SPD in Berlin-Neukölln: The Big Buschkowsky
In den Westbezirken verlor die SPD. Der Bürgermeister in Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, legte um 8 Prozent zu. Er profiliert sich als Anti-Wowereit.
BERLIN taz | Auch wenn den Berliner Sozialdemokraten die Mehrheit auf Landesebene erhalten blieb, bei den Bezirkswahlen hat die SPD vor allem im Westen Stimmen verloren. Nur in Spandau konnte sie sich um einen Prozentpunkt verbessern – und in Neukölln. Von 34,6 Prozent bei der Wahl 2006 haben sich die Sozialdemokraten dort auf 42,7 gesteigert, um 8,1 Prozentpunkte. Die CDU hingegen hat dort über 9 Prozentpunkte verloren – und die NPD wurde wieder unter die Dreiprozenthürde gedrückt.
Dass der gerade unter Migranten respektierte, ja populäre und mit seinen einprägsamen Sprüchen ("Multikulti ist gescheitert!") bundesweit bekannte Sozialdemokrat Heinz Buschkowsky wieder und damit zum dritten Mal Bürgermeister werden würden, stand nie ernsthaft infrage. Selbst im bürgerlichen Süden des Bezirks Neukölln, wo für das Abgeordnetenhaus gern die CDU gewählt wird, hat der 64-Jährige viele Fans.
Kein Wunder, der Mann, der dort in einer Kellerwohnung geboren wurde, schafft es, seine Glaubwürdigkeit als pragmatischer Kümmerer mit echter, gleichwohl energischer Liebe zu seinem Bezirk selbst für jene zu bewahren, die seine Politik nicht mittragen. Ein Popstar, mit dessen Bild die SPD in Neukölln Wände plakatieren ließ, und einer, der eine eigene Fangemeinde unter Jungerwachsenen hat.
Buschkowsky ist auch öffentlich präsent: Im Anzug und mit seinen Nilpferdkrawatten in überregionalen Talkshows, wo er Neukölln gleichzeitig als Problembezirk und als vitales Modell für Europa präsentiert. Er mischt sich hemdsärmlig an Wochenenden bei Zirkusvorstellungen Neuköllner GrundschülerInnen unters Publikum oder sitzt werktags zum privaten Abendbrot im Schloss Britz, einem Vorzeigeprojekt zur Ausbildung von Jugendlichen im Gastrogewerbe.
Glamouröser Buschkowsky
So ist der kleine runde Mann zum einzigen Berliner Sozialdemokraten geworden, der neben Klaus Wowereit als eigenständige, fast glamouröse Person wahrgenommen wird - auch wenn die zwei dabei so etwas wie die Antipoden der aktuellen Sozialdemokratie darstellen: Wowereit als der smarte, coole Weglächler, Buschkowsky als herzhafter Anpacker und motziger Problemansprecher - der Salon- und der Stammtischsozialdemokrat.
Wobei Wowereit Buschkowsky voriges Jahr noch abtat: Ein "Dorfschulze par excellence" sei der, also ein täppisch-provinzieller Politiker, dem das Air der großen weiten Welt fehle. Den Wählenden hat es gefallen: Buschkowsky ist am Tag nach der Wahl der einzige Sozialdemokrat Berlins, der mit fettem Behagen auf die Ergebnisse schauen kann.
Heinz Buschkowsky ist es in zehn Bürgermeisterjahren gelungen, das Image Neuköllns von arm-gefährlich-schmuddelig in lebenswert, cool und attraktiv zu verändern - ohne die Probleme dabei auszublenden. Wowereits Slogan "arm, aber sexy" ist in Buschkowskys Neukölln Realität und Programm. Auch bei vielen nicht deutschstämmigen WählerInnen kommt der Pragmatiker - einer der schärfsten Kritiker des dünkelhaften Thilo Sarrazin - gut an.
Und die jungen Künstler und Designer, die den Bezirk neuerdings entdeckt und dort preiswerten Wohn- und Arbeitsraum gefunden haben, huldigen ihm auf dem wöchentlichen Designermarkt am Maybachufer, mit dem der Bezirk ihnen ein Forum bietet, mit einem Fan-Shirt: "The Big Buschkowsky" steht darauf, neben einem stilisierten Porträt des Bürgermeisters. Buschkowsky - Kult in Neukölln.
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