Neue Regierung in Lettland: SS-Freunde regieren mit
Die rechtsextreme Partei "Alles für Lettland!" ist erstmals Teil der lettischen Regierungskoalition, teilte Ministerpräsident Valdis Dombrovskis mit. Menschenrechtler sind entsetzt.
![](https://taz.de/picture/246247/14/ministerpraesident_valdis_dombrovskis.jpg)
STOCKHOLM taz | Die Parteiführung hört es nicht gern, wenn man "Visu Latvijai!" ("Alles für Lettland!") als Neonazipartei bezeichnet oder ihr faschistische Züge vorwirft. Doch wie anders soll man eine Partei charakterisieren, die in Programmatik und Symbolik – bis hin zur Parteiuniform mit der Runen-Armbinde – solche Bezüge ganz bewusst selbst herstellt? Die Hunderttausende nur wegen ihrer ethnischen – russischen - Herkunft aus dem Land deportieren möchte. Und deren Aktivisten vor allem als Mitveranstalter der jährlichen Feiern der lettischen SS-Veteranen und bei gewaltsamen Protesten gegen Schwule und Lesben von sich reden machen.
Die Rechtsaußenpartei übernimmt in Lettland nun erstmals Regierungsverantwortung. Das kündigte der bisherige und künftige Ministerpräsident Valdis Dombrovskis am Montagabend an. Neben dem konservativ-liberalen Parteienbündnis "Einheit" ("Vienotība"), für das er kandidierte und das bei den Wahlen im September drittstärkste Kraft geworden war, und der damals zweitplatzierten "Zatlers Reformpartei" ("Zatlera reformu partija") des ehemaligen Staatspräsidenten Valdis Zatlers ist die "Nationale Allianz" ("VL-TB/LNNK") zu der sich die rechtsnationale Ex-Regierungspartei "Für Vaterland und Freiheit!" mit der rechtsextremen "Alles für Lettland!" zusammengeschlossen hatten, Teil der neuen Koalition.
Der Sieger der Parlamentswahlen vom 17. September, das sozialdemokratische "Harmonie-Zentrum" ("Saskaņas Centrs"), das 28,4 Prozent errungen hatte, muss damit erneut in die Opposition.
Zatlers Reformpartei hatte sich eigentlich ausdrücklich für eine Koalition unter Einschluss des Harmonie-Zentrums ausgesprochen. Auch mit der Begründung, dass eine – erstmalige – Regierungsbeteiligung dieser Partei dazu beitragen könne, die ethnischen Gräben in der Gesellschaft zu überbrücken.
Das Harmonie-Zentrum repräsentiert vorwiegend den russischsprachigen Bevölkerungsteil, stellt seit Sommer 2009 mit dem Parteichef Nils Ušakovs auch den Oberbürgermeister der Hauptstadt Riga und konnte bei den letzten Wahlen ihre Stimmenbasis jeweils deutlich verbreitern.
Es hatte sich nun koalitionswillig gezeigt und Ušakovs stellte ein Zugeständnis in Aussicht, das die "Russen-Partei" bisher immer abgelehnt hatte: Eine ausdrückliche Anerkennung, dass die Lettische Sowjetrepublik zwischen 1940 und 1990 eine Okkupation des Landes durch Moskau gewesen sei.
Doch Dombrovskis und seine "Einheit" blockierten eine solche Koalition und schlugen stattdessen eine von vorneherein unmögliche Konstellation vor: Eine Koalition der nationalen Einheit, die sowohl das linke Harmonie-Zentrum, wie die rechte Nationale Allianz einschliessen sollte. Doch letztere wollte erwartungsgemäß nicht mit "den Russen" und das Harmonie-Zentrum nicht mit den "Neonazis" an einem Tisch sitzen.
Der künftige Ministerpräsident Dombrovskis sagte, er sehe keinen Grund, die Nationale Allianz wegen extremistischer Ansichten "zu bestrafen und in der Opposition zu belassen". Das lettische Menschenrechtszentrum verbreitete demgegenüber ein Statement, in dem es als "untragbar" bezeichnet wird, wenn "Rechtsradikale nun Teil der Regierung eines EU-Landes werden".
Mit ihrer nationalistischen Propaganda und dem Ruf nach einem starken Staat konnte die Nationale Allianz im von der Wirtschafts- und Finanzkrise stark gebeutelten Lettland ihren Stimmenanteil gegenüber den Wahlen von 2010 auf 14 Prozent nahezu verdoppeln. Dombrovskis hat mit der Rechtsaußenpartei vereinbart, dass diese in der Koalition beispielsweise keine Alleingänge bei Themen wie "Repatriierung" der russischen Bevölkerung, dem Status der russischen Sprache an den Schulen und Staatsbürgerschaftsfragen machen dürfe.
In seiner Regierungserklärung will er laut Medienberichten betonen, dass es unter rechtlichen und moralischen Gesichtspunkten in Lettland heute keine "Okkupanten" mehr gebe. Der Nationale Allianz-Vorsitzende Raivis Dzintars hat bereits klargemacht, dass das die Einschätzung seiner Partei nicht ändere: In Lettland lebende Russen mit militärischem Hintergrund seien Okkupanten, alle anderen "illegale Kolonialisten".
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