen!“ Mit telefonischen Ankündigungen dieser Art muss sich Jens-Holger Kirchner befassen, seit im März die Moscheepläne öffentlich wurden. Der grüne Vorsteher der Bezirkverordnetenversammlung (BVV) Pankow sagt, die Drohanrufe kämen aus der Mitte der Gesellschaft. Eine „nette, ältere Dame“ habe ihm zugesichert, man werde „den Bau zu verhindern wissen“. Für Kirchner zeigt das, „was in den Köpfen der Heinersdorfer los ist“.
Der 30. März war ein guter Tag, um in Heinersdorfer Köpfe zu blicken. Eine völlig überfüllte Bürgerversammlung eskalierte unter dem Druck erboster Anwohner. Kirchner brach die Veranstaltung ab. Die Bürgerversammlung geriet zum Massenprotest, gespeist aus einer Mischung aus Argumenten, Ängsten und Ausländerfeindlichkeit.
Vom Verfall der Grundstückspreise war die Rede, von Verkehrschaos, Missionierung und Überfremdung, von Terrorzellen, Naziaufmärschen und Muezzinrufen. Die Polizei, die mit einer Hundertschaft angerückt war, fand später eine Flasche mit einer milchigen Flüssigkeit, die in der Hand eines Beamten explodierte. Die Flasche enthielt ein Essig-Backpulver-Gebräu. Für die Polizei ein Fall von „grobem Unfug“. Trotzdem soll die Moschee unter Polizeischutz gebaut werden – wegen der Anrufe.
Nein, Angst habe er keine, sagt der Imam, der Anfeindungen gewöhnt ist. Die Ahmadiyya-Reformgemeinde gilt in der islamischen Welt als unislamisch und wird teilweise verfolgt. In Pakistan, erzählt Tariq, seien kürzlich acht Menschen beim Überfall auf eine Moschee gestorben. In Deutschland fühlt er sich sicher, wenngleich er auch hier oft genug Intoleranz erlebt. „Das Bild vom Islam, das durch die Medien vermittelt wird, ist negativ“, sagt er. „Die Menschen hören nur von Zwangsheirat, Ehrenmorden und Terroristen.“ All das gebe es bei den Ahmadis nicht. „Wir sind friedlich, integriert, unsere Frauen hoch gebildet.“ Die neue Moschee hat eine Frau aus der Gemeinde entworfen.
Der Bezirk will die Heinersdorfer nun über die Ahmadiyya aufklären. Eine zweite Bürgerversammlung gebe es nicht, sagt Jens-Holger Kirchner. „Wir sind nicht dazu da, Protestveranstaltungen zu organisieren.“ Es werde aber Info-Abende in „diskretem Rahmen“ geben. Kopfzerbrechen bereitet dem BVV-Vorsteher ein Brief, den die Fraktionen gemeinsam erarbeiten und an die Bürger schicken wollen. „Der Brief wird eine eindeutige Stellungnahme pro Moschee enthalten“, sagt Kirchner. Wie das mit der CDU gehen soll, weiß der Grüne noch nicht. Die unterstützt mit ihrem Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger die Initiative der Moscheegegner.
Pflüger hält die Ahmadiyya für so etwas wie die „Zeugen Jehovas der Muslime“ – eine aggressiv missionierende Gruppe. Der Verfassungsschutz sieht das anders: „Die Ahmadiyya ist den Behörden weder durch gewalttätige Aktionen noch durch aggressive Propaganda aufgefallen“, so Sprecher Claus Guggenberger. Imam Tariq lächelt gequält, wenn man ihn auf diesen Vorwurf anspricht. „Mission ist der Missbrauch von Unwissenheit“, sagt er und schlägt den Koran wieder auf. Sure 2, Vers 257: Es soll kein Zwang sein im Glauben. Keinen einzigen Deutschen habe die Gemeinde bislang bekehrt.
Anfang April diskutierte Tariq über seinen Glauben – auf Einladung des Vorsitzenden der CDU-Ortsgruppe Schönhauser Allee, Karl Hennig. Ein sehr informativer Abend, erinnert sich Hennig, drei Stunden habe man geredet. Seit vergangenem Freitag ist er nicht mehr Ortsgruppenchef. „Wenn eine Gemeinde auf dem Boden des Grundgesetzes steht, hat sie das Recht, ein Gotteshaus zu bauen, wo sie will“, hatte Hennig im RBB gesagt. Der Pankower Kreisvorstand verurteilte das als Affront gegen Pflüger. Hennig möge sich doch künftig den Zielen der Bürgerinitiative gegen den Moscheebau anschließen. „Das konnte ich nicht mittragen“, begründet Hennig seinen Rücktritt. „Wir fordern von muslimischen Ländern, dass sie den Bau christlicher Kirchen respektieren. Wie können wir das verlangen, wenn wir hier den Bau von Moscheen verhindern?“
Unterdessen kämpft die Initiative um Heiner Fleck weiter. Sie hat ein Bürgerbegehren angemeldet, wodurch der Bezirksbürgermeister ersucht werden soll, der Gemeinde einen Verzicht des Moschee-Baus nahezulegen. Rechtlich bindend wäre das aber nicht, und Bürgermeister Burkhard Kleinert von der Linkspartei hat sich bereits für den Bau ausgesprochen. Und überhaupt: Das Grundstück ist gekauft, die Bauvoranfrage positiv beschieden. Verhindern kann die Moschee damit nur noch eine: die Ahmadiyya-Gemeinde selbst.