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Politik-Seifenoper in BrasilienHouse of Carnival

Brasilianer brauchen keine TV-Serien wie „House of Cards“ – sie haben die reale Politik. Eine wahre Geschichte in drei Staffeln.

Die Darsteller von Dilma Rousseff aus im Uhrzeigersinn: Michel Temer, Aécio Neves, Eduardo Cunha, Sérgio Moro, Lula da Silva Foto: taz-Montage mit ap/dpa/reuters

Was vorher geschah: Viele Jahre war Brasilien ein Boomland. Protagonist des wirtschaftlichen Aufschwungs war Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Dank seiner Sozialpolitik entkamen Millionen Brasilianer der Armut, Barack Obama nannte ihn den „beliebtesten Politiker der Welt“. Davon ist nicht mehr viel zu spüren, die Wirtschaft wächst längst nicht mehr, es herrscht Inflation. Schwere Zeiten für Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff, die zudem mit einem Korruptionsskandal im Ölkonzern Petrobras kämpft. Jahrelang war sie dort Aufsichtsratschefin. Das alte Establishment der seit jeher Reichen und Mächtigen wittert die Chance, die verhassten Linken zu entmachten.

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Staffel 1: Dilma muss weg

S01E01: Sieg

Dilma Rousseff hat die Wahl im Oktober 2014 nur äußerst knapp gewonnen. Ihre Gegner können es nicht glauben. Allen voran der konservative Kandidat Aécio Neves, er will seine Niederlage nicht akzeptieren. Öffentlich hält sich Neves zurück, aber in seiner Partei reden sie von Wahlbetrug. Dilma umarmt nach ihrer Dankesrede ihren Vorgänger Lula, den Garanten ihres Wahlsieges. Neben ihnen steht Vizepräsident Michel Temer. Er lächelt gezwungen.

S01E02: Das Komplott

Aécio Neves bekommt Unterstützung. Auch andere Politiker, Justizbeamte, Polizisten, Unternehmer und Verleger sind geschockt vom Sieg der Linken. Gemeinsam schlagen sie zurück. Oppositionspolitiker übertreiben das Ausmaß der Wirtschaftskrise – Zeitungen, Fernsehsender, Radiostationen berichten, als stünde das Land vor dem Untergang. Wegen der Petrobras-Affäre wird hauptsächlich gegen die Regierungsparteien ermittelt. Es gibt spektakuläre Festnahmen.

Das Idol

Luiz Inácio Lula da Silva heißt er, aber alle in Brasilien nennen ihn nur Lula. Er war ein bekannter Gewerkschafter, bevor er mit Weggefährten die Arbeiterpartei gründete. Während seiner Präsidentschaft erlebte Brasilien einen beispiellosen Aufschwung. Lula wurde der sympathischste Vertreter der linken Mächtigen in Südamerika. Auch der Internationale Währungsfonds fand ihn gut. Acht Jahre war Lula Präsident, dann durfte er nicht mehr antreten. Nun zieht es den 70-Jährigen, der einen Kehlkopfkrebs besiegte, zurück an die Macht.

S01E03: Bibel, Blei, Bullen

Parlamentspräsident Eduardo Cunha legt den Abgeordneten Gesetze vor, die die Staatsausgaben erhöhen sollen. So will er den Haushalt weiter belasten und die Regierung in die Enge treiben. Cunha verlässt sich dabei auf seine Freunde von der parteiübergreifenden Fraktion BBB – „Bíblia, Bala e Boi“, übersetzt: Bibel, Blei und Bullen. Die Evangelikalen, Waffenbefürworter und Landbesitzer kämpfen sonst gegen die Rechte von Homosexuellen und gegen Landreformen. Ihr neues Ziel heißt: Dilma Rousseff.

S01E04: Autowäsche

Von Curitiba an der Südküste Brasiliens aus führt Bundesrichter Sérgio Moro seit zwei Jahren die Ermittlungen im Fall Petrobras. Alles begann mit einer Razzia in einer Autowaschanlage in der Hauptstadt Brasília. Moro präsentiert einen neuen Kronzeugen: Ein ehemaliger Petrobras-Manager beschuldigt die Regierungspartei, bis zu 200 Millionen US-Dollar illegaler Spenden vom Ölkonzern erhalten zu haben.

