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Sebastian Edathy wehrt sichFlucht nach vorne

Als „jenseits von Gut und Böse“ bezeichnet Edathys Anwalt das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Und er reicht eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein.

Kämpferisch: Sebatian Edathy. Bild: dpa

BERLIN taz | Jetzt geht Sebastian Edathy in die Gegenoffensive. Über seinen Berliner Anwalt Sebastian Noll reichte der SPD-Politiker am Montag Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft Hannover ein – und kritisiert darin heftig die Ermittler. Diese agierten „jenseits von Gut und Böse, ihr Verhalten sprengt die Grenzen des Rechtmäßigen und Vertretbaren“.

Damit reagiert Edathy auf eine Pressekonferenz des Hannoveraner Oberstaatsanwalts Jörg Fröhlich. Der hatte am Freitag von seinen Ermittlungen gegen den SPD-Mann berichtet, der zwischen 2005 und 2010 insgesamt 31 Videos und Fotosets bei der kanadischen Firma Azov Films, die auch Kinderpornografie anbot, bestellt habe.

Noll fordert nun in seinem elfseitigen Schreiben an das niedersächsische Justizministerium, Fröhlich die Zuständigkeit für das Verfahren zu entziehen. Dieser habe „bewusst unrichtig“ informiert, auch ermittle er „voreingenommen“. Das Verfahren gegen Edathy hätte nie eingeleitet werden dürfen. Laut Noll hatte das BKA bereits 2012 die von Edathy bestellten Filme als „nicht kinder-/jugendpornografisch“ eingestuft. Eine strafrechtliche Relevanz sei im Oktober 2013 auch von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main, zuständig für Internetkriminalität, verneint worden.

Fröhlich hatte das Material – Bilder von nackten Jungen zwischen 9 und 13 Jahren – als „im Grenzbereich zur Kinderpornografie“ bezeichnet. Da sich eine Mehrheit der Staatsanwaltschaften im Fall „Azov“ zu Verfahren entschieden hatte, habe man auch gegen Edathy ermittelt. Zudem besäßen Inhaber dieser „Kategorie-2-Materials“ meist auch klar indiziertes Material.

Fröhlich hatte als Indiz auch angeführt, dass sich Edathy das Material „konspirativ“, über verschiedene E-Mail-Adressen und eigens angelegte Kreditkartenkonten beschafft habe. Auch das weist Noll als „infam“ zurück. Edathy habe unter eigenem Namen und Anschrift bestellt, die Kreditkarten seien ihm zuzuordnen gewesen. „Das war genau das Gegenteil von konspirativ.“

Auch weist Noll zurück, dass ein Zusammenhang zwischen dem Rücktritt Edathys als Bundestagsabgeordneter und einem am gleichen Tag versandten Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung von dessen Immunität besteht. Edathy sei zurückgetreten, da die drohenden Ermittlungen eine „ungeheure Belastung“ darstellten, „die sich nicht ewig durchhalten lässt“.

Erschütterter Oberstaatsanwalt

Schließlich wirft Noll den Ermittlern auch vor, Akteninhalte an die Presse weitergereicht zu haben. Hierüber hatte sich freilich auch Fröhlich „erschüttert“ gezeigt und seinerseits Ermittlungen angekündigt. Dass, wie Noll nahelegt, die Ermittler auch die Lokalzeitung Die Harke über die Hausdurchsuchung bei Edathy informierten, hatte deren Redakteur bereits zurückgewiesen: Anwohner hätten ihn auf den Einsatz hingewiesen.

Aktuell wollte sich die Staatsanwaltschaft nicht zu den Vorwürfen äußern. Auch das BKA lehnte einen Kommentar ab. Derweil dauert die Prüfung der Staatsanwaltschaft an, ob ein Anfangsverdacht eines Geheimnisverrats im Fall Edathy vorliegt. Im Fokus steht hier der am Freitag zurückgetretene Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der als Innenminister im Oktober 2013 SPD-Chef Sigmar Gabriel über die Ermittlungen informiert hatte.

Ermittlungen gegen BKA-Chef Jörg Ziercke lehnte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden am Montag dagegen ab. Ziercke hatte sich verteidigt, in einem Telefonat mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nichts zu dem Sachverhalt gesagt zu haben. Das bestätigt inzwischen auch Oppermann. Daher gebe es laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft keinen Hinweis auf eine Geheimnisweitergabe.

