: Süßholz raspeln? Schwarz und gut!
Von süß bis salzig bietet Lakritze eine große Vielfalt. Der Wirkstoff der Süßholzwurzel ist zudem seit Jahrhunderten als Medizin bekannt
VON JUTTA BLUME
Holländer und Skandinavier müssen sich in Deutschland wie in einer Lakritzewüste vorkommen. Im Supermarkt findet man höchstens eine Hand voll Standardprodukte. In den Niederlanden gibt es dagegen eine schier unübersehbare Vielfalt von „Drops“, wie Lakritze dort heißt. In skandinavischen Ländern wird es kaum passieren, dass man auf der Suche nach Salzlakritze mehrere Läden abklappern muss. Denn gerade die kräftigen Varianten mit Salmiakzusatz sind im Norden sehr beliebt. Hierzulande, im Reich der Gummibärchen, sind Lakritzefachgeschäfte eine Seltenheit. Berlin hat ganze zwei davon. In manchen Regionen hilft auf der Suche nach Speziallakritze nur noch der Versand übers Internet.
Der Grundstoff der Lakritze, die Süßholzwurzel wächst nicht dort, wo am meisten Lakritze konsumiert wird. Der Strauch bevorzugt wärmere Klimate wie etwa den Mittelmeerraum. Doch auch in Süddeutschland wurde bis zum späten Mittelalter Süßholz angebaut, und einst gehörte das Ausgraben von Süßholzwurzeln zur Meisterprüfung für Gärtner. Damals erfüllte die Wurzel aber vor allem medizinische Zwecke.
Kadó, der ältere der beiden Berliner Lakritzeläden, verkauft nicht nur Süßigkeiten aus Süßholz, sondern auch die Wurzeln selbst. Diese sind etwas dicker als ein Bleistift, außen hellbraun und innen fast weiß. Sie sehen nicht so aus, als würden sie sich in eine schwarze zähe Masse verwandeln lassen. „Die schwarze Farbe entsteht durch das Verkochen von Kohlenstoff“, erklärt Ilse Böge, Inhaberin von Kadó. Sie wurde schon als Kind auf den Lakritzegeschmack geprägt, nämlich als ihr beim Zahnen eine Süßholzwurzel in den Mund gesteckt wurde. Im Gegensatz zum raffinierten Zucker schadet der Süßholzzucker den Zähnen nicht. Die Händlerin experimentiert auch in der Küche gerne mit Lakritze. Ihre Rezepte stammen zum Teil aus italienischen Kochbüchern, zum Teil aus eigener Fantasie.
Julia Kasberski teilt eine ähnliche Lakritze-Biografie. Der friesische Vater fütterte sie von klein auf mit Lakritze. „Es trieb mich die Sucht, als ich meine Läden eröffnete“, gesteht sie. Unter dem Namen Schlickertüte führt sie einen Laden in Berlin und einen im Holländischen Viertel in Potsdam. Letzterer entstand eher zufällig bei einem Spaziergang, weil sie fand, ein Holländisches Viertel ohne Lakritzeladen sei eigentlich gar nicht holländisch. Auch sie zeigt sich experimentierfreudig. „Zu Weihnachten servierte ich Gans in Lakritzesauce, die außer mir aber leider niemandem geschmeckt hat.“ Ihr Geschmack ist für Nichtfriesen nicht immer nachvollziehbar, zum Beispiel dass sie einen bestimmten Lakritzegeruch liebt, weil er sie an Kuhstall erinnert.
Lakritze hasst man, oder man wird süchtig. Die einen lieben süße, die anderen salzige oder Salmiaklakritze. Typisch sind etwa die doppelt gesalzenen holländischen DZ-Drops. Aus Skandinavien kommen viele Sorten mit Salmiakzusatz. Die Variationsbreite ist nicht nur beim Geschmack, sondern auch bei Form und Konsistenz groß. Verschiedenste Tiere, Totenköpfe, Hasenköttel, Pfeifen, Meterware und Bonbons sind in Spezialgeschäften zu haben. Manche tragen klangvolle Namen wie „kleine leise Krokodilstränen“. Außerdem gibt es Lakritze in Pulver-, Saucen- und Streuselform. Mit Lakritze lassen sich so Desserts zubereiten, wie etwa Lakritze-Creme mit Pfefferminzsauce. In Skandinavien streut man sich Lakritze gerne übers Eis. Aus Italien gibt es Lakritzegrappa und Lakritzeextrakt zur Limonadenherstellung.
In den meisten Naschereien kommt der Wirkstoff Glycyrrhizin nur in geringer Konzentration vor. Denn wie bei allen Drogen gilt: Die Dosis macht das Gift. Lakritze war schon in der Antike als Medizin bekannt. Der Saft der Süßholzwurzel wirkt kreislaufanregend und entzündungshemmend. So lindert Lutschlakritze zum Beispiel Husten und Heiserkeit und beruhigt den Magen. Daher könnte auch die Kombination mit Salmiak rühren, denn beide Wirkstoffe wurden gegen Erkältungen eingesetzt. Anfang dieses Jahres fanden Wissenschaftler heraus, dass der Süßholzzucker auch Herpesviren töten kann, und zwar noch bevor es zum sichtbaren Ausbruch der Krankheit kommt. Allerdings war die bei den Versuchen an Zellkulturen eingesetzte Dosis viel zu hoch, um bei der Behandlung von Menschen eingesetzt zu werden. Wie bei jeder Medizin ist aber auch bei Lakritze etwas Vorsicht geboten. Ist die Glycyrrhizin-Dosis zu hoch, kann Lakritze negative Folgen für den Organismus haben. Aber wahrer Genuss ist ohnehin eine Frage des richtigen Maßes.