Die Präsidentin

Dilma Rousseff blieb lange im Schatten ihres Vorgängers. Sie war Energieministerin und Lulas Stabschefin. Es war klar, dass sie eines Tages auch seine Nachfolgerin werden würde. Auch wenn die heute 58-Jährige Lulas Charisma nicht geerbt hat, schaffte sie es 2010 als Kandidatin der Arbeiterpartei als erste Frau ins Präsidentenamt und wurde gewählt. 2014 gewann sie erneut. Ihre Devise: Wachstum. Einst hatte sie ihr Volkswirtschaftsstudium für den bewaffneten Kampf gegen die Militärdiktatur unterbrochen, als Guerillera wurde sie im Gefängnis gefoltert. Die Intrigen gegen sie machen ihr zu schaffen, die meisten BrasilianerInnen wenden sich von ihr ab. Doch sie kämpft um ihr Amt.

S01E05: Geständnisse

Moro rechtfertigt seine harte Strategie als die einzig erfolgreiche im Kampf gegen die Korruption. Monatelange Untersuchungshaft, bis der Widerstand gebrochen und ein weiterer Prominenter bereit ist, als Kronzeuge auszusagen. Dann füttert er die Presse mit ausgewählten Passagen der Geständnisse. Seine Bilanz ist eindrucksvoll: Staatsgelder in Milliardenhöhe wurden zurückgezahlt, Topmanager und Politiker sitzen hinter Gittern. Moro wird als Präsidentschaftskandidat gehandelt.

S01E06: Auf der Straße

Millionen Menschen protestieren im ganzen Land gegen die Regierung. Rund um die Uhr zeigen die TV-Sender gelb-grüne Meere, aus Lautsprechern trötet die Nationalhymne. Aufblasbare Plastikpuppen zeigen Lula und Dilma in Sträflingskleidung. Soldaten wünschen sich die Militärdiktatur zurück. Dilma sorgt sich, weil zu den Demonstrationen ihrer Arbeiterpartei PT viel weniger Menschen kommen.

Der Gegenspieler

Aécio Neves tritt gern wie ein Playboy auf. 2014 verlor er gegen das Duo Dilma und Lula. Die Niederlage war knapp und hat den 56-Jährigen schwer getroffen. Bis heute weigert er sich, sie einzugestehen. Er schwankt zwischen diplomatischer und radikaler Kritik an Dilma, ihr Amt immer im Blick. Aber kann er mit seiner konservativen Oppositionspartei PSDB noch etwas erreichen? Auch parteiintern gibt es Streit: Er will sich nicht an einer möglichen Temer-Regierung beteiligen, denn er weiß, wie wenig beliebt eine solche Koalition bei den WählerInnen wäre. Einige in seiner Partei spekulieren aber schon auf ein Ministeramt und drängen auf ein Bündnis mit Temer.

S01E07: Der Japaner

Wenn bei prominenten Verdächtigen die Handschellen klicken, sind fast immer Kamerateams dabei. Ein japanisch-stämmiger Bundespolizist wird zum Medienliebling. Der „Japonês da Federal“ taucht plötzlich sogar im Kongress auf und posiert dort zusammen mit Abgeordneten der Bibel-Blei-und- Bullen-Fraktion als Retter der Ordnung. Dann kommt heraus: Es gibt ein Disziplinarverfahren gegen ihn, und er sollte eigentlich suspendiert werden. Unterdessen machen Politiker der PT dem Justizminister, ihrem Parteifreund, Druck. Er soll seine Leute zügeln.

S01E08: Ein Putsch?

Dilma versucht weiterzuregieren. Gegen Wirtschaftskrise, Korruptionsgerüchte und schlechte Stimmung. Ihre Widersacher diskutieren Anfang 2016 nicht mehr, ob, sondern nur noch, wie sie gehen wird: freiwilliger Rücktritt mit Neuwahlen, Amtsenthebung wegen Haushaltstricks, Rauswurf wegen illegaler Wahlkampffinanzierung? Oder soll doch das Militär Ordnung schaffen?

