piwik no script img

Ringa Dinga Zinga

Das Jamaika-Prinzip: Hinter Earl Zinger verbirgt sich ein bekannter Musiker. Von der Flucht der schweren Bassline und anderen Mythen. Eine Erkundung

von MAX DAX

Who the fuck is Earl Zinger? Er ist weit über 60 Jahre alt und hat an fast allen Revolutionen der Popmusik tatkräftig mitgewirkt: Bob Dylan nahm er die Angst vor dem Songschreiben. Er kaufte Africa Bambaataa seinen ersten Technics-Plattenspieler, und Malcolm McLaren wäre nie auf die Idee mit dem Punkrock gekommen, hätte Zinger ihm nicht die Sex Pistols vorgestellt. Gibt es einen wichtigen Musikstil, an dem Zinger keinen Anteil gehabt hat? Wohl nur Heavy Metal, Gospel und die Zwölftonmusik.

Leider ist das alles erstunken und erlogen: Ganz offensichtlich ist, was es so über Earl Zinger zu lesen gibt, eine Wunschbiografie. Wer steckt also dahinter? Einer, der sich wichtig machen will? Oder doch jemand, den man kennt? „Da kommst du nie drauf, nie!“, sagt die Pressefrau am Telefon, als sie ein Treffen vereinbart. Aber warum überhaupt ein Treffen mit Zinger? Weil sein Debütalbum „Put Your Phazers on Stun, Throw Your Health Food Skyward“ (K 7) so gut ist, dass es eine der heißen Tanzplatten dieses Sommers werden könnte. Und weil der Mann Humor zu haben scheint.

„The Freshest Sounds Around“, prangt es von einem roten Stern dick und fett auf dem knallgelben Plattencover. „HIT!“, informiert eine Bande oben rechts. In der linken unteren Ecke: fünf stilisierte, übereinander gestapelte Lautsprecherboxen, ganz so, wie man sie von Jamaikas Soundsystems kennt. Das ist nicht zu viel versprochen: Die ersten beiden Tracks auf diesem ausgesprochen abgezockt daherkommenden Album schmücken sich unüberhörbar mit Dancehall-Elementen.

Sie heißen „On My Way Home“ und „Song 2Wo“. Und damit auch der Letzte versteht, wo die Frequenz brummt: Track Nummer sieben heißt „Last Of The Great Bassline Hunters“, Nummer acht: „Ringa Dinga Zinga“. Insgesamt 17 Stücke finden sich auf Earl Zingers Debüt, und ohne Ausnahme schillern diese dank völlig entkernter Arrangements. Wie ein Mitschnitt eines coolen Old-School-DJ-Sets mit eingestreuten Raritäten kommt die Selection daher. Slow Pop im Stile eines Serge Gainsbourg neben Dancehall neben Swing Beats neben Jazz Stomp neben Luftholen. Ein schönes Durcheinander, aber: Diese Tracks sind musikalisch reduziert auf ihre Grundidee, jeweils nur mit wenigen Instrumenten eingespielt worden und klingen so, als gäbe es sie seit Jahrzehnten – als wäre Earl Zinger bloß der DJ, der sie zu einem Set kombiniert hätte.

Hinter Earl Zinger steckt Rob Gallagher alias Galliano: Das ist der, der in den Neunzigerjahren den Acid Jazz erfunden hatte – eine Musikrichtung, die man schon damals am liebsten in einem Eimer Prosecco ersäuft hätte. Mit anderen Worten: Gibt es Earl Zinger, den coolen Biertrinker, weil Galliano, der uncoole Cappuccinotrinker, überwunden werden musste? Der Erfinder winkt ab: „Ich wollte nur mal gucken, ob ich mit meiner Musik auch noch Erfolg habe, wenn eben nicht Galliano draufsteht. So produzierte ich Singles unter unterschiedlichen Namen. Am besten ging die Single von Earl Zinger, also legte ich nach. Fünf Songs kamen so zustande, und alle fragten sich: Wer ist Earl Zinger? Zwei Dinge waren nun klar: Erstens wollte ich ein ganzes Album produzieren. Zweitens brauchte Earl Zinger nun eine Geschichte, eine Vita.“

Das Album ist extrem clever produziert: Auf Anhieb eingängig, fallen die vielen Anspielungen und kleinen versteckten Scherze erst nach und nach auf. Natürlich: „Song 2Wo“, das ist die Fußballhymne von Blur, nur ohne den Gitarrenriff und das „Huu-Huu“, verkleidet als Reggae-Nummer. Ein anderer Song heißt „Escape From Ibiza“. In diesem werden DJs mit Uzis gejagt. Der Song ist hektisch wie eine schnelle Jazznummer, mit hysterischen Bläsersätzen versetzt. Die „Story Of The Heaviest Bassline Ever“ dagegen geht so: Ein paar geile Produzenten wollen auf der East Side die „Heaviest Bassline Ever“ aufnehmen. Sie versuchten, sie in einer Box einzusperren. Doch die Vibrationen öffneten die Box, und die Bassline verlässt das Studio, nicht ohne den Pförtner zu erschlagen.

Beim Treffen in Berlin ist Zinger verschnupft, übermüdet und dennoch überdreht-aufgekratzt. Galliano wurde zu Earl Zinger, weil sich dem Londoner DJ auf diese Weise die Möglichkeit bot, ohne Rücksicht auf Image, Erwartungshaltungen und Methode befreit zu arbeiten. „Ich bin in London mit jamaikanischer Musik aufgewachsen. Was ich an ihr mag, sind der Humor und die Ungeschliffenheit. Dieser Musik liegt eine Philosophie der Arbeit zugrunde: Wenn etwas gut genug klingt, fertig ist, dann ist es fertig: Nächster Song, nicht zurückblicken, weitermachen. Bums. So wollte ich auch immer schon arbeiten, und so arbeitet heute Earl Zinger.“

Ein Befreiungsschlag also? „Ich mache einen Song fertig, und dann raus damit. Gar nicht lange ums Cover kümmern, nicht erst einpacken, einfach raus“, sagt er, und fragt dann unvermittelt: „Wissen Sie, warum die jamaikanische Musik so geil ist?“ Warum? „Weil ihr eine kraftvolle Idee innewohnt. Wenn Sie sich hingegen westliche Popmusik angucken, dann stellen wir immer wieder fest: Es gibt oftmals gar keine Idee, dafür ist die Verpackung brillant. Mich erinnert das immer an das alte Kinderspiel „Pass the Parcel“, sagt er. Und als er das große Fragezeichen auf dem Gesicht seines Gegenübers sieht, das nur „Topfschlagen“ kennt, holt er zur Eklärung aus: „Pass the Parcel“ geht folgendermaßen: Die Eltern packen ein Geschenk in einen kleinen Karton und machen zehn, zwanzig Schichten Geschenkpapier drum herum. Jedes Kind darf reihum jeweils eine Schicht Geschenkpapier abreißen. Wer das Geschenk schließlich auspackt, darf es behalten. Europäische und amerikanische Popmusik erinnert mich immer wieder an dieses Spiel.“ Und wie würde Earl Zinger im Vergleich dazu seine eigene Musik charakterisieren? „Eine Schicht Geschenkpapier, gleich das Geschenk. Ich habe immer gerade genug Benzin in einem Song, dass ich auch dort ankomme, wo ich hinwill.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen