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Zum Tod von Margarete Mitscherlich-NielsenDie Frauenbewegte

Optimistisch, aber nicht verklärend: Margarete Mitscherlich-Nielsen, prominenteste Psychoanalytikerin der Republik, ist in Frankfurt am Main mit 94 Jahren gestorben.

Margarete Mitscherlich hat immer ihre optimistische Auffassung vom Leben bewahrt. Bild: dpa

Ihre große Zeit begann mit ihrem Mann Alexander: „Die Unfähigkeit zu trauern“, in den fünfziger Jahren aus klinisch-psychoanalytischer Arbeit heraus begonnen, 1967 mitten in die Zeit des beginnenden akademischen Aufruhr hinein publiziert, war die Fibel der späteren Generationen, die sich an der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschland abzuarbeiten begannen.

Und Margarete Mitscherlich-Nielsen, 1917 an der deutschen Grenze im dänischen Grasten geboren, wusste möglicherweise schon damals, dass in den Vokabeln „Unfähigkeit“ und „trauern“ das Besteck für kommende Diskursmacht liegt.

Mit diesem Buch profilierte sich auch Margarete Mitscherlich-Nielsen, 1950 in Flensburg zur Medizinerin promoviert, neben ihrem ein wenig prominenteren Mann Alexander, als eine der wichtigsten Sprecherinnen im linksliberalen Feuilleton- und Politikgeschäft der siebziger und achtziger Jahre.

Die Mitscherlichs – das war eine Paarung von beinah unüberwindbarer Kraft. Dabei war das Buch, das beide über ihre Fachzirkel hinaus bekannt machte, ein Missverständnis: Die These der Mitscherlichs bezog sich nicht auf das tatsächliche Fehlen von Trauer auf Seiten der nichtjüdischen Deutschen mit den ermordeten jüdischen Nachbarn, Kollegen oder Angehörigen – sondern, so ihre Pointe, auf mangelnde Trauer um den verlorenen, weil toten Führer.

Hassen muss niemand

Wenn ein Volk wie das deutsche einen wie Adolf Hitler so sehr verehrt, ja, angebetet habe, dann sei es wunderlich, wenn es keinen Schmerz um seinen Verlust gebe. Ihre Diagnose deckte sich mit Beobachtungen etwa von Hannah Arendt im Nachkriegsdeutschland: Der Nationalsozialismus ist tot – so what?

Aber das Missverständnis nahm auch Mitscherlich-Nielsen in Kauf – auf produktive, für Psychoanalytiker in gewisser Hinsicht nicht untypische Art: Spricht man nicht über das eine, so ist das andere, das zum Sprechen drängt, nicht unwichtig. So hielt sie es mit allen Themen, die sie anstieß, die mit ihr öffentlichen Raum gewannen oder überhaupt Teil des Diskurses wurden: „Müssen wir hassen?“, „Das Ende der Vorbilder“ oder „Die friedfertige Frau“ sind Publikationen aus ihrer Feder, die perfekt geeignet waren, auf Kirchentagen, in Evangelischen Akademien und anderen Gesellungsstätten der liberalen Bürgerlichkeit Geltung zu bekommen.

Denn, so schälte sich der neue deutsche Moralkonsens der Zeit nach dem Nationalsozialismus heraus: Hassen muss niemand, Vorbilder sind nötig, aber nicht im überhöhenden Sinne, Frauen haben das Talent zum Miteinander, das Männliche sei das Gegeneinander.

Frei von Sentimentalität

Seit 1982 fungierte sie als Herausgeberin der Zeitschrift „Psyche“ wie auch als Psychoanalytikerin im Frankfurter Westend. Sie hat auch Kritik einstecken müssen: Ihr Buch von der friedfertigen Frau blende aus, dass Frauen ebenso am antisemitischen Wahn teilhätten, dass sie nicht nur erduldeten, sondern auch beförderten. Mitscherlich-Nielsen war selbst vielleicht das beste Beispiel für eine Frau, die ohne romantisch-verklärenden Mädchenschmus frei von Sentimentalität agieren konnte – und stets bestritt, dass der Mann der Frau in Sachen Aggressivität überlegen sei.

In den vergangenen Jahren, so erzählte sie in Interviews im Fernsehen wie gelegentlich für Zeitungen, blicke sie mit Zufriedenheit auf ihr Leben zurück. Sie habe realisieren können, was ihr gegeben gewesen sei. In jüngster Zeit konnte sie nicht mehr in ihr italienisches Feriendomizil am Lago Maggiore reisen, allzu gebrechlich wurde sie, angewiesen auf ein Gehwägelchen.

Freunde berichten, sie habe immer ihre optimistische Auffassung vom Leben bewahren können. In einem Gespräch mit der FAZ sagte sie einst: „Wenn Sie anfangen, eine unfreundliche, alte Hexe zu werden, dann wird das Leben schwierig. 94jährig ist Margarete Mitscherlich-Nielsen, eine der wichtigsten Inspiratorinnen nicht allein der Frauenbewegung, am Dienstag in Frankfurt am Main gestorben.

