: Ein tapferer Held der Liberalen
San Franciscos Bürgermeister Gavin Newsom lässt sich von George W. Bush und dessen Konservativen weder einschüchtern noch beirren: Weiterhin lässt er schwule und lesbische Paare in seiner Stadt heiraten. Die weltweit populäre Aktion hat selbst Gouverneur Arnold Schwarzenegger zum Stillschweigen gebracht
VON MICHAEL STRECK
Gavin Newsom ist ein bemerkenswerter Mann – und mittlerweile fast weltberühmt. Kaum war der Mann zum Bürgermeister San Franciscos gewählt, gab er am 12. Februar grünes Licht für die Eheschließung homosexueller Paare. Seither ist die frühere Hippiestadt nicht nur Objekt der News-Sendungen von CNN, sondern vor allem wieder zum „glorreichen Mekka der Gegenkultur, zum Ort, an dem man sein muss“, geworden, wie jüngst das Magazin Newsweek notierte.
Andere Stadtväter in Bundesstaaten wie Oregon und New York sind bereits Newsoms Akt gefolgt und erlauben ebenfalls schwulen oder lesbischen Paaren den Gang zum Standesamt.
Die christliche Rechte sieht derweil den Untergang des Abendlandes nahe und schreit „Bürgerkrieg“. Und das nicht ohne Grund: Der 36-jährige Newsom begeht mit seiner Entscheidung Rechtsbruch. Das Stadtoberhaupt verstößt gegen die Gesetze des Bundesstaates Kalifornien, die Ehen nur zwischen Mann und Frau zulassen. Trotzig verteidigt der Demokrat aber seinen Schritt. Da die Verfassung Gleichbehandlung vorsehe, müsse er schwule und lesbische Paare trauen. Eine Weigerung sei Diskriminierung. „Homosexuelle sollen nach der Verfassung das gleiche Recht haben, wie es meiner Frau und mir vor einigen Monaten bei unserer Hochzeit zugesprochen wurde“, sagte er.
Der Auslöser für seine Entscheidung, Homosexuelle nicht mehr als wenn auch modisch avancierte Bürger zweiter Klasse zu behandeln, war im Januar eine Reise nach Washington. Dort verfolgte er George W. Bushs Rede zur Lage der Nation. In der definierte der Präsident die Ehe als exklusiven Pakt zwischen Frau und Mann und regte an, dies mit einem Verfassungszusatz festzuschreiben. Newsom empört: „Ich kam nach San Francisco zurück und war stolz, in einer Stadt zu leben, die Gleichheit für alle garantiert.“
Immer wieder verweist er dabei auf die bittere Debatte in den Fünfziger- und Sechzigerjahren um Trauungen zwischen verschiedenen Rassen. 1967 erst, nach 19 Jahre währendem Rechtsstreit, entschied der Oberste Gerichtshof Kaliforniens, die Diskriminierung dieser Mischehen zu verbieten. Nun, so Newsom, müsse auch die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben erkämpft werden.
Newsoms Rebellentum hat viele in und außerhalb San Franciscos überrascht. Der Spross einer reichen irisch-katholischen Juristenfamilie, ehemaliger Restaurantbesitzer und Weinhändler, galt stets als konservativ und glatt. Der Mann, smart dauerlächelnd, sieht eher aus wie ein Börsenmakler – nicht gerade die glaubwürdigste Ausstrahlung, um in den alternativen Communities der Stadt zu reüssieren.
Gegen politischen Trott
Obendrein verheiratet mit Exmodel und Juristin Kimberley Guilfoyle, die sich bei CNN einen Namen als Rechtsexpertin gemacht hat, zählt er zur High Society der Westküstenmetropole. Im vorigen Herbst, beim Bürgermeisterwahlkampf, gehörten die öffentlich bekundeten Symphatien mehr dem Bürgerschreck und Grünen Matt Gonzales. Am Ende konnte sich Newsom nur dank massiver Unterstützung der örtlichen Wirtschaftsverbände durchsetzen.
Kaum im Amt, überraschte er Freund und Feind mit Aufsehen erregenden Entscheidungen. Er entließ den Polizeichef und besetzte den Posten erstmals mit einer Frau. Auch die örtliche Feuerwehr erhielt ein weibliches Kommando. Sein Protokollchef – offen schwul. Kurz nach seiner Amtseinführung fuhr er mit Stadtbediensteten in von Bandenkriminalität heimgesuchte Stadtviertel, in die sich jahrelang kein Beamter mehr getraut hatte. Die erste öffentliche Ratssitzung wurde von gut 1.000 Menschen besucht, die ihm seine Unterstützung bekundeten. Auf Plakaten stand: „Gavin, unser Held“.
„Es ist verblüffend“, sagt Meinungsforscher David Binder. Newsom sei von moderaten Republikanern und konservativen Demokraten gewählt worden – aber über Nacht ist er zum neuen Star ausgerechnet der Liberalen und Alternativen aufgestiegen, die in ihm noch bis vor kurzem das Übel der Stadt sahen.
