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„Wir brauchen Zuwanderung“

Claudia Roth (Grüne) hält die humanitären Teile des Gesetzes für „unantastbar“

taz: Frau Roth, das Verfassungsgericht hat gestern eines der wichtigsten grünen Projekte verhindert. Was sagen Sie?

Claudia Roth: Ich bin tief enttäuscht. Formal ging es ja nur um Mängel daran, wie das Zuwanderungsgesetz zustande kam. Inhaltlich bedeutet das aber einen Rückschlag. Es gab eine Zeit, ich erinnere an die Süssmuth-Kommission, da konnte man über Parteigrenzen hinweg ideologiefrei über Zuwanderung reden. Die jahrzehntealte Lebenslüge schien überwunden, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Mit Peter Müller dem Alten vertrat die Union Kompromisspositionen. Jetzt muss man erst mal tief Luft holen.

Warum?

Weil wir es jetzt mit Peter Müller dem Neuen zu tun haben werden. Der will Vorschläge, die wir von ihm übernommen haben, aus dem Gesetz wieder raushaben – etwa die Härtefallregelung. Wir dürfen aber nicht wie die drei Affen Augen, Mund und Ohren verschließen vor der Realität. Wir müssen uns den humanitären Verpflichtungen der globalisierten Gesellschaft stellen. Und wir brauchen schlicht Zuwanderung.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Teufel (CDU) fordert aber bereits, Zuwanderung „auf ein sozialverträgliches Maß zu begrenzen“.

Das ist Teil der Rolle rückwärts der Union, deren Höhepunkt die denkwürdige theatralische Aufführung im Bundesrat war. Ich empfinde das als Heuchelei. Denn das jetzt beanstandete Gesetz war doch kein rot-grünes, sondern ein rot-schwarz-grün-gelbes, ein parteiübergreifendes. Ich sehe mit Sorge, dass die CDU nun wieder Politik auf Kosten von Migranten und Flüchtlingen zu machen versucht.

Wie kann es weitergehen mit dem Zuwanderungsgesetz?

Wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Wir haben ein Interesse, dass ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet wird. Die Union hat bereits Angebote zur Zusammenarbeit gemacht – ich hoffe, es sind keine vergifteten.

Werden Sie das Gesetz als ganzes oder in Teilen neu einbringen?

Das wird die Koalition in Ruhe entscheiden. Mir persönlich geht es darum, dass wir nicht hinter wichtige Errungenschaften zurückfallen. Für mich, für viele Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen und für die Kirchen sind die humanitären Teile unantastbar – also etwa die Anerkennung der nichtstaatlichen geschlechtsspezifischen Verfolgung, die bessere Rechtsstellung von Flüchtlingen, der Kindernachzug und die Beendigung des Duldungsstatus.

Otto Schily will das Gesetz als ganzes wieder einbringen, um dann in der Vermittlung zwischen Bundesrat und Bundestag einen Kompromiss zu finden. Haben die Grünen in so einem Fall noch Einfluss?

Rot-Grün hält an den Zielen des Gesetzes fest. Wir werden uns von der Union nicht auseinander treiben lassen.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER

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