: Staat will rechte Leitwölfe ködern
Nicht bloß schöne Worte: Nach Ostern beginnt das staatliche Aussteigerprogramm für Neonazis. Verfassungsschützer sollen ausgewählte Führungsleute besuchen und so die ganze rechte Szene verunsichern. Expertin Anetta Kahane bleibt skeptisch
von ANNETTE ROGALLA und LUKAS WALLRAFF
Nach Ostern müssen prominente Figuren der rechten Szene mit ungewöhnlichem Besuch rechnen. Fachleute des Verfassungsschutzes sollen nach den Feiertagen ausschwärmen und handverlesene Kameraden ansprechen. Mit der persönlichen Ansprache sollen sie umgedreht, zum Ausstieg aus Kameradschaften, Cliquen und der NPD bewegt werden. „Wir haben eine ganze Reihe von Leuten auf der Liste“, sagte der Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans Georg Lange, der taz. Damit werden jetzt die Ankündigungen von Innenminister Otto Schily (SPD) umgesetzt. Dieser hatte Anfang des Jahres gesagt: „Wenn jemand aussteigen will, muss es dem Staat jede Mühe wert sein.“
Nach Angaben des Sprechers bewegt sich die Zahl der anvisierten Personen im „zwei- bis dreistelligen Bereich“. Es geht darum, den rechten Kameradschaften die Leitwölfe zu nehmen. Wenn sie gehen, werden die führungslosen Mitläufer unsicher – so das Kalkül.
Zwei Kriterien mussten die Kandidaten erfüllen, um auf die geheime Liste zu gelangen: Der Umworbene muss „bedeutend sein“, sein Ausstieg soll „Sinn machen und aussichtsreich sein“. „Bis zu 100.000 Mark“ will sich der Staat einen Ausstieg kosten lassen und gegebenenfalls eine neue Wohnung, Arbeit und eine neue Identität finanzieren.
Für die verunsicherten Mitläufer wird der Verfassungschutz eine Telefonnummer schalten, unter der diese Ratschläge für eine Abnabelung aus dem rechten Umfeld erhalten können. Das Call-Center soll die Anrufer auch an Sozialarbeiter und andere Hilfsstellen weitervermitteln. Ausstiegswillige dürfen aber nicht damit rechnen, dass die Verfassungschützer dichthalten, wenn sie von Straftaten erfahren. Die Beamten seien nicht verpflichtet, Straftäter anzuzeigen, betonte der Sprecher. Doch: „Straftaten, die bekannt werden, werden niemals von uns vertuscht werden.“ In jedem Einzelfall seien das Strafbedürfnis des Staates und das Vertrauen zum Aussteiger abzuwägen. Bei aller Betriebsamkeit versucht Lange, nicht zu hohe Erwartungen auf rasche Erfolge zu wecken: „Wir sollten uns nicht überschätzen.“
Noch skeptischer ist Anetta Kahane, die mit ihrer Amadeu-Antonio-Stiftung schon seit langem das private Aussteigerprogramm „Exit“ unterstützt. „Ich bin gespannt, ob sie jemanden finden“, sagte Kahane gestern zu den Aktivitäten der Verfassungsschützer. „Nach unseren Erfahrungen sind Leute, die bisher keine Zweifel hatten, auch nicht ansprechbar.“ Gerade bei den Führungsleuten schätzt sie die Aussichten eher gering ein, dass diese sich zu einer „Karriere eines Verräters“ überreden lassen.
„Leute, die Zweifel haben, müssen die Schwelle überwinden und sich melden“, erklärt Kahane das „Exit“-Konzept. „Dann besteht die Chance, wenn man es geschickt macht, die Zweifel zu verstärken.“ Die offensive Vorgehensweise der Verfassungsschützer hält Kahane für „relativ aussichtslos“. Sie schränkt aber ein: „Ich weiß nicht, was sie anbieten.“ So sei nicht vollkommen auszuschließen, dass materielle Angebote oder ein möglicher Strafnachlass den ein oder anderen zum Ausstieg bewegen könnten. „Das kann ein privater Träger wie wir nicht machen.“ Aber auch mit staatlichen Angeboten seien die Führungsleute kaum zu ködern, glaubt Kahane. Diese seien „an groben Straftaten“ selten beteiligt. „Die machen sich nicht die Finger schmutzig.“
In der rechten Szene zeigt das Schily-Programm allerdings bereits Wirkung. So warnt das rechtsextreme Nationale Info Telefon auf seiner Homepage, das Aussteigerprogramm sei „ein weiterer Beitrag in der psychologischen Kriegsführung“. Bereits die Existenz eines solchen Angebots trage zur Verunsicherung bei, „weil schnell Misstrauen über die Loyalität von führenden Aktivisten entstehen kann“. Damit Abtrünnige wissen, was ihnen blüht, droht das „nationale Spektrum“: Aussteiger müssten mit „Racheakten“ rechnen, wenn sie „mit dem politischen Gegner“ öffentlich gegen das frühere Umfeld und die „eigene Vergangenheit“ paktieren. „Diese Form der politischen Prostitution“ führe „zu Gegenreaktion“.
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