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15 Kommentare

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  • LP
    Lilly Palmwedel

    @Irma La Douche

    Ich verstehe deinen Ärger voll und ganz. Ich finde, dass Edathy einer von lediglich achthundert Personen ist, gegen die in Deutschland ermittelt wird, verbietet bereits, unkritisch davon auszugehen, dass er erst in dem Moment weiterführend verdächtig sein darf, wo ein Hardcore-Porno gefunden wurde. Auch das, was alle forensischen Experten unisono dazu angeben, spricht eine eindeutige Sprache. Dann verlorene Laptops, vernichtete Festplatten, seine Flucht. Wäre Edathy hier geblieben und hätte vielleicht versucht, zu erklären, in welcher Notlage ein Pädophiler sich befindet, alles würde ganz anders ausgesehen haben können - aber so ist auch mir die weiter gegebene Solidarisierung mit dem Mann ein Rätsel. Verstehen könnte ich noch, dass man dem Helden des NSU-Ausschusses etwas zu schulden glaubt. Perfide würde es aber ab da, wo es bei der vorgeblichen Solidarität in Wahrheit lediglich darum ginge, Munition gegen die GroKo aus der Affäre zu brechen.

  • IL
    Irma la Douce

    Es wurde gegen einige Männer aus Deutschland ermittelt, 800 hatten Material bei dem Pornoring bestellt. Die Firma hatte ihre Kunden sogar gewarnt, dass sie aufgeflogen ist. Ausgehend von der Operation "Spade" in Kanada, im Zuge dessen n wurden Kinder befreit, bitte selber googeln. Aber ja, weil Herr E. ein Politiker ist, hätte die Staatsanwaltschaft bei ihm eine Ausnahme machen sollen? Viele User und auch die Taz sind auf seiner Seite. Seltsame Männersolidarität.

  • G
    Gast

    Nicht alles ist durch Gesetze zu regeln. So ekelhaft es sich anfühlt: wird Herrn E. nichts weiteres nachgewiesen...hat er LEIDER Recht. Die wahren Opfer aber sind die Kinder. Deswegen hätte ich ähnlich reagiert wie die SPD.

    Noch schlimmer: der Fall des Kindermörders Gäffgen, der auf Schadensersatz wegen Folterandrohung geklagt hat. So abstoßend dieser Kindermörder war, Folterandrohung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung und ich bin absolut dagegen...aber ich weiß nicht wie ich reagieren würde wenn ein Gäffgen vor mir sitzt und ich die Hoffnung hätte ein Kind retten zu können...Puh, die Schutzschicht Recht und Gesetz ist manchmal sehr dünn.

  • G
    gerstenmeyer

    und nicht nur in dieser hinsicht

  • G
    Gast444

    Herr Edathy gibt ja zu:

    "Harmloses, rechtlich nicht angreifbares Material" bestellt zu haben.

     

    Vor Zeiten des Internets, nannte man solch sexuell anregende Fotos als "Schmuddelbilder"!

     

    Anstößig!

     

    Anregend nur für eine bestimmte Klientel.

     

    Und schon wieder ein Trickser, ein Ausbeuter unseres liberalen Rechtssystems, der sich wohl auch noch als Opfer sehen könnte, diese Bilder etc. überhaupt erhalten zu haben und jene betrachten haben zu müssen.

     

    Und dann noch diese Aufsichtsdienstbeschwerde...und der laptop gestohlen....

     

    Verschwinden Sie einfach in der Versenkung, Herr Edathy!

     

    Und die Parteienkumpanie wird nie aufklären, was wirklich geschah.

     

    Das Schlimmste daran ist aber, dass anscheinend mehrere Menschen aus ganz unterschieldichen politischen Lagern und Parteien einen, sagen wir es mal, "Kinderfreund", schützen.

     

    Wie tief ist dieses Land gesunken!?

  • S
    Schreibär

    Die Seltsamkeiten stinken langsam zum Himmel. Bei den umfassenden Kenntnissen, die die Strafverfolger anscheinend über Edathy haben, hätten sie ihn längst öffentlichkeitswirksam vorgeführt, hätte er sich tatsächlich strafbar gemacht. Er dürfte von Computern und dem Internet auch 2005 bis 2010 durchaus genug verstanden haben, um zu wissen, dass Online-Käufe mit Kreditkarten unter eigenem Namen Spuren breit wie eine Elefantenherde hinterlassen - beim Lieferanten, bei den Kreditkartenfirmen, bei seiner Bank und seinem Provider. Auch, dass man sich höchstens verdächtig macht, wenn man in seiner Bude Festplatten zerkloppt, die man genau so gut mit Wipern wie "Eraser" bearbeiten könnte, dürfte er gewusst haben.

     

    Also will ihn unbedingt jemand erledigen, und dazu nutzt dieser Jemand das Kompromat, das sich über Edathy bei irgendwelchen Diensten angesammelt hat: Schmuddelige Filmchen, die nahelegen, Edathy sei ein "Pädophiler", der seine Triebe nur mühsam im Griff behalte.

