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theorie und technikOzzy Osbourne im Spiegel der Diskursanalyse

Wahnsinn und Familie

Die Forderung, in Würde zu altern, ist das beliebteste Redeverbot an widerborstige Zausel, die man vor den Nachbarn verbergen möchte. Erst auf dem Grabstein gesteht man ihnen zu, sie hätten zeit ihres Lebens durch ihre wahnsinnige Energie zu beeindrucken gewusst. Diese ausschließlich posthume Würdigung der unbeugsamen alten Hasen gilt für viele Kulturen und soziale Milieus, nicht aber für den Heavy Metal. Denn dort betrachtet man den in die Jahre gekommenen Recken wie einen guten Wein, der erst spät zur vollen Reife gelangt, oder besser: wie eine Flasche Jack Daniels, die schmauchende Lagerarbeiter in Tennessee niemals antasten würden.

Ozzy Osbourne scheint diese Ehrerbietung nun leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Statt weiterhin satanisch auf der Bühne herumzufuchteln und Fledermäusen den Kopf abzubeißen, gibt er den hellsichtigen Öko-Visionär: „I watch the sun go down like everyone of us / I’m hoping that the dawn will bring a sign / A better place for those who will come after us / this time“, heißt es in seinem Chart-Erfolg „Dreamer“.

Doch werden die umsorgten Nachkommen diese Konversion gutheißen? Oder gilt auch für sie, was für viele Rockgrufties unabwendbar scheint, nämlich „in den Wahnsinn“ (Westernhagen) getrieben zu sein? Um die Gefühlsstrukturen der Headbanger-Gemeinde freizulegen, hat Rainer Diaz-Bone im Cultural-Studies-Band „Populäre Kultur als repräsentative Kultur“ eine sich auf Foucault berufende Diskursanalyse des Fachmagazins Metal Hammer vorgenommen: „Die Sozio-Episteme der Metalwelt wird fundiert durch eine Integritäts-, Entwicklungs- und Qualitätssemantik. Selber spielen können, qualitativ hochwertig arbeiten, in einer dauerhaften Gemeinschaft arbeiten, bleiben, wer man ist, sich langsam, dennoch Schritt für Schritt entwickeln usw. sind Konkretisierungen dieser Sozio-Episteme.“

Osbourne hält diesem Dogmatismus indes das flexible Motto „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ entgegen. Neuerdings sind ihm die Familiy Values wichtiger als die unhygienische Blutsbruderschaft mit Gitarrengöttern. Paranoid wird Ozzy nur noch, wenn ihm Ehefrau Sharon wieder einmal den Mund verbietet, weil sein in dreißig Jahren Rampensauwesen gesammelter Erfahrungsschatz zur Lösung von Alltagsproblemen herzlich wenig beiträgt. Die Fernsehserie „The Osbournes“ auf MTV lehrt uns, dass Wahnsinn und Gesellschaft in der Institution der Metal-Familie offenbar einen gesunden Kompromiss gefunden haben. Michel Foucault ahnte dies voraus, als er bereits 1975 zu Papier brachte: [MTV] „hat die Nicht-Irren in die Narrenkiste gesteckt und hat ihnen gesagt: Lassen Sie sich gehen, spielen Sie die Verrückten, so weit Sie sich durch die Kraft der Dinge und die Logik der Internierung dabei getrieben fühlen. Und herausgekommen ist in eben seiner Wirklichkeit die steife, repetitive und rituelle Form des Wahnsinns: der Wahnsinn, diese am strengsten geregelte Sache der Welt.“ JAN ENGELMANN

Michel Foucault: „Dits et écrits. Schriften. Band II: 1970–1975“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002, 1032 Seiten, 58 €ĽUdo Göttlich u. a. (Hg.): „Populäre Kultur als repräsentative Kultur. Die Herausforderung der Cultural Studies“. Herbert von Halem Verlag, Köln 2002, 308 Seiten, 28 €

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