Missbrauchs-Vorwurf gegen Kinski: Die finstere Seite der Befreiung
Klaus Kinskis Tochter Pola wirft ihrem Vater jahrelangen sexuellen Missbrauch vor. Sie ertrage die Glorifizierung des Schauspielers nicht mehr.
Der Schauspieler Klaus Kinski hat nicht nur in Filmen wie „Fitzcarraldo“ gerne rücksichtlose Egomanen gespielt. Er war offenbar auch privat ein weit größeres Arschloch, als man das bisher schon wusste. Wenn die Vorwürfe stimmen, war er ein krimineller Sexualtäter.
Kinskis älteste Tochter Pola sagt, ihr Vater habe sie jahrelang sexuell missbraucht. In ihrem Buch „Kindermund“, das demnächst erscheint, beschreibt die 60 Jahre alte Exschauspielerin ihre Kindheit als Hölle. Kinski kam zugute, dass sich seine Tochter von ihrer Mutter Gislinde Kühlbeck ungeliebt empfand und zum Vater hingezogen fühlte.
„Sie hatte wieder geheiratet, und ich fühlte mich störend.“ Kinski habe das ausgenutzt. „Er leistete sich ein kleines Sexualobjekt, das er auf Seidenkissen bettete“, sagt Pola Kinski im aktuellen Stern. Ihr Vater habe sich „über alles hinweggesetzt“, auch wenn sie sich gewehrt habe.
Legendäre Beschimpfungsarien
Die Vorwürfe klingen plausibel, weil sie zu Klaus Kinskis aggressiven Auftritten in der Öffentlichkeit passen. Legendär sind die Beschimpfungsarien des 1991 verstorbenen Filmstars am Set oder in Talkrunden. Und seine andere Tochter Nastassja Kinski, heute 52, hatte bereits vor drei Jahren in einem Interview nur knapp angedeutet: „Er hat uns so wehgetan. Gut, dass manche Menschen nicht noch länger auf der Welt sind“.
BERLIN dpa | Schauspielerin Nastassja Kinski hat sich tief betroffen über Missbrauchsvorwürfe geäußert, die ihre Schwester gegen ihren Vater Klaus erhoben hat. „Ich bin zutiefst erschüttert. Aber: Ich bin stolz auf ihre Kraft, ein solches Buch zu schreiben. Ich kenne den Inhalt. Ich habe ihre Worte gelesen. Und ich habe lange geweint...“, schrieb die 51-Jährige in der Bild-Zeitung (Freitag).
Kinder und Teenager müssten beschützt werden. „Sie müssen wissen: Es kann sofort Hilfe da sein, wenn etwas so Grauenvolles passiert.“ Ein Buch, wie es ihre Schwester geschrieben habe, helfe allen Kindern, Jugendlichen und Müttern, die Angst vor dem Vater hätten. „Meine Schwester ist eine Heldin. Denn sie hat ihr Herz, ihre Seele und damit auch ihre Zukunft von der Last des Geheimnisses befreit.“
Möglich, dass Pola Kinski mit ihren Bekenntnissen gewartet hat, bis ihre eigenen Kinder alt genug sind, um damit umzugehen. Sie ertrage es aber auch nicht mehr, dass Kinski zwanzig Jahre nach seinem Tod mehr und mehr glorifiziert werde: „Ich konnte es nicht mehr hören: ’Dein Vater! Toll! Genie!’ “
Wie wird die Filmwelt, wie werden Kinskis Bewunderer, sein ehemaliges Umfeld auf diese Enthüllungen reagieren? Kulturschaffende neigen im Zweifel so wenig zur Selbstkritik wie die katholische Kirche. Auch sie hinterfragen ihre Helden nur ungern. Und nicht nur in Indien wird sexuelle Gewalt bagatellisiert, sondern auch unter Intellektuellen in Europa: Das zeigte etwa der französische Talkshow-Philosoph Bernard-Henri Levy, als er das mutmaßliche Opfer seines Freunds Dominique Strauss-Kahn der Lüge bezichtigte.
Die Filme mit Kinski können nicht verschwinden
Große Kunst und hehre Moral passen nicht unbedingt zusammen. Viele großartige Künstler waren menschlich das Letzte. Ein feiner Charakter allein macht umgekehrt aber noch keinen großen Künstler aus. Die Filme mit Klaus Kinski können deshalb nicht einfach so verschwinden. Eine Debatte um Starkult und Pseudo-Libertinage, wie nach der spät aufgedeckten Missbrauchsserie des BBC-Moderators Jimmy Saville in Großbritannien, ist aber nötig.
„Das Infame war, dass er sagte, das sei ganz natürlich. Überall auf der Welt würden Väter das mit ihren Töchtern machen“, sagt Pola Kinski. „Nur in diesem spießigen Deutschland sei das nicht normal.“ In dieser Aussage spiegelt sich der Geist der 60er und 70er Jahre, als gegen überkommene Normen aufbegehrt wurde.
Allerdings hatte die Idee einer grenzenlosen sexuellen Befreiung auch ihre finsteren Seiten, nämlich dann, wenn sie auf Kosten der Schwächeren ging. Der einzige Trost ist, dass man für diesen Aspekt heute sensibler ist.
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