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#MeToo in der MedienweltPhase zwei soll mehr wehtun

Ein Jahr nach Weinstein zieht die Fernsehfachmesse Mipcom in Sachen #MeToo Bilanz. Zufrieden sind die Medienmacherinnen nicht.

Elizabeth Vargas auf der Mipcom Foto: S.d'Halloy Image & Co

Cannes taz | An einer Erfolgsbotschaft ­versuchte die US-Jour­nalistin Elizabeth Vargas sich beim #MeToo-Rückblick: „Wir haben es in dieser ersten Phase geschafft, die Geschäftsführer großer Sendergruppen, die wegen sexueller Belästigung beschuldigt wurden, zum Rücktritt zu zwingen.“ Das Zitat ist ein Ausreißer in einer Diskussion, die ansonsten geprägt war von dem Gefühl, dass nicht genug passiert sei im letzten Jahr in der Medienbranche.

Die Mipcom-Fernsehmesse im südfranzösischen Cannes zeigt einmal im Jahr, was bald darauf in Millionen Wohnzimmern über die Bildschirme flimmert. Über 11.000 Verantwortliche von Sendern, Produktionsfirmen, Programmvertrieben, Internetplattformen und Medienkonzernen aus aller Welt, darunter auch viele Deutsche, kommen nach Cannes, um Programme zu kaufen oder zu verkaufen. Der internationale Branchentreff gilt als größte Fernsehmesse der Welt.

Als vor fast genau einem Jahr auch und besonders auf der Mipcom in Cannes Harvey Weinstein das alles bestimmende Thema war, gab sich niemand in der Branche überrascht. Alle wussten, was er schon seit Jahren tat, auch die einschlägige US-Fachpresse.

Nicht genug

„Das ist das Ende eines Dinosauriers“, kommentierte damals Hollywood-Star Catherine Zeta-Jones spontan die Diskussion, „ich hoffe, dass wir jetzt aus dieser Affäre lernen, sonst bleiben wir in einer traurigen und destruktiven Welt.“ In der Zwischenzeit ist eine Menge passiert, vom Rauswurf Kevin Spaceys bei der Netflix-Erfolgsserie „House of Cards“ über die Vorwürfe mehrerer Frauen gegen den deutschen Regisseur Dieter Wedel bis hin zum Zwischenruf von Catherine Deneuve und anderer französischer Schauspielerinnen, die sich von #MeToo distanzierten. Genug Diskussionsgrundlage also beim „Women in Entertainment Power Lunch“, einer exklusiven Veranstaltung auf der diesjährigen Mipcom. Deutsche Medienmanagerinnen waren leider kaum welche dort.

Die Teilnehmerinnen zogen Bilanz: Nicht genug habe sich für die Frauen in der Film- und Medienbranche geändert, war das einhellige Urteil.

Augenwischerei war die Erfolgsbotschaft von Elizabeth Vargas deswegen aber nicht. Unter anderem haben im letzten Jahr CBS-Chef Les Moonves und Charlie Rose, einer der angesehensten TV-Journalisten Amerikas, ihre Jobs verloren. Vargas, die selbst als eine der einflussreichsten Frauen im US-Fernsehen gilt, spricht nun vom Beginn einer zweiten Phase von „#MeToo“ – eine Phase, die „weitaus grausamer“ werden könne.

Selbst das Frauenbild im TV ist ja immer noch sehr altbacken

Ute Biernat, Ufa-Geschäftsführung

Denn nach den Erfolgen für viele Aktivistinnen kommen immer häufiger die Rückschläge: Vorwürfe, Frauen setzten ihre Reize gezielt ein. Die Unterstellung, viele Anschuldigungen seien letztlich überzogen oder gar unwahr. Dazu die allerorts erfolgreichen konservativ-populistischen Bewegungen, die in der Auseinandersetzung eine Gefahr für die heile Welt von Familie und Ehe sehen.

