Streit um Stromtrassen: Gabriel will auf der Leitung stehen
Von Halle nach Augsburg soll eine Stromtrasse entstehen, die laut Bund für die Energiewende nötig ist. Nun könnten Teile unterirdisch verlaufen.
FREIBURG taz | Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gibt sich gegenüber den Gegnern der Stromtrasse Süd-Ost kompromissbereit: Auf einer Veranstaltung am Dienstagabend in Nürnberg sagte er, die geplante Gleichstrom-Höchstspannungsleitung von Lauchstädt bei Halle bis Meitingen bei Augsburg werde nicht wie geplant realisiert: „Natürlich wird der jetzige Korridor nicht kommen.“
Er reagierte damit auf den massiven Widerstand der Bürger entlang der 450 Kilometer langen Trasse: „Wenn der Staat versuchen würde, das mit gesetzlichen Mitteln durchzusetzen, haben wir jahrelanges Theater und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht“, sagte Gabriel.
Eine leistungsstarke Verbindung von Nord nach Süd im östlichen Teil der Republik hält Gabriel gleichwohl weiterhin für notwendig. Er will daher lediglich den Trassenverlauf ändern. Unter anderem will er den Startpunkt verlagern, nämlich von Lauchstädt an die Ostsee, um dort an ein Seekabel nach Norwegen und Schweden anzuknüpfen.
Allerdings entscheidet Gabriel über Notwendigkeit und Verlauf der Trasse natürlich nicht allein. Das Projekt ist vielmehr im Bundesbedarfsplangesetz als eines von 36 Vorhaben definiert, für die jeweils eine „energiewirtschaftliche Notwendigkeit“ bestehe. Abweichungen von dem bisherigen Plan bedürfen damit einer Neufassung des Gesetzes und nicht nur einer Ministerentscheidung.
Erdkabel anstelle von Freileitungen
Aber offenbar ist auch die Bundesregierung für eine Neujustierung der Planung offen, zumindest in der Hinsicht, dass sie vermehrt Erdkabel anstelle von Freileitungen zulassen will – getragen von der Hoffnung, damit den Widerstand der Bürger eindämmen zu können. „Man kann nicht ein kleines Dorf mit einer 380-KV-Freileitung einkreisen“, sagte Gabriel. Denn an den bis zu 80 Meter hohen Masten, gern als „Monstermasten“ bezeichnet, entzündet sich stets viel Kritik. Sie zerstörten, so heißt es oft, mit „riesigen Schneisen Landschaft und Heimat“.
Allerdings ist der Eingriff in die Landschaft auch beim Einsatz von Erdkabeln beachtlich. Denn auch deren Trasse muss auf einem Streifen von etwa 25 Metern Breite von hoher Vegetation freigehalten werden. Und an den Endpunkten der 500.000-Volt-Gleichstromleitung werden Konverterstationen gebraucht.
Schließlich sind auch die Kosten ein Thema. Denn Kabel sind deutlich teurer als Freileitungen, Schätzungen gehen zumeist von einem Faktor drei bis acht bei den Investitionskosten aus. Hinzu kommen höhere Unterhaltskosten, weil Reparaturen an Erdkabeln deutlich aufwendiger sind. Alle diese Kosten werden auf die Netzentgelte und damit auf den Strompreis umgelegt.
Doch den Gegnern entlang der Gleichstrompassage Süd-Ost geht es gar nicht an erster Stelle um die Entscheidung zwischen Freileitung und Erdkabel. Es geht ihnen mehr um die Frage der grundsätzlichen Notwendigkeit einer solchen Stromautobahn: „Wir lehnen sie ab, weil sie eine echte dezentrale Energiewende verhindert und durch den Transport von Braunkohlestrom sowie Atomstrom aus Osteuropa einer nachhaltigen Energiewende widerspricht“, schreibt das Aktionsbündnis der Trassengegner von Sachsen-Anhalt bis Bayern. Die geplante Verbindung diene „nur dem Profit der Konzerne“.
Und so reagierte die Bürgerinitiative auch auf die jüngsten Aussagen Gabriels zurückhaltend: Es bleibe „zum Schluss wieder die Erkenntnis, dass nicht bewiesen ist, ob die Trasse wirklich benötigt wird“. Die Bürger sind stattdessen überzeugt, dass es eine Alternative gibt: die dezentrale Erzeugung und Speicherung von Strom.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!