Der Stellvertreter

Michel Temer, seit 2011 Vizepräsident unter Dilma Rousseff, ist noch unbeliebter als seine Chefin – das muss man erst mal schaffen. Aber er ist seit Jahrzehnten im politischen Geschäft, es wäre ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Bis vor Kurzem war Temer Chef der PMDB, der größten Partei Brasiliens, die sich immer an der Macht orientiert und fast an allen Regierungen seit dem Ende der Militärdiktatur beteiligt war. Mit professioneller Geduld wartet Temer auf seinen Moment. Die großen Medien unterstützen ihn dabei. Dass er mit einer 32 Jahre alten ehemaligen Schönheitskönigin verheiratet ist, erwähnt die rechte Zeitung Veja anerkennend und schreibt, sie sei „schön, anständig und häuslich“.

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Staffel 2: Die Jagd auf Lula

Was bisher geschah: Nach Dilmas knapper Wiederwahl setzt die Opposition alles daran, sie wieder aus dem Amt zu drängen. Ihr kommt dabei gelegen, dass ein eifriger Bundesrichter die Präsidentin in seine Korruptionsermittlungen hineinziehen will. Anhänger beider Lager gehen auf die Straße.

S02E01: Das Comeback

Lange Zeit war es nur ein Gerücht an den Stammtischen, jetzt sagt Lula es selbst: Er wird 2018 wieder kandidieren. Zum sechsten Mal. Die letzten beiden Male gewann er. In Umfragen liegt er weit vorn. Den alten Eliten droht ein Albtraum. Nur die Unternehmer bleiben cool, denn mit Lula ließ sich stets bestens über Geschäfte reden.

Der Moralist

Eduardo Cunhapolarisiert. Für viele Linke ist er der verhassteste Politiker Brasiliens. Andere sehen in dem 57-Jährigen wegen seines Kampfes gegen Dilma Rousseff einen Helden. Obwohl der Politiker der PMDB schon kurz nach der Wahl mit Rouseff brach, gelang es ihm, Präsident des Abgeordnetenhauses zu werden. Der evangelikale Politiker benutzt dieses Amt mit Cleverness. Er blockiert Vorhaben der Regierung und bringt Gesetzesvorschläge ein, als wäre er selbst an der Macht. Dass er beste Beziehungen zum Unternehmertum hat, hilft ihm dabei. Gern geriert sich Cunha als moralisch unangreifbarer Christ, der Land und Familie vor ihrem Verfall schützt. Dabei ist er bisher der einzige ranghohe Politiker, der wegen Korruption vor dem Obersten Gericht angeklagt ist. Schweizer Staatsanwälte haben nachgewiesen, dass er ein paar Millionen Dollar Schmiergelder beiseite schaffte.

S02E02: Präsidentenmacher

Bundesrichter Moro hat sich ein neues Ziel ausgeguckt: den Wahlkampfmanager João Santana. Zweimal hat er Dilma den Weg zum Sieg geebnet, Lula einmal, 2006. Auch in El Salvador, Venezuela, Angola und in der Dominikanischen Republik half Santana beim Gewinnen. Sein Millionenhonorar in Brasilien soll mit Petrobras-Geld bezahlt worden sein. Richter Moro lässt ihn samt Ehefrau verhaften. Santana war gerade wieder in der Dominikanischen Republik, um einem weiteren Präsidenten zur Macht zu verhelfen. Als er zurückfliegt, weiß er, dass er ins Gefängnis muss.

S02E03: Das Apartment

Während Lula seine Rückkehr in die Politik vorbereitet, geht Sérgio Moro direkt gegen ihn vor: Der Expräsident besitzt ein Luxusapartment am Strand und ein schickes Grundstück auf dem Land, erklärt der Bundesrichter. Er wirft dem Expräsidenten Lügen und Steuerhinterziehung vor. Dass andere Namen im Grundbuch stehen, sei Fassade. Der Hausmeister und viele andere haben Lula zu oft dort gesehen. Außerdem haben bereits der Korruption überführte Bauunternehmer die Anwesen renoviert. Offensichtlich als Gefälligkeit.

