Verhaltensregeln für Gastarbeiter: Fang bloß keinen Streit an!
Wer als Migrant legal in Russland arbeiten will, bekommt nun in einer Broschüre Tipps, wie man sich genauso wie die Einheimischen verhält: stets untadelig.
Migranten, die künftig in Russland legal arbeiten wollen, müssen ab dem 1. Januar 2015 nicht nur eine Prüfung in der Landessprache, sondern auch in sowjetischer und russischer Geschichte über sich ergehen lassen. Pünktlich zu diesem Termin haben jetzt die Russisch-Orthodoxe Kirche und die Russisch-Orthodoxe Universität (RPU) unter dem Titel „Russische Sprache, Geschichte und die Grundlagen der Gesetzgebung Russlands“ eine Art Benimmbroschüre für die sogenannten Gastarbeitery herausgeben.
Die Fibel, deren erste 1,7 Millionen gedruckten Exemplare Präsident Wladimir Putin großzügig finanziell unterstütze, solle Migranten dabei helfen, sich an die russischen Gegebenheiten anzupassen, heißt es aus der RPU. Es sei wichtig, dass Ausländer die Russen verstehen, zitiert die Tageszeitung Iswestija Wsewolod Schaplin, den Pressesprecher der Russisch-Orthodoxen Kirche und Herausgeber des Leitfadens.
Mit dem Sichanpassen an die Realitäten in Russland, wo Migranten auch gern mal in konzertierten Aktionen massenhaft ausgewiesen und gejagt werden (wobei sie bisweilen zu Tode kommen), ist das so eine Sache. Ob dieses bedeutende Werk dazu jedoch einen Beitrag leisten kann, darf getrost bezweifelt werden.
Migranten sollten in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht laut sprechen, mit den Armen wedeln oder drängeln, heißt es dort. Wer einmal versucht hat, flankiert von unsanftem Knuffen in die Weichteile, in einen überfüllten Bus einzusteigen, weiß, dass da ohne ganzen Körpereinsatz nichts zu machen ist. Doch das gilt offensichtlich nicht für den gemeinen „Fremdarbeiter“. „Wenn im Bus oder einer Straßenbahn ein Problem auftritt, soll der Migrant keine Drohgebärden ausstoßen oder Gewalt anwenden, sondern den Konflikt ruhig durch einen Dialog lösen“, verrät die Broschüre. Na bitte, geht doch!
Frauen- und Geldfragen
Ähnlich bizarr sind die Einlassungen zum Verhalten gegenüber einheimischen Frauen. „In Russland gibt es viele unglückliche Familien, alleinstehende Frauen, weil viele Männer früh sterben bzw. in Kriegen oder Konflikten umkommen.“ Die Frauen verdienten dennoch Respekt und würden im Falle von Belästigungen von ihren männlichen Verwandten verteidigt.
Ja, so ist das eben, wenn Soldaten in ihrem Urlaub die russische Causa in der Ostukraine verteidigen bzw. Männer derart dem Wodka und anderen hochprozentigen Kaltschalen zusprechen, dass ein Viertel von ihnen vor Erreichen des 55. Lebensjahres auf dem Friedhof landet. Offensichtlich scheint Putin das alkoholbedingte Frühableben seiner Landsleute nicht zu beunruhigen. Erst vor wenigen Tagen forderte er, den Preisanstieg beim Wodka zu begrenzen.
Ähnlich realitätsfern sind auch die Handreichungen zum Thema Geld. Für den Russen zählten vor allem Freundschaft und Hilfe und nicht so sehr materielle Werte, erfährt der erstaunte Leser. Zwar brauche jeder Geld, aber das müsse „ehrliches Geld“ sein. Schmutziges Geld verflüchtige sich schnell und schaffe Probleme. Schon interessant diese guten Ratschläge für den Aufenthalt in einem Land, das in Sachen Korruption ganz vorne mit dabei ist. Aber der Migrant, der ohnehin in der Regel zu Hungerlöhnen schuftet, kann es ja mal auf anständige Art und Weise versuchen.
Wenn er denn derzeit noch die Möglichkeit dazu hat. Denn für viele Arbeitsmigranten, deren geschätzte Zahl bei 4,6 Millionen liegt, davon 1,1 Millionen legal, wird es angesichts der russischen Wirtschaftskrise eng. So vermeldete die armenische Presse jüngst, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften aus der Kaukasusrepublik spürbar nachlassen werde. Nun denn. Dann muss der Crashkurs in Sachen russischer Mentalität eben noch ein wenig warten.
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