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2 Kommentare

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  • GO
    grumpy old man

    Wirklich schade, dass dieses Handbuch vergriffen ist! ist "Handbuch" eigentlich ein Synonym für "Wichsvorlage"?

  • M
    Maulster

    Dies festzuhalten: Margarete Mitscherlich war die Frau eines bedeutenden Mannes! Aber sonst? Kämpferin für Frauenrechte? Mag sein. Was gehört dazu schon mehr als ein großes Ma...? Ihre Psychoanalyse? Na ja, Schwamm drüber, stirbt ja keiner davon... Vordenkerin der Studentenbewegung? Hahaha... Ich habe ihren Mann gehört. Ein feiner Kopf! Aber Margarete? Nachfolgend mein Eindruck, den ich anlässlich eines Interviews gewonnen habe, das sie vor vielen Jahren gegeben hat.

     

     

    „Die Unfähigkeit zu trauern“... dies sei ein Buch auch gegen jegliche Ideologien sagt Margarete Mitscherlich und nun ist sie Feministin „...weil die Männerherrschaft in diesem Jahrhundert so viel Schlimmes verursacht hat!“ Ah ja, die Männerherrschaft. Zwanzig Millionen Feldherren, die im letzten Krieg dran geglaubt haben... oder dran glauben mussten.

     

    Ein anarchischer Mensch sei sie nicht. Sie habe es gerne ordentlich. Aha! Wer schon nicht weiß was Anarchie sein kann, die wird auch gern mal Feministin, und es darf dann schon die Herrschaft von Frauen sein. Das ist der Penisneid in neuem Kleide. Der ‘Penis’ ist Fiktion. Frauen neiden Männern ein anderes Zepter - die Macht!

     

    „Die Minderwertigkeitsgefühle der Frauen sind absurd“, sagt sie. Ts, ts, ts... Also wenn Frauen schon mal Anflüge von realistischer Selbsteinschätzung zeigen, dann muss Frau Mitscherlich das nicht gleich pathologisieren. Ich vergleiche mich ja auch nicht mit Alfred Brendel ...

     

    Welch ein fürchterlicher Mischmasch, den sie da in einem Radio-Interview von sich gegeben hat: „... über Jahrtausende waren Männer an Macht gewöhnt... haben sich nie um die Meinungen der Frauen gekümmert... auch die Homosexualität... sie genießen es unter sich zu sein... die Macht zu teilen... die englischen Clubs, wo sie unter sich sind...“

     

    Gewiss, gewiss, der englische Bergarbeiter hat sich natürlich abends zum gepflegten Dinner in den Club begeben. „...wie ist der Lachs heute, Hopkinson?“ Die englischen Clubs standen ja schon immer allen Männern sperrangelweit offen. Dieses ganze, konfuse Durcheinander wurde von einem einzigen vernünftigen Satz gefolgt. „Die Feindbilder, mit denen wir den anderen verzerren, haben mit dem anderen ja nichts zu tun.“

     

    Seien wir großzügig und nehmen an, dass die alte Dame es sportlich sieht. Sie würde sich gut in so einem englischen Club machen, und ich denke, wie so viele ihrer Schwestern neidet auch sie heimlich den Männern solche Plätze exquisiter Zurückgezogenheit.

     

    Liebe Frau Mitscherlich! Wenn sie mehr von den Plätzen exquisiter Zurückgezogenheit der Männer sehen wollen, dann brauchen sie nicht in die Schwulenszene oder nach England zu blicken. Fahren sie mal nach Frankreich. Auf dem Weg durch das Grenzgebiet können sie, wenn sie rechts und links schauen, Plätze exklusiver Zurückgezogenheit sehen, Ausdruck ‘der Privilegien der Männer’, ‘die soviel Unheil über dieses Jahrhundert gebracht haben’.

     

    Muss ich es noch extra ausführen? Die armen Schweine, die dort in Reih’ und Glied auf den Kriegsgräberfeldern unter den Kreuzen liegen, waren in erster Linie Opfer ihrer Gesellschaftssysteme! Der Kaiser hat abgedankt - aber wie kommen Sie dazu die Privilegien des Kaisers dem Rest der Männer vorzurechnen?

     

    „Die Feindbilder, mit denen wir den anderen verzerren, haben mit dem anderen ja nichts zu tun.“ Sie wären gut beraten diesen, ihren schönen Satz mal auf ihr seltsames Männerbild anzuwenden, zu überlegen welche Minderwertigkeitsgefühle sie mit ihrer Männerhäme kompensieren.

     

    (Entnommen dem "Handbuch für Männer in Zeiten von Aids und Feminismus" erschienen 2001, vergriffen.)