Pfandsammeln und Crowdfunding: Schafft mehr Untergrund-Währungen!
Pfand ist Umverteilung auf bescheidenem Niveau. Deshalb brauchen wir mehr davon: Pfand auf Glühbirnen, Weihnachtsbäume, Couchgarnituren.
Neulich in der U-Bahn: Einer bettelt, „kannst du mir ’nen Euro geben?“ „Nein, aber meine Flasche kannste haben.“ Er nimmt sie, kontrolliert, ob es Pfand darauf gibt, läuft weiter, fragt den Nächsten. Als er auf den Bahnsteig zurückkommt, hat er drei Flaschen unterm Arm. Mit monetärem Gegenwert. Crowdfunding – nur so nicht benannt.
Vor zehn Jahren wurde das Dosenpfand nach langem Hickhack endlich eingeführt. Seither wird es geschmäht. Was es bewirken sollte, einen größeren Gebrauch von Mehrwegflaschen, hätte es nicht erreicht, argumentieren die Gegner, die vor allem aus der Verpackungswirtschaft und Aluminiumverarbeitung kommen.
Überhaupt wurde jede Menge Häme über Pfandvorgaben geschüttet. Dennoch hat sich das System reibungslos etabliert. Und neben der Müllvermeidung wurde es zur „größten sozialen Errungenschaft“ der Nachkriegsgesellschaft, wie manche Pessimisten sagen. Zu einer Art Crowdfunding des Lebens.
Der Wert des Pfandsystems ist also an ganz anderer Stelle als dem Rücklauf der Flaschen zu suchen. Erstens gelingt mithilfe des Flaschenpfands eine monetäre Umverteilung, wenngleich auf bescheidenem Niveau. Zweitens bilden Pfandflaschen eine Untergrundwährung. Statt Geld bekommt der Bettler die Flasche.
Ein Kind zu bekommen, ist keine Krankheit. Tausende Mütter gehen deshalb nicht in eine Klinik, sondern zu einer Hebamme. Ein Beruf, der vielleicht bald verschwindet. Über das älteste Gewerbe der Welt lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14. Dezember 2014. Außerdem: Die Schüsse auf den rechten Rabbiner Yehuda Glick zeigen, wie am Tempelberg in Jerusalem derzeit täglich Kriege beginnen können. Die Geschichte eines Anschlags. Und: Endlich Fahrradzeit! Wenn die Kälte klirrt und die Finger am Lenker steif werden, hat man die Straßen endlich für sich. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Drittens hat es einen alten Beruf, den des Sammlers, reetabliert und transformiert hin zum neuen Sammler von Wohlstandsmüll. Sammelte der Sammler früher Dinge, die in der Natur herumlagen, sammelt er nun Dinge, bei denen Natur (Rohstoffe) in Kulturgüter (Flaschen) verwandelt wurde und die in der zivilisierten Gesellschaft herumliegen, als wären sie Teil der Natur.
Ökologischer und umweltsozialer Nutzen
Viertens bewirkt es, dass Armut und ungerechte Verteilung von Ressourcen durch die Flaschensammler sichtbar werden. Wer das Pfandsystem schmäht, will sich der Verantwortung, die aus diesen Punkten folgt, nicht stellen.
Richtiger wäre, die Pfandgebühr zu erhöhen und das Pfandsystem auszuweiten. Zu diesem Schluss kommt auch das Umweltbundesamt im Jahr 2010 in einer großen Studie, die dem Pfand einen ökologischen und umweltsozialen Nutzen attestiert: Die Flaschen liegen nicht mehr herum und verschmutzen die Umwelt.
Es gibt bereits weitere Untergrundwährungen: Umzugskartons, Altpapier in großen Mengen, volle Laubsäcke (nur solche, die man vorher leer bei den Stadtreinigungen kaufte) und Baumwolltaschen der Drogeriemarktkette dm. Wer diese Sachen zurückbringt, kriegt Geld zurück. Aber das wissen nur wenige, und für volle Laubsäcke, Papier und Umzugskartons braucht es geeignete Transportmöglichkeiten.
Um das System auszuweiten und um zu erreichen, dass ganz neue Untergrundpfandwährungen entstehen, müssen andere Dinge in den Fokus rücken. Solche, die es en masse gibt. Batterien zum Beispiel. Achtlos weggeworfen, verseuchen sie Böden und Wasser. Die neuen Glühbirnen auch.
Batterie- oder Glühbirnensammler
Es gibt keine akzeptable Begründung dafür, dass die Hersteller von Batterien und Glühbirnen die sachgemäße Entsorgung durch ein Pfandsystem nicht initiieren. Das Pfand darf nicht zu niedrig sein, um zum einen eine hohe Rücklaufquote zu erreichen und zum anderen für die zukünftigen Batterie- oder Glühbirnensammler ein höheres Zubrot zu generieren. Einzig der Widerstand bei den Unternehmen dürfte ein gewichtiges Argument gegen die Einführung sein. Dies zu überwinden ist Aufgabe der Politik.
Auf der Skala der Sympathiewerte steht das Crowdfunding, also die gemeinsame Finanzierung eines Projekts, sei es das neue taz-Haus, ein Forschungsvorhaben oder ein neues Start-up-Unternehmen, ganz oben. Die Bepfandung von Dingen und das sich darauf aufbauende System der Umverteilung aber wird bisher nicht als Crowdfunding verstanden, obwohl sie es ist. Unterstützt wird damit das Leben derjenigen, die für andere das Pfand erhalten.
Wer die Wertigkeit von Crowdfunding und Flaschensammeln nicht als zwei Seiten einer Medaille versteht, sondern dem einen den Nimbus des Feinen zubilligt, dem anderen aber den des Unfeinen, setzt damit das Funding von Projekten und Ideen über das des Lebens. So wird das aber nicht gemeint sein, oder?
Das Bepfanden von Kulturgütern müsste State of the Art werden. Die Entsorgung des Kühlschranks, der Couchgarnitur müsste schon beim Kauf bezahlt werden. Nicht zu knapp. Wer das Zeug zurückbringt, bekommt das Geld zurück. Wer das Zeug auf die Straße stellt, stellt das Pfand den Sammlern zur Verfügung. Ein Transportsystem werden diese mit Sicherheit in kürzester Zeit entwickeln, sofern sich der Aufwand lohnt.
Ein gutes Objekt, um das Pfandsystem zur Reife zu bringen, bietet sich demnächst: Weihnachtsbäume. Etwa 20 Millionen werden Ende des Jahres auf den Straßen liegen. Gibt es eine einzige Begründung dafür, dass deren Entsorgung Gemeinschaftsaufgabe ist? Und wie sähe die Sache aus, wenn jeder Christbaum im ausrangierten Zustand noch fünf Euro Pfand wert wäre, sofern man ihn zurückbrächte? Es könnte alles so schön sein.
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