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Streit über Nord Stream 2Klimakiller aus der Röhre

Beim Streit über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 wird gern mit dem Klimaschutz argumentiert. Dabei ist Gas alles andere als ein Klimaretter.

Da wurde noch gebaut – gerade ist Stop bei Nord Stream 2 Foto: Anton Vaganov/reutersF

Berlin taz | Für die Betreiberfirma Nord Stream 2 ist alles klar: Ihre Pipeline „leistet einen kostengünstigen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele der Europäischen Union“, heißt es in einer offiziellen Broschüre. Gas setze nur halb so viel CO2 wie Kohle bei der Stromerzeugung frei. Wenn Transport und Förderung eingerechnet würden, „fällt die CO2-Einsparung sogar noch höher aus“.

Auch die Lobbygruppe VNG fordert: „Gas geben für den Klimaschutz“. Und das Bundeswirtschaftsministerium erklärt, bei der Versorgung von Gebäuden, im Verkehr und der Industrie könne Erdgas „ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur Dekarbonisierung sein“.

Das klingt, als wäre ein mögliches Scheitern der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 vom russischen Wyborg ins deutsche Lubmin ein Rückschlag für den Klimaschutz. Das 9,5-Milliarden-Euro-Projekt liegt auf Eis, seit die USA die Erbauer und die deutschen Hafenbehörden mit Wirtschaftssanktionen bedrohen.

Und nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny wackelt in der Bundesregierung die Unterstützung für die Gasröhre, die vom russischen Staatskonzern Gazprom vorangetrieben wird: Sanktionen der EU könnten das Megaprojekt, an dem nur noch 150 Kilometer Röhre fehlen, versenken.

Darauf hoffen heimlich Umwelt- und Klimaschützer, die nach der Kohle nun die Gasversorgung als nächsten Klimakiller ausmachen. Erst am vergangenen Montag klebten sich DemonstrantInnen in Hannover an der Staatskanzlei fest – aus Protest gegen Pläne für Gasterminals an der Nordsee.

Blockaden geplant

Für Ende September kündigt die Umweltgruppe Ende Gelände Blockadeaktionen gegen „kritische Gasinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen“ an, weil hier einem „fossilen Energieträger ein grüner Anstrich verpasst wird“, wie eine Sprecherin erklärt. KlimapolitikerInnen von Linken und Grünen kritisieren Nord Stream 2 seit Langem. Und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt gegen Nord Stream 2, weil „die Pipeline nicht zu den Klimaschutzzielen der EU passt“.

Denn die angeblich so grüne Weste des saubersten fossilen Brennstoffs hat schwarze Flecken. Je nach Rechenmethode belastet die Nutzung von Erdgas das Klima deutlich höher als bislang vermutet. Und neue Studien zeigen, dass die Gefahr aus Pipeline-Lecks bisher massiv unterschätzt wurde.

Erdgas besteht aus Methan, einem Treibhausgas, das wegen seiner geringen Lebenszeit kurzfristig die Atmosphäre etwa 80 Mal so stark aufheizt wie Kohlendioxid. Über hundert Jahre ist der Einfluss etwa 25-mal so stark. Ein Drittel der gesamten bisherigen Erderhitzung geht auf das Konto des flüchtigen Gases. Dessen Konzentration in der Atmosphäre – vor allem aus natürlichen Quellen, Reisfeldern, Rindermägen und der Öl- und Gasindustrie – ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen. Warum genau, ist vielen Forschern ein Rätsel. Klar ist nur: Um die Klimaziele zu erreichen, müsste nach Berechnungen des UN-Klimarats IPCC der Methangehalt bis 2050 um 35 Prozent sinken.

Problem: Lecks

Da stört jedes weitere Molekül, das in die Luft gelangt. Inzwischen zeigen viele Studien, dass die Gefährlichkeit des Klimakillers Methan unterschätzt wird: 2018 fanden Forscher nach genauen Messungen heraus, dass der Methanausstoß der US-Öl- und Gasindustrie um 60 Prozent höher lag als von der US-Umweltbehörde EPA errechnet. Jüngst zeigten Satellitendaten aus Texas, dass die Frackingfelder dort mit 3,7 Prozent ihrer Produktion doppelt so viel Methan verloren wie bisher angenommen. Eine aktuelle Untersuchung fand in amerikanischen Gasverteilnetzen Methanlecks, die „fünfmal so hoch waren, wie es die EPA annimmt“, schreiben die Experten.