Der Richter

Sérgio Moro, der Bundesrichter aus Curitiba, ermittelt im größten Korruptionsskandal Brasiliens. Das macht den 43-Jährigen für viele Brasilianer zum Nationalhelden, T-Shirts mit seinem Porträt verkaufen sich gut. In seinem Verfahren geht es um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, Schmiergelder in Milliardenhöhe, ein Kartell großer Bauunternehmen, überteuerte Aufträge und Bestechungsgelder. Moro ermittelt besonders hartnäckig gegen Mitglieder der Arbeiterpartei. Gerne würde er Präsidentin Dilma Rousseff in den Fall hineinziehen. Bisher konnte er ihr aber nichts nachweisen.

S02E04: Beinahe verhaftet

Früh am Morgen stürmen 200 schwer bewaffnete Bundespolizisten Lulas Haus in São Paulo und nehmen ihn zum Verhör mit. Auf der Wache des Innenstadtflughafens sagt der Expräsident nichts Neues. Eine Zusammenarbeit mit den Ermittlern hatte er nie verweigert. Es steht ein Flugzeug bereit, das ihn direkt in eine Zelle nach Curitiba, der Stadt von Bundesrichter Moro, bringen soll. Doch Lula kommt dort nie an. Über das Warum gibt es später nur Gerüchte, angeblich sollen Angestellte des Flughafens verhindert haben, dass Lula in die Maschine einsteigt.

S02E05: Zweiter Versuch

Als Nächstes versucht ein Staatsanwalt in São Paulo, an Lula heranzukommen. Er beantragt Untersuchungshaft. Es geht ebenfalls um das Strandapartment, aber der Vorwurf wird anders formuliert. Der Staatsanwalt sagt, Lula könne wegen seines Einflusses und seiner Macht den Korruptionsermittlungen gefährlich werden. Doch ein Gericht verhindert die Verhaftung. Lula sei in aller Welt bekannt und könne nirgendwohin unerkannt flüchten, urteilen die Richter.

S02E06: Dilmas Trick

Dilma ernennt Lula zum Kabinettschef. So nimmt sie ihren Vorgänger und möglichen Nachfolger aus der Schusslinie von Bundesrichter Moro. Denn Minister dürfen nur vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt werden. Die Opposition protestiert, als ihr die sicher geglaubte Beute so kurz vor dem Zugriff entwischt. Die Präsidentin erklärt, sie habe Lula wegen seiner politischen Qualitäten zum Kabinettschef gemacht.

S02E07: Die Wanze

Moro setzt alles auf eine Karte: Er lässt ein Telefonat von Dilma und Lula abhören und gibt es nur wenige Stunden später an die Presse weiter. Darin sagt Dilma, sie werde Lula die Ernennungsurkunde „für alle Fälle“ zuschicken. Für Moro der Beweis, dass Lula nur Minister wurde, um seinen Ermittlungen zu entkommen. Dilma sagt, Lula habe wegen seiner kranken Frau nicht in die Hauptstadt reisen können. Darum sei es in dem Gespräch gegangen. Das Land ist gespalten, die eine Hälfte glaubt Moros Version, die andere Dilmas. Der Bundesrichter entschuldigt sich später für das Abhören der Präsidentin. Folgen hat das für ihn keine.

S02E08: Lula darf nicht

Nach dem illegalen Mitschnitt reichen viele Oppositionspolitiker an ihren Wohnorten Klagen gegen die Ernennung Lulas zum Kabinettschef ein. Die Gerichte fällen mehrere Entscheidungen gegen Lula, doch die zweiten Instanzen heben die meisten wieder auf. Dann urteilt der Oberste Richter Gilmar Mendes, der schon öfter auf die Arbeiterpartei geschimpft hat: Der Expräsident darf nicht Minister werden. Das Plenum des Obersten Gerichts verschiebt die endgültige Entscheidung – die Richter wollen sich den Stress mit Lula nicht machen, wenn Dilma sowieso bald abgesetzt wird. Vorerst endet die Jagd auf Lula mit einem Patt. Dilma grübelt: War die Ernennung ihres Mentors zum Minister ein Fehler?

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Staffel 3: Die Macht ist nah

Was bisher geschah: Die Opposition will Dilma aus dem Weg räumen, was sich aber als schwieriger herausstellt als gedacht. Deshalb richtet sich der Eifer ihrer politischen Gegner und des Bundesrichters Sérgio Moro gegen ihren Vorgänger und Mentor Lula. Sie glauben, wenn der starke Mann in der Arbeiterpartei fällt, dann fällt auch Dilma Rousseff. Sie ernennt Lula zum Kabinettschef, um ihn vor der Justiz zu schützen.

