piwik no script img

Archiv-Artikel

Stunker weichgespült

Satire darf doch nicht alles, meint der WDR – und zensiert deshalb einen antiklerikalen Sketch der „Stunksitzung“

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz mache, dann sitze halb Deutschland auf dem Sofa und nehme übel, schrieb einmal Kurt Tucholsky. Und was schlussfolgerte er daraus? Trotzdem oder gerade deswegen dürfe Satire: alles. Diese altmodisch-liberalistische Auffassung hat der WDR jetzt in seine öffentlich-rechtlichen Schranken gewiesen: Witze über religiöse Fanatiker – da hört der Spaß auf!

Deswegen werden die Zuschauer des Dritten Programms auch am Samstag ab 21.45 Uhr zweieinhalb Stunden vergeblich auf jenen recht harmlosen Sketch aus der alternativ-karnevalistischen Kölner Stunksitzung warten, in dem „Ratze“ und „Meise“ miteinander kuscheln. Der Sender wolle „die religiöse Überzeugung der Gesellschaft achten und respektieren“, begründete ein WDR-Sprecher die Entscheidung, die despektierliche Szene über die beiden homophoben Gotteskrieger Joseph Ratzinger und Joachim Meisner aus der Aufzeichnung herauszuschneiden. Die „Verunglimpfung“ der katholischen Würdenträger zeuge „nicht von Respekt“.

Respektlosigkeit gegenüber kirchlichen Autoritäten? Das geht aber auch wirklich zu weit! So echauffierte sich bereits im Januar die Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln über den „unappetitlichen Stunk“, „das Machwerk“, „den Mist“ und die Stunker, „die unter dem Deckmantel der Toleranz mit diesem Begriff Schindluder treiben, was das Zeug hergibt“: „Manchen Dreck packt man besser nicht an.“ Ein älterer Christenmensch aus dem Münsterland erstattete sogar Anzeige wegen „Störung des religiösen Friedens“. Ob sie die für begründet hält, will die Kölner Staatsanwaltschaft indes erst Anfang März entscheiden.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Macher der Stunksitzung den Hasstiraden religiöser Eiferer ausgesetzt sehen. So brachte ihnen bereits 1993 ein Bühnenbild mit einem Kreuz, auf dem anstatt des üblichen INRI der kölsche Name Tünnes prangte, eine Strafanzeige wegen Gotteslästerung ein – inklusive eines Besuchs der Staatsanwaltschaft, die das gemeingefährliche Schild beschlagnahmen ließ. Im Jahre zuvor sorgte der damalige Stunksitzungspräsident Jürgen Becker mit einer Anti-Meisner-Predigt für Empörung, in der er den erzkonservativen Kölner Kardinal als „Sakralstalinisten“ und „Arschloch“ bezeichnete – letzteres übertönte damals übrigens der WDR in seiner Übertragung dezent mit einer „Funkstörung“. P. Beucker