: „Wir müssen zur Integration ermutigen“
Gut integrierte Flüchtlinge sollten geregelte Möglichkeiten für ein Bleiberecht bekommen, fordert Jesuitenpater Klaus Mertes. Er ist Mitglied der Härtefallkommission und hat den Fall der Familie Aydin dort vorgetragen
taz: Pater Mertes, Innensenator Körting hat im Fall der Familie Aydin entschieden, dass drei der Töchter erst ihre Ausbildung beenden können, dann werden sie aber abgeschoben. Das Gegenargument lautet: Ist doch Quatsch, erst Geld in die Ausbildung der Mädchen zu investieren, um sie dann abzuschieben. Wie beurteilen Sie den Fall?
Klaus Mertes: Als Vertreter der Härtefallkommission bin ich eigentlich für humanitäre Fragestellungen zuständig, und das ist keine humanitäre Argumentation im strengen Sinne. Es ist aber eine Argumentation des gesunden Menschenverstandes, die ich nachvollziehen kann.
Man kann manchmal den Eindruck bekommen, dass solche Kosten-Nutzen-Erwägungen in der Diskussion um Flüchtlingspolitik mehr Wirkung zeigen als humanitäre.
Das ist richtig. Und das ist eigentlich meine größte Sorge bei dieser ganzen Diskussion.
Warum?
Weil das zeigt, dass über die Härtefallkommission unter dem Titel humanitärer Fragen eigentlich Einwanderungsfragen geregelt werden. Es geht nicht mehr um die Frage: Braucht dieser Flüchtling unseren Schutz, unsere Unterstützung, sondern darum, ob wir ihn brauchen.
Was folgt für die Flüchtlingspolitik daraus?
Wenn wir so denken, was machen wir dann im Falle der Kleinkriminellen, der nur halb Integrierten, der Uralten, der Schwerbehinderten, der psychisch Kranken unter den Flüchtlingen? Da liegen meines Erachtens die wirklich gewichtigen humanitären Fragestellungen. Damit will ich nicht sagen, dass es sich bei der Familie Aydin nicht um eine humanitäre Fragestellung handelt. Für mich ist sie auch in diesem Falle der entscheidende Punkt.
Ist es für Ihre Arbeit problematisch, dass gerade Fälle wie der der ausgesprochen gut integrierten Familie Aydin so viel öffentliche Aufmerksamkeit erregen?
Nein, denn sie ermöglicht Öffentlichkeitsarbeit.Und der Fall Aydin macht ja gerade deutlich, dass dahinter eine politische Fragestellung liegt, die über den Fall der Familie hinausweist: auf unsere politischen Strukturen im Umgang mit Ausländern.
Wir würden Sie diese politischen Strukturen charakterisieren?
Der erste Punkt ist: Wir verlagern die Migrations- und Einwanderungsfragestellung, vor der wir stehen, auf das Asylrecht. Der zweite ist: Wir nehmen uns die Möglichkeit, zu Integration zu ermutigen und sie bewerten zu können.
Bei der Diskussion um den Fall der Aydins wird sie doch bewertet.
Deshalb wird ja so deutlich, dass es gar nicht primär um humanitäre Fragen geht. Man könnte doch ganz einfach sagen: Menschen, die eine gewisse Zeit bei uns gelebt haben, die hervorragend Deutsch sprechen können, eine soziale Perspektive haben, ausgebildet sind, die können bei uns ein Aufenthaltsrecht bekommen. Aber diese Möglichkeit haben wir nicht. Deshalb müssen wir über humanitäre Fragestellungen argumentieren, um ein Bleiberecht zu erwirken.
Interview: Alke Wierth