S03E01: Haushaltsfrage

Sosehr die Opposition auch lästert, egal wie eifrig Moro auch wühlt – Dilma ist einfach nicht in die Korruptionsaffäre hineinzuziehen. Deshalb erheben ihre Gegner einen neuen Vorwurf: Sie soll mit den Haushaltszahlen getrickst haben, um sich ihre Wiederwahl zu sichern. Das haben ihre Vorgänger auch so gemacht, aber für Parlamentspräsident Eduardo Cunha ist das die Chance, seine Widersacherin endlich loszuwerden. Er eröffnet ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie.

S03E02: Weihnachtsdeko

Vizepräsident Michel Temer ist unzufrieden. Er schreibt im Dezember 2015 Dilma einen Brief. Er beklagt sich, nur eine „dekorative“ Rolle in der Regierung zu haben. In den sozialen Netzwerken machen sich die Leute darüber lustig, sie posten Bilder von Temer als Weihnachtsdeko. Heimlich lacht Dilma darüber. Öffentlich schweigt sie.

S03E03: Bruch

Dilma verliert ihren wichtigsten Koalitionspartner. Die Partei der demokratischen Bewegung verlässt nach 13 Jahren die Regierungskoalition. Das jedenfalls verkündet die Parteiführung. Aber nur der Tourismusminister ist bereits zurückgetreten. Die sechs weiteren Kabinettsmitglieder der Partei ziehen es vor, ihren Job zu behalten. Ihr Kalkül: Wenn sie ihre Posten behalten, kann Dilma sie nicht anderen Parteien im Austausch für Stimmen anbieten. Michel Temer legt den Parteivorsitz nieder, bleibt aber Vizepräsident. Nur in dieser Stellung kann er Dilma beerben.

S03E04: Die Rede

Es sind noch wenige Tage bis zur entscheidenden Abstimmung. Temers Laune ist ausgezeichnet, denn die Chancen, dass er bald Interimspräsident wird, sind gut. Er weiß aber auch, dass er bei den Wählern sehr unbeliebt ist. Er lässt eine 13-minütige Tonaufnahme durchsickern, auf der er seine Antrittsrede übt und verspricht, „das Land aus der Krise zu führen“: ein Test, wie er aktuell so ankommt beim Volk. Und eine Kampfansage an Dilma. Offiziell spricht Temer von einem Versehen.

S03E05: Fernsehverbot

Anhänger und Gegner der Regierung gehen auf die Straße. Für Dilma und gegen sie. Die Opposition erreicht vor Gericht, dass Dilma keine Fernsehansprache halten darf. Sie soll die Instrumente der Regierung nicht zu ihrer persönlichen Verteidigung nutzen. Ihre Botschaft bringt sie per Facebook unters Volk: Werde ich gestürzt, werden soziale Programme gekürzt. Lüge!, twittert Michel Temer. Er weiß, das Soziale ist die Stärke der Linken, nicht seine. Er und seine Verbündeten müssen die Abgeordneten in Brasília überzeugen, gegen Dilma Rousseff zu stimmen. Fraktionsdisziplin gibt es in Brasilien nicht. Es zählen Versprechungen und Geschenke.

S03E06: Für meine Tochter

Die Sitzung des Abgeordnetenhauses am 17. April zieht sich über mehr als sechs Stunden. Einzeln treten die Abgeordneten ans Mikrofon. Warum stimmen sie für die Amtsenthebung? „Wegen meiner ungeborenen Tochter“, „wegen der brasilianischen Ärzte“, „wegen Frieden in Jerusalem“. Parallel zum Politikkarneval laufen auf Twitter die Infos, mit welchen Korruptionsfällen der jeweilige Abgeordnete zu tun hat. Bis zuletzt hofft Dilma, dass sie noch Abgeordnete auf ihre Seite ziehen kann. Vergeblich. 367 Abgeordnete stimmen für eine Amtsenthebung, nur 137 stimmen dagegen. Dilma hat damit eine klare Zweidrittelmehrheit gegen sich. Ihre Gegner jubeln, bald haben sie es geschafft.

