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Standpunkt Fahrradhelm und BGH Der Helm hilft nicht

Trägt für einen Unfall eine Schuld, wer ohne Helm fährt? Der BGH muss das verneinen. Wer den Helm trägt, ist vorm Autoverkehr eingeknickt.

Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Manche Dinge wirken vernünftig. Sie sind dabei nicht teuer, sie beuten niemanden aus und vernichten nicht den Planeten, und sie machen auch nicht dauerhaft hässlich. Es sprechen dennoch zu viele Gründe gegen das Helmtragen beim Fahrradfahren.

Der erste: Der Fahrradhelm ist das letztgültige Symbol der Unterwerfung unter die Allmacht des Autos. Wer den Helm trägt, ist vorm Autoverkehr eingeknickt. Dem Blech mit seinen spiegelnden Windschutzscheiben muss sich alles andere ergeben. Denn das Blech bestimmt die Bedingungen, unter denen alle Lebewesen sich unterm freien Himmel regen dürfen. Und wer neben ihm ein Streiflein Asphalt für sich beanspruchen will, muss sich schützen.

Die Verlogenheit, mit denen als Politiker getarnte Autolobbyisten bisweilen zum „Schutz der Radler“ nach der Helmpflicht rufen, erinnert stark an die Haltung, wonach Frauen mit Miniröcken selbst schuld sind, wenn Männer ihnen Gewalt antun. Im Sinne des ungehinderten Autoverkehrs geht da übrigens noch was: Kinder sollten bis zur Führerscheinreife das Haus nur noch zum Schulgang verlassen.

Auch Gehbehinderte stören den motorisierten öffentlichen Ablauf. Zu oft schaffen sie es nicht bei Grün über die Ampel. Wer Helmpflicht fordert, will eigentlich nur die Autofahrer davor schützen, beim Totfahren eines Radlers traumatisiert zu werden. Schon die Debatte über die Helmpflicht zu starten, ist ein durchschaubarer Versuch, die Verantwortung für die Risiken des Autofahrens an die Verkehrsopfer weiterzureichen. Nichts ist peinlicher als Autofahrer, die sich über „Kampfradler“ ausweinen.

Auto biegt ab, Rad nicht

Eine Untersuchung aller deutschen Fahrradunfälle in Deutschland im Jahr 2012 ergibt, dass der am stärksten vertretene, sozusagen typische Unfall zwischen Auto und Rad der „Abbiegeunfall “ ist: Auto biegt ab, Rad will geradeaus. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) – wahrhaftig kein Fahrradlobbyverein – ermittelte, dass in über 90 Prozent der Fälle die Autofahrer Schuld hatten.

Auch wer mit dem Fuß auf dem Gaspedal geboren ist, wird anerkennen, dass Autofahrer im Verkehr die Stärkeren sind. Dass sie fast allen Platz haben. Und dass auf jeden Radler, der ihnen in der Einbahnstraße begegnet, zehn Radfahrer kommen, die sie mit weniger als den vorgeschriebenen 1,50 Meter Abstand überholt haben.

Kurz: Die Machtverhältnisse im Straßenverkehr sind klar genug. Konkreter und wichtiger aber ist die Frage, was Helme überhaupt nützen. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von methodisch anerkannten Studien darüber, ob Helme das Radfahren sicherer machen.

Eine kurze Antwort lautet: Im Einzelfall möglicherweise schon, insgesamt aber kaum bis gar nicht. Den Trend gesetzt hat dabei die 1996er Erhebung durch Dorothy Robinson von der University of New England in Australien. Demnach nahm die Zahl der radelnden Kinder wie Erwachsenen rasant ab, nachdem dort 1991 die Helmpflicht eingeführt wurde. Das Risiko einer tödlichen Verletzung dagegen blieb gleich.

Ein Teil von Robinsons Daten legt auch nahe, dass es pro Radler sogar mehr Kopfverletzungen gab, was gemäß der „Safety in Numbers“-Theorie so interpretiert wird, dass weniger Radler auf der Straße zu unvorsichtigerem Autofahrer-Verhalten führen. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommen die meisten der neueren Erhebungen, die seit Einführung der Helmpflicht – meist nur für Kinder – in den USA gemacht wurden.

Das National Bureau of Economic Research fasste im Februar 2013 zusammen: Die Effekte der Helmgesetze auf die Kopf- und sonstigen Verletzungsrisiken seien „klein, und statistisch unterscheiden sie sich nicht von Null.“ Auch in Kanada wurde 2013 das Kopfverletzungsrisiko für Radler in kanadischen Provinzen mit und ohne Helmpflicht verglichen.

Die Forscher der Universität von Toronto fanden zwar, dass das Verletzungsrisiko bei Erwachsenen wie bei jungen Menschen mit der Helmpflicht fiel. Doch erklären sie auch: „Im kanadischen Kontext existierender Sicherheitskampagnen, Verbesserungen an der Rad-Infrastruktur, und des freiwilligen Helmtragens“ scheine der Beitrag der Helmpflicht selbst zur Reduktion von Verletzungen „minimal zu sein“. Womit ein wichtiges Wort gefallen ist: Kontext.

Die Studien, die Richtung Nutzen der Helme herauskommen, belegen dies nur für Kinder, kaum für Erwachsene, und betreffen daher auch ein anderes Radel- und Risikoverhalten. Insgesamt gehen die Fahrradforscher davon aus, dass eine Helmpflicht in Ländern wie Deutschland, wo Radeln viel verbreiteter ist als in Kanada, den USA oder Australien, sich noch einmal ganz anders auswirken dürfte als dort.

Dieses Urteil ist ein Skandal

In allen Diskussionen in der englischsprachigen Welt aber wird darauf verwiesen, dass in den europäischen Ländern, wo am meisten geradelt und am wenigsten Helm getragen wird, das Kopfverletzungsrisiko pro Kilometer am geringsten ist. Ein Skandal ist daher das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom Juni 2013, wonach eine Krankengymnastin, die von einer Tür öffnenden Autofahrerin vom Rad geholt und schwer und dauerhaft verletzt wurde, eine Teilschuld getragen habe, da „ein ordentlicher und verständiger Mensch“ (O-Ton Gericht) Helm trage.

Der Bundesgerichtshof kann dieses Urteil in diesem Jahr eigentlich nur kassieren. Wenn nicht, zieht mit der Vorstellung der Schleswiger Richter vom „ordentlichen und verständigen Menschen“ die indirekte Helmpflicht in Deutschland ein. Man ahnt es schon: Rentner werden „nur zu Ihrem Schutz!“ unbehelmten Radlern ihre Spazierstöcke in die Speichen stecken und nach der Polizei rufen.

Es wird eine „Meldeden-Helmsünder“-App für Autofahrer geben. Sie werden beim Zu-dicht-Überholen die helmlose Radlerin anschreien, sie werde schon sehen, wohin das führe. Eigentlich müsste man jetzt schon zur Wahrung zivilisatorischer Standards das dauerhafte Verbot der Helmpflicht ins Grundgesetz schreiben.

Ulrike Winkelmann, 42, Redakteurin für Innenpolitik in der taz, fährt jeden Tag mit dem Rad in die Redaktion und ärgert sich über Kampf-Autofahrer.

Den Inhalt können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren. Der Artikel erscheint in der neuen Ausgabe zeo2 2/2014, nun am guten Kiosk und im eKiosk der taz erhältlich.