Dazu kommt, dass die Macht, die bei sexueller Belästigung entscheidend ist, nach wie vor zum größten Teil bei den Männern liegt. In der Medienwelt wie sonst auch. Und so ging es im Panel vor allem darum, zu verstehen, wie man das durch #MeToo entstandene Problembewusstsein nutzen kann, obwohl die konkreten Strukturen letztlich immer noch dieselben sind.

Alles beim Alten

„Es wurde viel geredet im letzten Jahr, aber jetzt wird es Zeit, Frauen konkret zu unterstützen“, sagte Florence Sandis. Die Präsidentin des Vereins médiaClub’Elles repräsentiert und unterstützt Frauen, die in der französischen Medienbranche arbeiten. Zwar seien Veränderungsprozesse in Gang gekommen, aber immer noch seien Frauen in der Industrie deutlich unterrepräsentiert.

Das erinnert an Schauspielerin Natalie Portman, die das Problem im Januar bei der Verleihung der „Golden Globes“ auf den Punkt brachte, indem sie die „fünf ausschließlich männlichen Nominierten“ für die Regieauszeichnung ankündigte. Das erste Jahr #MeToo in der Medienwelt, so scheint es, drehte sich ums selbstbewusste Benennen von Problemen, nicht um deren Lösung.

Ein Jahr #MeToo

Die Debatte

Ausgelöst von den veröffentlichten Anschuldigungen gegen den US-Produzenten Harvey Weinstein entstand eine internationale Debatte über sexualisierte Gewalt. Während einige sie als feministische Revolution feiern, kritisieren andere den generellen Umgang mit dem Thema. Doch was ist seit dem 5. Oktober 2017 passiert? Hat sich unsere Gesellschaft in diesem Jahr verändert oder ist alles beim Alten geblieben?

Die Serie

Den Oktober über werden auf dieser Seite und auf taz.de verschiedene Aspekte der Debatte betrachtet.

Die Annenberg School for Communication and Journalism hatte vor Kurzem konkrete Zahlen für die USA vorgelegt, die das Missverhältnis aufzeigen: Von den Hollywoodfilmen, die in den letzten zehn Jahren entstanden, waren noch nicht einmal vier Prozent der Regisseure weiblich. Und nur rund 30 Prozent aller Sprechrollen in US-Filmen waren letztes Jahr mit Frauen besetzt.

Ellen Lovejoy aus der Führungsriege des US Medienkonzerns A + E forderte einen tiefgreifenden Wandel. Im eigenen Unternehmen mit Hauptsitz in New York habe man bereits konsequente Wege beschritten: „In unserem Unternehmen sind 70 Prozent aller Autoren, Regisseure und Produzenten weiblich. Der Durchschnitt allgemein in unserer Industrie lag 2017 bei 30 Prozent. Wir brauchen mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen.“

Um auf diese Unterrepräsentierung hinzuweisen und die Geschlechtsgenossinnen zu mehr Solidarität untereinander aufzurufen, hatte Lovejoy den regelmäßig stattfindenden „Power Lunch“ auf der Mipcom in diesem Jahr zur #MeToo-Veranstaltung ausgerufen.

Ute Biernat, einzige Frau in der Geschäftsführung der Ufa, sagte anlässlich des Branchentreffs: „Es war gut, dass das Thema noch mal auf den Tisch kam, weil so getan wird, als ob Gleichberechtigung schon überall Realität sei, aber das ist sie nicht. Selbst das Frauenbild im TV ist ja immer noch sehr altbacken.“ Die Diskussion um sexuelle Belästigung sei letztlich wieder in eine Diskussion um Ungleichheit gemündet.

