Nach den Attentaten in Toulouse: Bruder der Komplizenschaft angeklagt
Abdelkader Merah soll den Roller gestohlen haben, von dem aus sein Bruder Mohamed sieben Menschen erschossen hat. Unklar ist, wer von beiden das erste Opfer „gefunden“ hat.
PARIS taz | Nach viertägigen Polizeiverhören ist gegen Abdelkader Merah, den Bruder des in Toulouse erschossenen islamistischen Terroristen Mohamed Merah, Anklage wegen Komplizenschaft erhoben worden. Der 30-Jährige hat bisher bestritten, von den Plänen seines jüngeren Bruders und dessen Vorbereitungen der Attentate in Toulouse und Montauban gewusst zu haben.
Die Ermittler der Pariser Terrorismusabteilung gehen davon aus, dass Abdelkader Merah zugegen war, als sein Bruder Anfang März den Roller entwendete, der ihm bei den Anschlägen als Tatfahrzeug diente. Die beiden sollen den Abend vor dem Angriff auf die jüdische Schule in Toulouse zusammen gegessen haben. Le Parisien glaubt zu wissen, dass nachträglich das Mobiltelefon des Älteren unweit der Schule, wo Mohamed Merah drei Kinder und einen Rabbiner tötete, lokalisiert wurde.
Unklar ist noch, welcher der Brüder mit dem Computer ihrer Mutter das erste Mordopfer via Internet gefunden und eventuell kontaktiert hat. Es handelt sich um einen Unteroffizier, der eine Onlineannonce zum Verkauf seines Motorrads veröffentlicht hatte. Das Anklicken dieser Anzeige hat die Polizei erstmals auf die Merah-Spur gebracht. Offen ist auch, ob Abdelkader Merah an der Vorbereitung und Finanzierung beteiligt war. Er befindet sich darum in U-Haft. Er habe aus der Sicht der Terroristenjäger mehr das Profil eines Fanatikers, der zu terroristischer Gewalt greift, als sein „untypischer“ Bruder.
Kassetten und Koranlektüre
Abdelkader Merah ist ein Fundamentalist, der Koranschulen in Kairo besucht hatte und dessen Partnerin verschleiert ist. Er hatte seinen Bruder während dessen Gefängnisaufenthaltes 2007 bis 2009 dazu gebracht, mit Koranlektüre und von ihm mitgebrachter Kassetten den Weg zum Glauben zu finden.
Beim Nachrichtendienst war Abdelkader Merah als „Salafist“ mit Sympathien für den „Dschihad“ registriert. 2007 wurde er verdächtigt, in die Rekrutierung von Jungen für den bewaffneten Kampf involviert zu sein. Nach Ermittlungen konnte ihm aber nichts angelastet werden.
Vor seinem Tod hatte Mohamed Merah seine Taten nicht nur gestanden, sondern auch etwas über seine Motive und die Planung verraten und gesagt, niemand sei beteiligt oder informiert gewesen. Er behauptete angeblich, er habe in Waziristan (im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet) eine Ausbildung zum Terroristen erhalten und den Auftrag bekommen, ein Attentat in Paris zu verüben. Seine Waffen will er mit der Beute von Überfällen für 20.000 Euro bei lokalen Banden gekauft haben. Den Ermittlern liegen aber immer mehr Indizien vor, die die Version eines „untypischen Einzeltäters“ infrage stellen.
Tausende nahmen am Sonntag in Paris und anderen Städten an Schweigemärschen gegen Rassismus, Antisemitismus und Fundamentalismus teil. Diese barbarischen Verbrechen dürften nicht zu Hass und Rückzug führen, stand im Aufruf.
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