Dabei wäre Klimaschutz hier billig zu haben. Die Industrie könnte „die Hälfte dieser Emissionen ohne höhere Kosten einsparen“, sagt der Chef der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol – schließlich könnte das Gas, das derzeit durch Lecks entweicht, dann verkauft werden. Langfristig sei das so gut fürs Klima, wie „die Hälfte aller derzeit weltweit fahrenden Autos von Abgasen zu befreien“.

In den USA ist das Thema besonders virulent: Der jahrelange Frackingboom hat den Markt mit billigem Gas überschwemmt, die Kohle verdrängt und damit die CO2-Emissionen seit 2005 um 14 Prozent gesenkt. Gleichzeitig hat die Regierung Trump die Regulierungen für die Gasindustrie gelockert. Seitdem die Frackingindustrie ab Frühjahr im Niedergang ist, sind Tausende von Bohrlöchern verlassen, viele sind wahrscheinlich nicht korrekt gegen das Ausgasen von Methan gesichert.

Gegen das Methandesaster kämpft einer der größten US-Umweltverbände, EDF, unter anderem mit neuen Messmethoden und einem eigenen Satelliten: Ab 2022 soll „MethaneSAT“ aus dem All weltweit nach dem Klimakiller schnüffeln.

Dann wird es auch mehr Klarheit über die Emissionen in Russland geben. Auf Anfrage verweist die Nord-Stream-Gesellschaft auf Daten von Gazprom. Demnach senkt der Transport durch die Ostsee die CO2-Emissionen um 43 Prozent gegenüber der Lieferung durch die Ukraine und um 37 Prozent gegenüber der Pipeline durch Belarus – weil das Gas aus dem Norden mit höherem natürlichem Druck durch die Leitung fließt.

Zu den Verlusten an Methan gibt es keine Informationen, erst recht keine unabhängigen Messungen. Auch eine Studie des Fraunhofer Instituts für das Umweltbundesamt im letzten Jahr, die dem russischen Gas weniger Klimabelastung als der Kohle (aber etwa so viel wie Öl) attestierte, musste sich mit offiziellen Durchschnittsdaten zufrieden geben.

Konkurrenz für die Erneuerbaren

Schon lange ist in der Fachwelt klar, dass Gas kein Klimaretter ist. Bereits 2014 untersuchten Forscher, was eine weltweite Ausweitung des billigen Frackinggases für Folgen hätte. Das Resultat: Gas würde CO2-intensive Kohle verdrängen, aber auch CO2-freie Alternativen wie Atomkraft und Erneuerbare in Bedrängnis bringen und durch niedrige Preise zur Verschwendung anregen. Im günstigsten Fall, so die Forscher, ergäbe sich eine CO2-Ersparnis von 2 Prozent – viel wahrscheinlicher seien aber mehr CO2-Emissionen: um bis zu 11 Prozent.

Schon früher hatten Forscher befürchtet, über einhundert Jahre gerechnet sei Frackingas genauso klimaschädlich wie die Kohlenutzung. Und der Öko-Thinktank Global Energy Monitor schrieb, der geplante 500-Milliarden-Dollar-Ausbau der weltweiten Infrastruktur für Flüssiggas berge eine Gefahr für das Klima, „so groß wie der Kohleausbau“.

Ohnehin ist in der „Klimaneutralität“, zu der sich die EU und Deutschland bekennen, mittelfristig kein Platz für fossile Brennstoffe. Schon 2013 wurde errechnet, dass nur etwa die Hälfte aller bekannten Gasvorräte verbrannt werden können, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen – der Rest muss als „unverbrennbarer Kohlenstoff“, wie die wegweisende Studie hieß, im Boden bleiben.

Für die Nord-Stream-2-Röhre gäbe es allerdings in einem Klimaschutz-Szenario in etwa einem Jahrzehnt möglicherweise noch eine Verwendung: als Transportroute für Wasserstoff, den die Industrie in Europa dringend brauchen wird. Dafür müsste er in Russland mit erneuerbaren Energien hergestellt werden. Pläne dafür kennt man von Gazprom bislang aber nicht.