S03E07: Nach unten

Ende April reist Dilma für eine Sitzung der Vereinten Nationen nach New York. Weil sie zu Hause keine Chance mehr sieht, wendet sie sich an die Welt. Internationalen Journalisten sagt sie: Die Demokratie ist in Gefahr! Für meine Amtsenthebung gibt es keine gesetzliche Grundlage! Es droht ein Putsch! Im Kunstmuseum MoMa macht sie einen symbolträchtigen Fehler: Sie fährt mit der Rolltreppe nach unten.

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Demnächst

S04E01: Die Entscheidung

Nach dem Abgeordnetenhaus stimmt im Mai auch der Senat über die Amtsenthebung ab. Temer bereitet sich darauf vor, endlich für ein halbes Jahr Interimspräsident zu werden, mit Cunha als Stellvertreter. Doch Dilma und Lula geben nicht auf. 2018 wird wieder gewählt.

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2 Kommentare

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  • Liebe LeserInnen dieser brasilienerklärenden Verfasser:

    1) Ich hab ja (u.a.) mal für zwei Jahre in Curitiba gelebt, allein, von der Küste keine Spur. Allerdings gibts eine eindrucksvlle Eisenbahnroute dorthin.

    2) Die Bancada Ruralista (Agrar-Lobby, Bancada do Boi) muss unter PT-Regierungen nicht gegen Landreformen kämpfen. Denn die PT hat niemals auch nur einen kleinen Finger in diese Richtung bewegt. Im diamtralen Gegensatz zu ihren (leeren) Wahlverspreche®n.

    3) Dilma "soll" nicht mit Haushaltszahlen getrickst haben. Sie hat. Und zwar so gehörig, dass das Land in der tat nun leichte Beute für big-time-Finanzhaie werden kann. Und weil der Justizappart zuvor ebenso korrupt und unfähig war, wie die anderen beiden Wahldemokratiebeine Legislative und Exekutive, wurde gegen ihre Vorgängertricksler (leider) nicht ermittelt. Nun aber ist eine neue Generation dran (in der Justiz) und endlich wird gegen die (zumindest indirekt) mordraubenden GesetzesbrecherInnen auch "dort oben" vorgegangen. Das Höchstrichtergremium (wo die von Lula und Dilma Ernannten eine grosse Mehrheit haben) hält das Impeachmentverfahren für gesetzesgemäss! Und nur deshalb geschieht es ja.

    4) 367 vs. 137 erscheint mir eher eine Fast-Drei-Viertel-Mehrheit. Aber egal, gut zwei Drittel dieser "VolksvertreterInnen" sind ohnehin genauso korrupt wie jene über die sie Stäbe brechen. (Es wird noch sehr viel Richter- und Staatsanwaltarbeit brauchen. Besser wäre selbstverständlich qualitativ hochstehende Volksbildung - die Mafiosi werden ja allesamt gewählt - aber das wurde auch in 13 Jahren PT-Regierungen nicht nur erfolgreich verhindert, sondern noch weiter in schier unendliche Ferne gerückt.)

    5) Von Seifenoper zu schreiben ist, angesichts der Lage vieler Menschen im Land eine unangebrachte Ironie (und Verniedlichung). Landlose BauerInnen, Indigene, UmweltaktivistInnen, schwarze Favelados (...) wurden auch unter der "linken" Korruptions-, Lügen- und Missherrschaft so liquidiert, wie zuvor.

  • Der Artikel behandelt das Thema in verschiedenen Hinsichten unangemessen: Darstellungen wie "Seifenoper", "Carnival",... rufen bei einem deutschen Publikum nur kulturalistische, rassistische Klischees hervor: Als würden "die Brasilianer_innen" (im Gegensatz zu "den Deutschen") keine ordentliche Politik machen können, als läge es an der Unfähigkeit von Menschen und nicht an globalen, kapitalistischen Machtverhältnissen. Außerdem wird er dem Ernst der Lage nicht gerecht. Es würde wohl hoffentlich auch kaum eine_r lustig finden, von AfD, NSU, Pegida oder der europäischen Anti-Geflüchteten-Politik als Kasperletheater zu sprechen, wobei, huch, täglich Menschen leiden und sterben.