Die generelle Erkenntnis des Austauschs während der Messe jedenfalls war klar: Überall dort, wo sich extreme Machtgefälle etabliert haben, findet auch Unterdrückung statt, und es gibt nicht annähernd genug Frauen in einflussreichen Positionen, um diese Situation aufzubrechen. Vargas: „Das ist eine Generationenaufgabe.“

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7 Kommentare

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  • Zitat: „Das Zitat [Anm.: Wir haben es in dieser ersten Phase geschafft, die Geschäftsführer großer Sendergruppen, die wegen sexueller Belästigung beschuldigt wurden, zum Rücktritt zu zwingen.‘] ist ein Ausreißer in einer Diskussion, die ansonsten geprägt war von dem Gefühl, dass nicht genug passiert sei im letzten Jahr in der Medienbranche.“

    Machtausübung kann zur Sucht werden. Nicht nur für AfD-Granden, sondern auch für die Opfer sexueller Übergriffe. Mit Machtgefühlen kann man nämlich Ohnmachtsgefühle kompensieren. In sofern wäre ich nicht überrascht, würde #MeeToo ewig laufen – oder wenigstens so lange, wie noch irgendjemand darauf anspringt. Bevor der Hashtag aber endgültig Geschichte ist, könnte es noch überaus haarig werden. Das Publikum in der Arena bei Laune zu halten, ist schließlich nicht ganz leicht. Das Grauen stumpft so fürchterlich schnell ab.

    Die Hoffnung, dass „wir jetzt aus dieser Affäre lernen“, halte ich jedenfalls für ziemlich unbegründet. Alles, was man lernt, wenn einem gedroht wird, ist, das 11. Gebot zu befolgen, das lautet: Du sollst dich nicht erwischen lassen. Vermutlich also werden wir auch morgen noch „in einer traurigen und destruktiven Welt“ leben. Aber Hauptsache, es haben sich endlich auch Frauen mal selber ermächtigt, den Daumen nach unten zu halten. Cruelty rules. Wenn auch nichtunbedingt dauerhaft, wie manche Männer kurzzeitig gemerkt haben.

    Ich frage mich ernsthaft, wie dumm eine Frau sein muss, um zu glauben: Wenn zwei das gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. Immerhin: “Frauen konkret zu unterstützen“, ist keine ganz doofe Idee. Es ist jedenfalls besser, als sinnlose Rachefeldzüge zu führen. Vorausgesetzt natürlich, die Unterstützung kommt nicht auch wieder nur destruktiver Rache zugute, sondern produktiveren Ideen.

    Übrigens: Was eine „verantwortungsvolle Position“ ist, hätte ich gerne erklärt. Hierarchien sind nämlich grundsätzlich schlecht für die Solidarität. Auch unter Frauen.

  • "Nicht genug habe sich für die Frauen in der Film- und Medienbranche geändert ..."



    Wenn das die eigentliche Sorge von #MeToo ist, dann kann diese Kampagne die Öffentlichkeit zukünftig gerne in Ruhe lassen. Die Ungerechtigkeiten für einen winzigen Teil der weiblichen Bevölkerung in Hollywood, der zudem eher Reichen und Schöne zugeordnet ist, hat dann schon viel zu lange die allgemeine Aufmerksamkeit strapaziert und zugleich Millionen von Frauen für die egoistische Interessen angefixt und irgendwie auch missbraucht. Die Filmbranche verkauft Illusionen, aber die Illusion einer Bewegung in diesem Bereich ist ein böser Betrug für die realen Menschen ...

    • @TazTiz:

      Nennen wir doch mal die "realen Menschen" ganz konkret:

      Verkäuferinnen/Kassiererinnen, Politessen, Büroangestellte, Reinemachefrauen, Hotelangestellte, Briefträgerinnen, Arzthelferinnen, Friseusen, Kellnerinnen, Sozialarbeiterinnen, Soldatinnen, Lehrerinnen. Häufig Berufe, die auch in der neueren feministischen Diskussion keine Rolle mehr spielen. Weibliche, neoliberal geprägte Klassengesellschaft eben.

      • @Rolf B.:

        Dieser unrealistische Klassenkampf und die zugrunde liegende neoliberale Ideologie sind (neben der "Tendenz" zur Selbstjustiz durch Hass-Mobs, der Missachtung von Rechtsstaatlichkeit und dem Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnisse) das, weshalb viele die #MeToo-Bewegung "sehr kritisch" betrachten ... diese selbstverliebten arroganten Witzfiguren kann einfach kein vernünftiger Mensch mehr ernst nehmen ... schade, es scheinen ja immer noch Probleme zu bestehen über die man reden und die man lösen müsste.

      • @Rolf B.:

        Übrigens, nur so zur Erinnerung Herr B. : In der taz gab es schon einige Artikel zum gender pay gap etc., also der Tatsache, dass



        - Frauen immer noch massivst unterrepräsentiert sind in Führungspositionen,



        - Frauen auch jenseits von Führungspositionen für dieselbe Arbeit im Schnitt nachweislich weniger bekommen als Männer.



        - Frauen nachweislich das Kümmern um Kinder überproportional als Finanz-und Karriererisiko zu tragen haben,



        - Frauen nachweislich überproportional in sozialen Berufen tätig sind,



        - und diese kulturell als sogenannnte "weiblich" deklarierten sozialen Tätigkeiten nachweislich unterproportional geachtet und entlohnt werden.

        Dies zu brandmarken und zu verändern sollte doch ganz im Sinne von euch angeblich so linken angeblich so sehr um die "Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen" etc. Besorgten sein? Sieht man nur leider nicht unter den Artikeln. Da ist das vereinte rechte und pseudolinke männliche Kommentariat meist nur unisono damit beschäftigt, den Mädels zu erklären, dass sie a) selber schuld seien an der Misere und b) die Misere irgendwie gleichzeitig gar nicht sein könne, sondern die ganzen Statistiken und Belege angeblich von fiesen Frauenbeauftragten und Genderprofessorinnen nur erfunden wurden. Lauter Widerspruch von den Herren Bs? - Fehlanzeige. Also lassen Sie doch das billige Sorgengeheuchel über "Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen" sein.

      • @Rolf B.:

        Das ist ne Fernsehfachmesse ihr Schlauberger, da geht es also - Überraschung! - um die Medienbranche. Ansonsten geht es bei MeToo selbstverständlich nicht nur um Promis - auch wenn in der Medienberichterstattung und dem allgemeinen Publikum natürlich leider alles, was glitzert, mehr Aufmerksamkeit bekommt. Aber selbst dies wurde von Medienstars wie z. B. bei der letzten Oscar-Verleihung ja schon dafür genutzt, um diese Aufmerksamkeit auch auf andere umzulenken (siehe Rede von Oprah Winfrey, Paarung von Stars im Rampenlicht mit unbekannteren Frauenrechtlerinnen aus anderen Bereichen etc.)

        Daran gibt's immer noch genug zu kritisieren, aber doch bitte nicht so billig. Dass Sie von den Pflegerinnen, Sozialarbeiterinnen etc. nichts mitbekommen, hat durchaus auch mit Ihrer eigenen Aufmerksamkeit zu tun. Leute wie Tatzti und ein großer Teil des Kommentariats hier, weil Sie eh nur darauf aus sind, dass die nervigen Weiber mal endlich dis Klappe halten sollen mit ihren "egoistischen" (lol) Rufen nach Respekt und Gleichberechtigung. Und Leute wie Rolf B., weil Sie Ihre gesamte Energie darauf verschwenden, alle außer Wagenknecht als "neoliberal" zu beschimpfen. Dass er dabei unter Artikeln von Migration bis Unterbezahlung weiblicher Arbeiterinnen inzwischen mit den übelsten Rechtstrollen gemeinsame Sache macht, merkt der selbsterklärte einzig wahre Linke nicht mal mehr. Gilt übrigens nicht nur für den obengenannten Foristen. Das Forum hier ist ja gerade bei Frauenthemen langsam voll von diesen pseudolinken Querfrontlern,deren Motzen über weibliche Gleichberechtigung von AfD-"Männerrechtlern" schon gar nicht mehr unterscheidbar ist.

        • @kami:

          @Kami

          Chapeau! :)