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9 Kommentare

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  • Es wäre gut bei der Diskussion um Nordstream 2 nicht nur über Energiesicherheit, Wirtschaftlichkeit Putin, Trump,



    Wirtschaftssanktionen, die Stellung



    der Transitländer in Bezug auf Sicherheit und Weiterleitungsgebühren



    zu diskutieren, sondern auch folgende Dinge aufzulisten:



    - passierte Versenkungsstätten



    für Chemiewaffen:



    Pomeranian Bay (38.500t);



    Southwest of Bornholm, Denmark



    (15,000T of chemical munitions;



    2,250T of chemical agents)



    East of Bornholm, Denmark



    ( 5,920 mustard bombs, 591 adamsite bombs, 479 CN (chloroacetophenone) bombs, 671 mustard gas artillery shells, 61 adamsite artillery shells, 36 CN artillery shells, 314 mustard filled high-explosive bombs, 42 mustard gas mines, and 65 adamsite smoke grenades.



    Bulk chemical agents dumped near this location include: 80 mustard gas encasements, 693 adamsite encasements, 74 other chemical filled encasements (unspecified type) and 18 adamsite filled drums. In addition, unknown amount of viscous mustard gas, Clark I, Clark II, chloroacetophenone and possibly phosgene, nitrogen mustard, and tabun were dumped near these coordinates. [1]



    an additional 200 to 300T of chemical weapon+ 8,000T of unspecified chemical weapons) ;Bornholm Basin, Baltic Sea(gewaltige Chemiewaffenmengen); Gotland Basin, Baltic Sea (über 2000T Chemiewaffen), Gotland basin (3000T)



    + 300.000 T konventionelle Munition



    + Atommüll (sehr, sehr wahrscheinlich)



    + Nordstream 2 +1 jeweils



    Explosionskraft v. ca



    224.385.114.000.000J (mehr als 4 Hiroshima-Atombomben)--> beide Pipelines insgesamt mehr als 8 Hiroshimabombensprengkraft



    + starke Gefährdung der Atomkraftwerke transeuropäische Reaktorkatastrophen (Schweden - Barsebäck ,Schweden - Oskarshamn,



    Schweden - Ågesta,Schweden - Forsmark,Finnland - TVO (Olkiluoto),



    Finnland - Loviisa + Reste von AKW Lubmin falls noch da)



    ---> Nur ein Atomkraft müsste durch eine explodierende Pipeline havarieren und Skandinaviens Fortbestand wäre bedroht;



    Massensterben in Ostsee



    ---> völlig unverantwortbar

  • Handelsblatt schreibt:



    Rosatom setzt bei seiner Produktion auf sogenannten gelben Wasserstoff, der durch die Elektrolyse von Wasser entsteht. Dies gilt als eine der saubersten Methoden. Die Elektrolyse selbst will Rosatom allerdings mit Atomstrom durchführen, was in einigen Ländern Europas, unter anderem auch in Deutschland, auf Skepsis stoßen dürfte.



    www.handelsblatt.c...BeMzQF6fd6oIgu-ap5

  • Es gibt nichts Saubereres als verbranntes Erdgas. Unverbrannt wird niemand dieses freiwillig in die Luft blasen, außer die Kühe unserer Bauern und verrottendes Pflanzenmaterial. Das pupt alles, aber die Pipelines nur minimal. Papa Donald will Russland in die Knie zwingen, da ist ihm jedes Mittel recht.



    Sein Flüssiggas ist keinesfalls schlechter als das russische, selbst, wenn es LPG, also Propan und Butan wäre. Ehrgeizig , wie er ist.soll es verflüssigtes Erdgas sein, also Metahn, wie das russische, das erst gar nicht verflüssigt werden muss.



    Also, eigentlich kann man gar nicht gegen Northstream sein. Donald möchte nur nicht, dass Wladimir aus dem Erlös Atombomben baut und auf die Ukraine wirft, da habe ich sogar Verständnis für.

  • Seltsame Argumentation - amerikanisches Fracking-Gas macht große Probleme in den USA und Nordstream 2 muß deshalb gestoppt werden. Doch dass statt dessen Fracking-Gas per Schiff im großen Stil kommen wird, davon lese ich nichts. Die USA sind ganz heiß darauf und die Grünen haben dem schon zugestimmt.

    Dabei könnte man auch einen ganz anderen Artikel schreiben - Nordstream 2 hilft dabei große Fracking-Gas-Importe zu vermeiden und die neue Leitung könnte irgendwann die löchrigen, alten Leitungen ersetzen. In den nächsten Jahren hilft das Erdgas dabei, die starken Schwankungen der erneuerbaren Energien auszugleichen und später wird die Röhre für "Wind-Gas" genutzt. Bestrebungen dafür gibt es.

