Nachruf Muammar al-Gaddafi: Revolution frisst Revolutionsführer
Beduinensohn, Putschist, schillernder "Revolutionsführer" in Operettenuniformen, knallharter Despot, mal Freund, mal Feind des Westens – Muammar al-Gaddafis Leben im Schnelldurchlauf.
TRIPOLIS afp/dapd | Der frühere US-Präsident Ronald Reagan nannte ihn einst den "tollwütigen Hund des Nahen Ostens": Muammar al-Gaddafi inszenierte sich gern in Operettenuniformen und residierte im Beduinenzelt. Er präsentierte sich als Revolutionsführer und umgab sich mit äthiopischen Leibwächterinnen.
Lange galt der dienstälteste Machthaber der Welt als politischer Überlebenskünstler, freiwillig wollte er das Zepter in Libyen nie abgeben. Im Juni hatte er noch angekündigt, den von unzähligen Nato-Luftangriffen unterstützten Rebellen "bis zum Tod" trotzen zu wollen. Fünf Monate später scheint aus dieser Ankündigung Realität geworden zu sein.
Vor schwierigen Herausforderungen stand Gaddafi in den mehr als vier Jahrzehnten seiner Amtszeit öfter – bevor ihn die Rebellen aus der Hauptstadt Tripolis vertrieben, saß er mehrfach Terrorvorwürfe aus, widerstand internationalem Druck und amerikanischen Luftangriffen.
In den vergangenen Jahren hatte er gar begonnen, sein Land allmählich wieder aus der Isolation herauszuführen. Während des arabischen Frühlings erhielt das sorgsam inszenierte Bild vom strahlenden Volkshelden, das Menschenrechtler ohnehin als Blendwerk kritisierten, zunehmend Risse.
Direkte Demokratie als Deckmantel
Vermutlich starb Gaddafi nun im Alter von 69 Jahren. Zu seinem genauen Geburtsdatum im Jahre 1942 gibt es widersprüchliche Angaben. Als jüngstes von vier Kindern einer armen Beduinenfamilie genoss der einzige Sohn anders als seine Geschwister eine Schulausbildung, studierte Geschichte und Jura – und schlug dennoch die Militärlaufbahn ein. 1965 gründete er den "Bund der freien Offiziere" und putschte sich 1969 gegen König Idris an die Macht.
Gaddafi beförderte sich selbst zum Oberst, übernahm den Befehl über die Streitkräfte sowie den Vorsitz des Revolutionsrats und war bis 1972 auch Regierungschef. Er verschrieb sich der arabischen Einheit, dem Sozialismus und dem Kampf für die Verbreitung des Islams in der Welt. Er verbot Alkohol, schloss christliche Kirchen und erklärte den Koran zum Kodex allen Lebens.
1973 leitete Gaddafi jedoch eine Abkehr von diesem Konzept ein und entwarf in seinem "Grünen Buch" eine Anleitung zur Umsetzung der direkten Demokratie. Der Auslegung des schmalen Bändchens widmete sich später eine eigene wissenschaftliche Abteilung an einer Universität des Landes.
In die Isolation und wieder zurück
Mit der Ausrufung der "Großen Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija" 1977 wurde das Allgemeine Volkskomitee eingesetzt, vergleichbar einer Regierung. 1979 legte Gaddafi formal sein letztes politisches Amt nieder, das des Staatspräsidenten. De facto blieben aber er und seine langjährigen Weggefährten die bestimmenden politischen Persönlichkeiten des Landes.
Verbindungen zum internationalen Terrorismus und der Lockerbie-Bombenanschlag 1988 auf ein Verkehrsflugzeug, bei dem 270 Menschen ums Leben kamen, führten Libyen in die internationale Isolation. Dies änderte sich erst um die Jahrtausendwende, als Gaddafi offiziell dem Terrorismus abschwor, die Opfer des Anschlags von Lockerbie entschädigte und sich zum Verzicht auf Massenvernichtungswaffen bereit erklärte. In der Folge begann er, sein Land wirtschaftlich zu öffnen – die politischen Strukturen und das gewaltsame Durchgreifen gegen Proteste blieben unverändert.
Legendär bleiben Gaddafis mitunter befremdliche Auftritte mit Sonnenbrille und wirrem Krauskopf im Staatsfernsehen. Zuletzt fielen sie immer irritierender aus. Selbst als die Rebellen zunehmend Oberhand gewannen, hielt Gaddafi an seinem Führungsanspruch fest. Den hat er nun offenbar endgültig eingebüßt – unfreiwillig, versteht sich. Der "tollwütige Hund" ist trotzig geblieben bis zum Ende.
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