     

    Ist die Vermutung so schrecklich weit hergeholt, das habe mit Edathys Rolle bei der Aufarbeitung diverser Verfassungs-"schutz"-Aktivitäten im NSU-U-Ausschuss zu tun? Und ist die Idee nicht nahe liegend, dass über jeden Menschen, der diesem Ausschuss (oder anderen wichtigen Gremien) vorstehen darf, Material zu seiner Erpressung bereit liegt?

  • H
    Heiner

    Es steht doch dort oben geschrieben, Edathy habe die "insgesamt 31 Videos und Fotosets" "zwischen 2005 und 2010" bestellt.

     

    Seit wann wissen wir von der Existenz des sog. "NSU"?

     

    Ebend!

  • A
    Arne

    Ich würde jetzt allmählich mal die Verbindungen von diesem Staatsanwalt und einigen Ermittlern zu der SPD und den Genossen, die von Edathys Ausscheiden aus der Politik profitieren, untersuchen.

     

    Das hört sich alles nach einer picco-bello parteiinternen Intrige an, wie man lästige Konkurrenten los wird, indem man u.U. eine Sache forciert, die man ebenso gut hätte einstellen können (Das BKA sieht ja keinerlei strafrechtliche Zusammenhänge).

    Man kann daraus natürlich auch was für die Öffentlichkeit machen, insbesondere die Presse freut sich ja, wenn sie was von Kinderpornos und Bundestagsabgeordneten hört. Sex, Crime und Macht, das verkauft sich.

    Und irgendwer, der einen Posten haben wollte, den Edathy vielleicht schon sicher war, freut sich jetzt, weil er irgendwie dafür gesorgt hat, dass das alles an die große Glocke kam, obwohl nur heiße Luft dahinter sein dürfte.

  • S
    serbmem

    Jetzt wurde ihn auch noch das Laptop geklaut. Der arme Mann.

  • I
    ISI

    Mir drängt sich da immer mehr der Verdacht auf, das man ihn als Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses zur NSU Affäre abschießen will..........Der hat wohl nicht wie gewünscht, funktioniert ?!

    • PO
      Pankow Observer
      @ISI:

      Jetzt komm mal langsam runter vom Verschwörungszug und dem NSU-Thema!

       

      Wenn ich die ganze Zeit die Rolle des Opferlamms spiele, aber im Hintergrund Kausalitäten schaffe die keine anderen Rückschlüsse zulassen, dann bin ich nunmal geliefert.

       

      Warum ist Dir die Unschuldsvermutung immer nur wichtig wenn es um Themen geht die dir konform sind? Hast du schonmal die Unschuldsvermutung für zu Guttenberg gefordert?

  • S
    Susanne

    Achso - und weil alles seine Richtigkeit hat, hat er auch generalstabsmäßig seine Festplatten zerstört!

    • M
      Michael
      @Susanne:

      Ja, was machen Sie denn mit Ihren eigenen Platten?

      Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik rät seit Jahren, nicht mehr gebrauchte Festplatten physisch zu zerstören.

      Dabei muss man natürlich gründlich sein, sonst macht das Ganze keinen Sinn - das nennen Sie wohl "generalstabsmäßig"?

      Gerade von einem MdB erwarte ich, dass dass er keine Staatsgeheimnise auf den Sperrmüll wirft.

  • SF
    Schlomo Finkel

    Der Mann ist gesellschaftlich wie politisch tot, egal wohin er flüchtet.

    • M
      Michael
      @Schlomo Finkel:

      Zitat: "Der Mann ist gesellschaftlich wie politisch tot, egal wohin er flüchtet."

      Und Sie vielleicht auch:

      Seien Sie mal nicht so sicher, dass auf Ihrem Rechner kein anstößiges Material gespeichert ist.

      Dafür reicht es schon, dass Sie in einer Suchmaschine einen Begriff eingeben, welcher in einer anderen Sprache vielleicht eine einschlägige Bedeutung hat - schon landet über die Trefferseite Ihrer Suchmaschine entsprechendes Bildmaterial in Ihrem Browsercache.

      Aber Sie löschen Ihren Browsercache bei jedem Beenden des Browsers?

      Hilft nicht: Bei einer kriminaltechnischen Untersuchung würden gelöschte Dateien wieder hergestellt.

      Davon, dass Unbefugte heutzutage Jedem Material auf den Rechner schmuggeln können (z.B. aktuell: Fritzbox-Hack) mal gar nicht zu reden.

      In Sachen Internetkriminalität hinken Justiz und Kriminalistik mit ihren Schuld- und Beweismittel-Begriffen 15 Jahre hinter der Realität her, nicht einmal Fingerabdrücke besagen heutzutage noch etwas - wer ein Verbrechen plant, kann sich problemlos fremde Fingerabdrücke besorgen und diese am Tatort hinterlassen.

      Sie sollten Leute daher nicht so schnell verurteilen - und selbst jemand "Verurteiltes" kann, siehe oben, unschuldig sein.