Venezolanische Eisdiele wird Politikum: Zank um Schinken-Käse-Eis
Die weltberühmte Eisdiele „Coromoto“ in Merida schloss offiziell wegen Mangel an Milch. Die Regierung wittert eine Kampagne der Opposition.

BERLIN taz | Sie ist weltberühmt, steht im Guinnessbuch der Rekorde und ist eine der, wenn nicht überhaupt die Touristenattraktion der Stadt Merida: die Eisdiele „Coromoto“ mit ihren 857 verschiedenen Sorten Eis.
Jetzt ist das in den frühen 80er Jahren von einem portugiesischen Einwanderer gegründete Geschäft zu einem Politikum geworden: „Aus Mangel an Milch geschlossen“ steht seit dem vergangenen Wochenende auf einem an der Tür angebrachten Pappschild.
Die Botschaft ist klar: Nicht nur die normalen Venezolaner, die schon seit Monaten in langen Schlangen anstehen, wenn einmal ein Geschäft Milch im Angebot hat, sind betroffen – jetzt macht die Mangelwirtschaft auch vor den touristischen Ikonen nicht mehr Halt. Die Nachricht erschien auf der spanischsprachigen Seite der BBC und in nahezu allen, vornehmlich der Opposition nahestehenden, Blättern in Venezuela.
Die Regierung reagierte prompt: Quasi als ausführliche Gegendarstellung zum kurzen Pappschild verbreitete das Tourismusministerium rasch einen Artikel des Universitätsprofessors Pedro Sivas von der Universidad de Los Andes, der den Eigentümer der Eisdiele der Lüge bezichtigt: Nicht aus Mangel an Milch nämlich habe Manuel da Silva sein Geschäft geschlossen, sondern weil er schlicht immer über die Weihnachtstage dichtmache, um ein paar Tage in seiner portugiesischen Heimat zu verbringen.
Die Welt spielt längst woanders, sagen die taz-AuslandskorrespondentInnen und übernehmen die taz in einer Sonderausgabe zum Jahreswechsel. Ihre Berichte, Reportagen und Analysen zeigen, was in Asien, Afrika und Lateinamerika wichtig ist. Am Kiosk oder gleich am eKiosk.
Eine Unverschämtheit
Aber da Silva gehöre zur politischen Opposition. Das sei sein gutes Recht, aber die Schließung der Eisdiele unter diesem Vorwand sei Teil der Kriegsführung niedriger Intensität gegen die gegenwärtige Linksregierung unter Präsident Nicolas Maduro. Da Silva sei kein Eisverkäufer mehr, sondern ein „Guarimbero“ – das Schimpfwort, mit dem die regierenden Chavisten oppositionelle Demonstranten bezeichnen.
José Ramírez, der Geschäftsführer der Eisdiele, polterte umgehend im Telefoninterview mit der BBC zurück: Eine Unverschämtheit sei dieser Artikel, weder sei da Silva verreist, noch würde die Eisdiele sonst schließen, wenn er mal verreist sei. Im Übrigen hätten auch andere Geschäfte in Merida aufgrund des Mangels an Milch Schwierigkeiten, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, sagte Ramírez.
Statt Eis in den Geschmacksrichtungen Schinken-Käse, Reis, Aperol oder Hackfleisch gibt es jetzt Streit in Merida – wenigstens bis die „Coromoto“ wieder aufmacht. Wann das ist, weiß niemand.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung