Medizin: Geburt nur in der Not
Die Versorgung von schwangeren Migrantinnen ohne Krankenversicherung wird zunehmend schwieriger. ÄrztInnen drängen jetzt auf eine politische Lösung.
Mehr Nachfrage, weniger Angebot: Es wird zunehmend schwerer, schwangere Migrantinnen ohne Krankenversicherung zur Versorgung in einem Krankenhaus zu verhelfen, meldet das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe (Medibüro). Das Medibüro betreut seit über 15 Jahren MigrantInnen ohne Papiere oder Krankenversicherung. Die Gründe für den Engpass: zum einen die wachsende Zahl von Zuwanderern aus neuen Mitgliedsländern der Europäischen Union, zum Zweiten der wachsende finanzielle Druck, unter dem die Krankenhäuser stehen.
Zwar dürfe keine Klinik eine Gebärende im Notfall abweisen, sagt die Ärztin Jessica Groß vom Medibüro: „Das wäre unterlassene Hilfeleistung.“ Doch bei Notfallaufnahmen kenne das Krankenhaus die Patientin und ihre Vorgeschichte nicht – und auch nicht eventuelle Risiken: „Das versuchen wir durch vorherige Anmeldungen zu vermeiden“, so Groß. Allerdings werde es immer schwerer, dafür die Finanzierung zu klären: etwa über die Sozialämter oder indem das Krankenhaus reduzierte Kosten anbiete.
Das geschehe aber immer seltener, so Groß: Denn viele Krankenhäuser könnten sich das nicht mehr leisten. Das Medibüro fordert deshalb eine Klärung der Kostenübernahme auf politischer Ebene. Denn für viele MigrantInnen aus EU-Ländern wäre die Aufnahme in Krankenversicherungen eigentlich möglich, sagt Anna Schmitt von der Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro – sofern sie in ihren Herkunftsländern bereits krankenversichert waren. Es sei jedoch gerade für die auch in ihren Herkunftsländern diskriminierten Roma nicht leicht, entsprechende Belege zu organisieren.
Der Erhalt einer europäischen Krankenversicherungskarte müsse einfacher gemacht werden, fordert Groß, ebenso die Aufnahme in deutsche Krankenversicherungen. Zudem müsse auf lokaler politischer Ebene geklärt werden, wer die Kosten für solche Fälle übernehme. Etwa 50 Schwangere hat das Medibüro 2011 betreut, „nun hatten wir schon 30 in der ersten Hälfte des laufenden Jahres“, so Groß.
Nachsorge für die betroffenen Mütter gibt es bislang gar nicht: „Da bräuchte man den Zugang zum regulären Versorgungssystem“, so die Ärztin. Oder man wird wieder zum Notfall: „Wenn mangels Nachbetreuung erst die Brustentzündung da ist, gilt wieder die Notaufnahmesituation.“
Auf deren Kosten die Krankenhäuser dann wiederum sitzen bleiben. Denn die Übernahme durch die Sozialämter der Meldebezirke der Patientinnen sei kompliziert und gelinge nur in seltenen Fällen, heißt es aus dem St.-Joseph-Krankenhaus, das die Forderungen des Medibüros unterstützt. Auch im Mutter-Kind-Zentrum der Klinik Neukölln sei ein „erhöhtes Aufkommen“ an nicht krankenversicherten Müttern zu beobachten, so der Gesundheitsstadtrat des Bezirks, Falko Liecke (CDU), „die dort entbinden oder sich oder ihre Kinder dort behandeln lassen“. Die Kosten trage Vivantes „und damit das Land“, so Liecke.
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