Vorwürfe gegen Bremer IS-Aussteiger: Gegen Harry S. wird ermittelt
Ein neues Video des IS wirft die Frage auf, ob der Syrien-Rückkehrer Harry S. entgegen seiner Aussagen auf Menschen geschossen hat.
Im Juli war S. vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer vergleichsweise milden Strafe von drei Jahren Haft verurteilt worden. Das neue Video zeigt Harry S. nun, wie er bei einer Hinrichtung im syrischen Palmyra eine Pistole in der Hand hält und den Arm hebt. Ob er tatsächlich auch schießt, ist nicht zu sehen, weil ein anderer IS-Mann mit einer Maschinenpistole ins Bild läuft und die Sicht auf S. verdeckt.
Das ZDF aber geht mit Verweis auf „Waffenexperten“ sofort davon aus, dass Harry S. abgedrückt hat. Die mitgeschnittene Hinrichtung war wohl im Zuge eines Videodrehs für ein IS-Propaganda-Video entstanden und später aus dem Film geschnitten worden. Der Propaganda-Film gilt als eines der wichtigsten deutschsprachigen Mobilisierungsvideos des IS und wurde im Hamburger Gerichtsprozess detailreich erörtert.
Auf dem neuen Video ist auch zu sehen, wie Harry S. aus einem Truck heraus IS-Parolen skandiert. Verbreitet wurde das Video vom ZDF und der Washington Post – mit dem Hinweis, dass es aus dem Inneren der IS-Terrormiliz stammt. Nach den umfangreichen Aussagen über das Innenleben des IS liegt die Vermutung nahe, dass die Islamisten dem Abtrünnigen Harry S. schaden wollen.
Der Bremer hat sich noch nicht zu dem Video geäußert. „Ich bin nicht autorisiert, eine Erklärung abzugeben. Ich vermute aber, dass dahinter eine Propaganda-Kampagne steckt, um Harrys Zeugenaussagen zu desavouieren“, sagt sein Anwalt Udo Würtz der taz.
Harry S. hatte nach seiner Rückkehr aus Syrien vor Gericht und in Interviews erklärt, andere vor dem IS warnen und der Rekrutierung durch Präventionsarbeit entgegentreten zu wollen. Seine Auskunfts- und Kooperationsbereitschaft mit den deutschen Behörden hatte sich für Harry S. strafmildernd ausgewirkt, die Kronzeugenregelung wurde angewandt.
Die Anklage und ebenso das Urteil basierten im Wesentlichen auf dem, was Harry S. aussagte – es gab im Grunde nur seine Version der Geschichte. Seine Rolle während der Zeit beim IS hatte S. dabei als eher passiv beschrieben. I Bezug auf eine weitere Hinrichtungsszene hatte Harry S. gesagt, dass er sich geweigert habe, mitzumachen und er einen weiteren Kämpfer davon abgehalten habe, zu schießen.
Auf taz-Anfrage hat sich die Pressestelle der Bundesanwaltschaft am Mittwoch bis Redaktionsschluss nicht geäußert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?