Skandal um Neonazi-Terrorbande: Dresden schläft, Jena steht auf
In Thüringen stellt sich die Politik der Herausforderung des rechten Terrornetzes. Doch Sachsens schwarz-gelbe Regierung tut sich schwer mit dem Skandal.
Thüringen steht auf gegen rechts. Rund 50.000 Besucher pilgerten am Freitagabend zur "RocknRoll-Arena in Jena für die bunte Republik Deutschland" in den Stadtteil Oberaue. Das Konzert hatte der mit dem Altrocker Udo Lindenberg befreundete SPD-Parteichef Sigmar Gabriel vermittelt, die Stadt Jena eine knappe Woche für die Organisation benötigt. Neben Lindenberg traten dort unter anderem Peter Maffay, der Erfurter Jungstar Clueso und die DDR-Legende Silly auf. Auch die Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) reiste an.
In Thüringen ist die Aufarbeitung dessen, wie mit Rechtsextremismus und rechtem Terror umgegangen wurde und umzugehen ist, sichtlich im Gang. Vom Nachbarland Sachsen lässt sich das nicht behaupten. Sogar die Forderung der sächsischen SPD, Sachsen solle in der vom Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer geleiteten Thüringer Untersuchungskommission mitarbeiten, wird von der Dresdner Landesregierung bislang abgelehnt.
Eine gewisse sächsische Schläfrigkeit in Sachen Nazi-Terror wurde zwar vor gut einer Woche von etwa 1.500 Menschen konterkariert, die in Zwickau gegen Nazis demonstrierten. Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) und Innenminister Markus Ulbig (CDU) standen dort gemeinsam auf der Bühne. Kurz darauf beschämten allerdings Fußballfans die Stadt wieder: Beim Oberligaspiel des FSV Zwickau skandierten sie "Terrorzelle Zwickau - olé, olé, olé!". In der Mannschaftskabine rief ein Spieler "Sieg Heil!".
Ministerpräsident meidet das Rednerpult
Die sächsische schwarz-gelbe Koalition wacht erst allmählich auf. "Was muss eigentlich noch passieren, damit Tillich mal in die Bütt steigt?", raunte es schon vor zwei Wochen bei der Debatte zum NSU auf der Zuschauertribüne des Landtages. Unten in der Arena mühte sich gerade Innenminister Ulbig, den Vorwurf zu entkräften, man habe den Rechtsextremismus im Freistaat unterschätzt. Der Ministerpräsident aber mied wie bei allen brisanten Debatten das Rednerpult.
Erst eine ganze Woche nach der Regierungserklärung seiner Thüringer Kollegin Lieberknecht hatte Stanislaw Tillich in einer Routine-Pressekonferenz eine kurze Erklärung zum aufgedeckten Terror von rechts verlesen - nachdem Opposition und Leitartikler wiederholt eine solche Reaktion verlangt hatten. Darin trug er überwiegend Selbstverständlichkeiten und Bedauernsfloskeln vor. Wie sehr die CDU den alten Denkrastern der Extremismustheorie verhaftet bleibt, zeigte Tillichs Betonung des "Kampfes gegen jegliche Form von Extremismus".
Und erst, als die halbe Union im Bund dies bereits gefordert hatte, stieß Tillich auf dem CDU-Landesparteitag am vorvergangenen Wochenende in das Horn eines NPD-Verbots. Immerhin stockt die Landesregierung das mit zwei Millionen Euro dotierte Landesprogramm "Weltoffenes Sachsen" um eine Million auf. Die Verfassungstreueerklärung, die Initiativen gegen rechts als diskriminierend empfinden, wird ihnen aber weiterhin abverlangt.
Emotionales Aufklärungsverlangen
Derzeit erlebe man die "logische Konsequenz einer verstetigten Ignoranz gegen die Gefahr von rechts", erklärte Linken-Fraktionschef André Hahn im Sächsischen Landtag. Während die Opposition von Linken, SPD und Grünen bei der Landesregierung noch auf Anzeichen von Selbstkritik wartet, bietet die Landtagsfraktion der CDU wohl ein differenzierteres Bild. Von den CDU-Abgeordneten seien wohl "einige sehr nachdenklich geworden", schätzt Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau ein. "Viele sehen eine Bedrohung des Staates von rechts", meint der rechtspolitische Sprecher Marko Schiemann von der CDU.
So räumte der Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz, Günter Schneider, vor dem Landtagsplenum "Staatsversagen" ein. "Dafür schäme ich mich zutiefst", rief der CDU-Abgeordnete. Das Verhalten des Verfassungsschutzes sei keine Erfolgsgeschichte, sondern "offensichtlich ein Desaster". Parallelen zum emotionalen Aufklärungsverlangen seines Thüringer CDU-Kollegen Wolfgang Fiedler drängen sich auf.
Zum ersten Mal seit dem Konsens zum Umgang mit der NPD nach deren Landtagseinzug 2004 verständigten sich die demokratischen Fraktionen im Landtag auf eine gemeinsame Erklärung. Sie zielt nach dem Vorbild des Bundestages auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
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