Bevor Newsom zum Bürgermeister gewählt wurde, arbeitete er sechs Jahre im Aufsichtsrat der Stadtverwaltung. Von Anfang an sorgte er im liberalen Establishment, das weite Bereiche der Stadtverwaltung dominiert, für Unmut. Um das marode öffentliche Nahverkehrssystem zu sanieren, legte er sich zunächst mit der mächtigen Transportgewerkschaft an – um von ihr am Ende in Sachen Bürgermeisterjob unterstützt zu werden.
Im November 2002 wagte er sich dann an das vielleicht heißeste Thema in San Francisco: Obdachlosigkeit. In kaum einer amerikanischen Stadt leben so viele Menschen auf der Straße wie hier. Bürgermeister sind entweder über den Versuch, das Problem zu lösen, gestolpert, oder sie ignorierten es. Newsom schlug vor, die monatliche Zahlung von 400 Dollar, die jedem Obdachlosen in der Stadt zusteht – von Kritikern als Lockprämie für Obdachlose aus dem ganzen Land gegeißelt – durch betreute Wohnprojekte zu ersetzen.
Viele Liberale, daran gewöhnt, Not mit üppig ausgestatteten öffentlichen Programmen bequem zu lindern, waren empört, nannten die Initiative „Care Not Cash“ unmoralisch. Das alles scheint nun vergessen und verziehen.
Manche spekulieren, ob Newsom sich mit seinem Husarenstück um die Homoehe für höhere Weihen auf dem politischen Parkett empfehlen möchte. Andere halten seine Karriere schon für beendet. Doch politischen Ruin fürchtet er nicht. „Leute wie ich kommen und gehen. Ich spiele keine Rolle. Wichtig sind am Ende die Werte und Prinzipien, für die wir stehen.“
So viel Selbstlosigkeit und Mut beeindrucken offenbar auch Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Nachdem er anfänglich in den Chor der republikanischen Kritiker Newsoms einstimmte, machte er zum Missfallen von Bush eine Kehrtwendung, sagte, er fände es in Ordnung, wenn Kalifornien die Homoehe erlauben würde, und sprach sich gegen eine Verfassungsänderung aus. Offenbar ist Newsoms mutige Geste populär: Auch der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, ein Republikaner, plädiert nun für die Legalisierung der Homoehe.
Nun steht nicht zu befürchten, dass die ehernen Bastionen der Konservativen, Bibelfreunde und Heterosexisten, alsbald bröckeln. Möglicherweise, so die kalifornische Alameda Times, ist die Homoehe auch „Newsoms Geschenk für Bush“. Der Bürgermeister muss sich selbst von sonst wohl gesinnten Medien Vorwürfe gefallen lassen. Kolumnistin Debra Saunders vom San Francisco Chronicle schreibt, Newsoms umstrittener Akt sei „schlicht unglaublich“. Viele würden sein Handeln als nobel bezeichnen, dabei sei es nichts weiter als „politischer Unsinn“.
Wie auch immer Newsoms Tat bewertet wird, so viel steht jedoch fest: Die Bilder von den Schlangen und Trauben heiratswütiger lesbischer und schwuler Paare vor dem Standesamt in San Francisco haben in den Wohnstuben der Amerikaner eine Wirkung hinterlassen, wie es keine Urteilsschrift eines Obersten Gerichtshofs in einem US-Bundesstaat vermocht hätte. Homosexuelle sind plötzlich keine abnormen Gesellschaftszersetzer, sondern in ihrem Wunsch, zu heiraten, so wertekonservativ wie Heterosexuelle.
Schwarzenegger zahm?
„Der rebellische Bürgermeister hat ehrenvoll gehandelt“, schlussfolgert jedenfalls die für Liberale tonangebende New York Times. Die Grenzen des Rechts auszutesten sei eine Bürgerrechtstradition, mit den vor allem Schwarze die Gleichberechtigung erlangt hätten. Schließlich sei die bestehende Gesetzgebung schwammig. Als der konservative Justizminister Kaliforniens die Obersten Richter des Landes bat, sich der Sache anzunehmen, weigerten sie sich, die Trauungen zu stoppen oder die erteilten Heiratsurkunden für ungültig zu erklären.
So missachtet Newsom fast mit dem Segen der kalifornischen Verfassungshüter weiter das Gesetz im Glauben, dass ihm die Geschichte einst Recht geben wird. Seine politischen Gegner in San Francisco sind ruhig geworden. Sie warten ab, ob die Verneigung vor den Liberalen eine Eintagsfliege bleibt oder einem Kurswechsel gleichkommt. Stadtrat Tom Ammiano, einer der profiliertesten schwulen Politiker und früher Widersacher Newsoms, zollt seinem neuen Chef nun Respekt. „Ich würde ihn nicht heiraten. Aber mit ihm ausgehen, das schon.“