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Archiv-Artikel

Adieu, Undergroundstigma

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt gibt einem schwulem Kläger Recht: Verpartnerte müssen die gleichen Privilegien erhalten wie klassisch Verheiratete – wenigstens im öffentlichen Dienst

VON JAN FEDDERSEN

Das Urteil ist ein weiterer Schritt der klassischen Verbürgerlichung Homosexueller – und der Emanzipation von Schwulen und Lesben äußerst dienlich: Mit juristischer Präzision entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt letztinstanzlich (6 AZR 101/03), dass öffentliche Arbeitgeber den in tariflichen Vergütungen steckenden Ortszuschlag Verpartnerten (sprich: homosexuell Verheirateten) in der gleichen Höhe und mit der gleichen Selbstverständlichkeit zahlen muss wie klassisch (sprich: heterosexuell) Verheirateten.

Mit seinem Spruch revidierten die Erfurter Richter zwei vorinstanzliche Urteile zugunsten des Klägers. Hintergrund: Am 1. August 2001 trat das von Rot-Grün aus der Taufe gehobene Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft. Es war das erste Gesetz, das homosexuelle Paare staatlich schützt. Der seltsame Name rührt daher, dass die rot-grünen Gesetzesmacher mit Blick auf die Karlsruher Verfassungsrichter einen Abstand zur grundgesetzlich geschützten Ehe einformulierten. Doch in Karlsruhe erklärte man, angerufen von der Union, kurz vor der letzten Bundestagswahl, Lebenspartnerschaft und Ehe seien, falls es der Gesetzgeber wünsche, gleichgestellt. Das Grundgesetz schütze zwar Ehe und Familie, der Schutz könne aber auch für homosexuelle Paare gelten, wenn es das Volk (über die Parlamentarier) wolle.

Rot-Grün wollte. Aber die Union sabotierte weiterhin wesentliche Teile des Gesetzes, nämlich all jene, die vom Bundesrat mitgetragen werden müssen, solche, die positiv an die Geldbeutel gehen. Das heißt: Schwule und lesbische Paare müssen zwar füreinander aufkommen, auch nach einer Scheidung, falls ein Familiengericht dies feststellt, aber die den Pflichten gegenüber stehenden Rechte sollten diese Paare nicht in Anspruch nehmen können – im Erb- wie im Steuerrecht. Auch die öffentlichen Arbeitgeber hoben die Diskriminierung nicht auf: Der Ortszuschlag gelte nur für Ehen, nicht für Verpartnerungen.

Mit diesem semantisch korinthensucherischen Unfug räumte Erfurt jetzt auf: Verheiratete und Verpartnerte seien gleich. In der Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts heißt es: „Wie die Ehe ist eine Lebenspartnerschaft eine exklusive, auf Dauer angelegte und durch staatlichen Akt begründete Verantwortungsgemeinschaft“, in den Pflichten wie bei den Rechten. Das Urteil gilt selbstredend auch für alle von der Union geführten Bundesländer – und wird außerdem über den konkreten Fall des mutigen Klägers hinaus Wirkung haben: Das für Tarif- und Arbeitsangelegenheiten höchste Gericht des Landes hat Homoehen für gleichwertig erklärt – weil es eben den Spruch der Verfassungsrichter genau las und schon aus juristischen Gründen auf die Ressentiments der unionsregierten Länder keine Rücksicht nehmen konnte. Es ist im Übrigen der erste höchstrichterliche Spruch, der die Sabotage der Union angreift: Die Blockade von CDU/CSU in der Länderkammer, so kündigten Bürgerrechtsverbände Homosexueller schon vor zwei Jahren an, führe nur zu Musterprozessen, auf dass die Diskriminierung Urteil für Urteil aufgehoben werde.

Die Union wird (wie andere Teile gesellschaftlicher Kraft) sich mit diesem Urteil endgültig vom Bild des Homosexuellen als Künstler und Individualisten verabschieden müssen. Bislang lebte die kollektive Imago vom Schwulen (oder von der Lesbe) vom Bild des Sensiblen, des Anderen, des zu tolerierenden Fremden. Doch der Schwule und die Lesbe wollen bürgerlicher werden – und das war und ist vielen Konservativen (in allen Parteien) nicht nur wenig recht, sondern machte auch ängstlich.

Die Emanzipation des Homosexuellen vom (einst, bei den Nazis, todgeweihten, später, seit den Siebzigern, tolerierten) Paria zum Teil der gewöhnlich-bürgerlichen Gesellschaft ohne Undergroundstigmata ist einen Schritt weiter gekommen: Das ist eine Referenz an die bürgerliche Moderne, aber auch eine Entlastung für Schwule und Lesben selbst, die bislang meist anstrengend anders als die anderen sein mussten, um Respekt zu kriegen. Sein dürfen wie alle anderen – ein zentrales Politikum für alle Minderheiten.