  • Fakt iwst halt leider: wenn NordStream2 nicht kommt, wird noch klimaschädlicheres Fracking-Gas aus den USA kommen, also ist die Klimaschutzargumentation leider garnicht sooo weit hergeholt, auch wenn ich die Argumentation hier in diesem Text natürlich verstehe.

  • Jetzt wird mit Erkenntnissen aus der US-Fracking Industrie auf Methan eingeprügelt. Dabei wird ganz übersehen, dass das Gas zumindest die Speicherprobleme der erneuerbaren für den Fall einer Dunkelflaute löst, in dezentralen KWK Einheiten nutzbar ist etc.

    Warum nicht NS2 statt der maroden Leitungen durch die Ukraine? Warum dann kein Protest gegen die LNG Terminals in D, die auch noch durch die Allgemeinheit gesponsort werden müssen?

  • Die Argumentation ist nicht besonders stichhaltig und vermischt diverse Sachverhalte. Einige Beispiele:

    1) Es wird argumentiert, dass Pipeline-Lecks und die dadurch entstehenden Methanaustritte die Klimabilanz von Erdgas verschlechtern. Prinzipiell einleuchtend. Leider werden keine Zahlen präsentiert, die dies untermauern bzw. zeigen, wie groß das Problem der Lecks ist. Außerdem bedeuten Methan-Lecks bei Weitem nicht, dass Kohle der sauberere Energieträger ist. Das angeführte Argument der Pipeline-Befürworter ("Gas besser als Kohle") lässt sich so nicht entkräften.

    2) Vorausgesetzt, Methan-Lecks wären ein zentrales Problem für die Klimabilanz des Energieträgers Erdgas - dann müsste man doch eine neue und intakte Pipeline begrüßen? Diese sollte doch deutlich weniger Lecks (im Idealfall keine) haben als jede bisher in Betrieb stehende.

    3) Die Argumentation richtet sich generell gegen Erdgasförderung in Russland und kritisiert Methanaustritte durch Lecks. Die einzigen Zahlen zu Methanaustritten beziehen sich aber auf die Förderung mittels Frackingverfahren in den USA - ein komplett anderes Förderungsverfahren. Wo ist da der Zusammenhang?

    4) Gasförderung wird kritisiert, weil sie CO2-freie Alternativen vom Markt drängt. Dieses Argument scheint ziemlich schwach, solange irgendeine schmutzigere Form von fossilen Energieträgern am Markt ist. Davon abgesehen: Auch hier wird unverständlicherweise eine Studie herbeigezogen, die sich auf Frackinggas bezieht. Wo ist der Zusammenhang zur Erdgasförderung? Richtig, nicht vorhanden.

    Insgesamt nicht überzeugend...

  • "Für die Nord-Stream-2-Röhre gäbe es allerdings in einem Klimaschutz-Szenario in etwa einem Jahrzehnt möglicherweise noch eine Verwendung: als Transportroute für Wasserstoff, den die Industrie in Europa dringend brauchen wird. Dafür müsste er in Russland mit erneuerbaren Energien hergestellt werden. Pläne dafür kennt man von Gazprom bislang aber nicht"

    .www.welt.de/wirtsc...ionsverfahren.html

    www.deraktionaer.d...klar-20204705.html

    Liebe taz, bitte einfach mal bei google oder ecosia die Worte "Gazprom" und "Wasserstoff" eingeben. Dann findet man spannende Erkenntnisse.

    Klingt komisch, ist aber so.

    Ach ja, wie wäre es, mit Russland, das die perfekten weiten Ebenen für Windräder hat, eine Windpark-Wasserstoff-Kooperation zu machen?



    Nur so ein Gedanke...

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Da stelle ich nicht zum ersten Mal die Frage, womit wir unsere Wohnungen im Winter warm bekommen? Kohle? Öl, Holz? Oder wie in Frankreich - Atomstrom? Das hört sich jetzt nichtbnach Alternativen zu Gas an. Erdwärme? Also Strom? Da dürften wir im Winter Mängel bekommen, den n die E-Autos sollen auch noch versorgt werden. Energiesparen wäre ein Konzept, scheint aber nicht sexy genug zu sein. Denn für etwas einzutreten, ist mühsamer als gegen etwas zu sein.



    Ich bin für Alternativen offen - frieren möchte ich aber nicht.