MDR-Intendant Reiter verabschiedet: "Ein Freund, ein guter Freund..."
Vorn sang der Kinderchor: Beim Abschied von Udo Reiter, dem MDR-Gründungsintendanten, war alles ganz harmonisch. Es wurde nur zwischen den Zeilen fies.
"Im Walde steht geschrieben ein stilles ernstes Wort vom rechten Tun und Lieben, und was des Menschen Hort."
LEIPZIG taz | Die Worte von Eichendorffs "Abschied" perlen zu den Noten von Felix Mendelssohn-Bartholdy dahin, und ist war fast wie bei der Verabschiedung unseres Schulrektors damals, in der Neunten, nur die Lebensbäumchen fehlten.
Doch es geht heute nicht um ergraute Oberstudiendirektoren mit Mundgeruch, die Musik des Wahl-Leipzigers Mendelssohn-Bartholdy erklang zum Abschied eines ganz anderen Wahl-Leipzigers, bei dem das mit den stillen, ernsten Worten so eine Sache ist. Einen Monat nach Amtsantritt seiner Nachfolgerin Karola Wille verabschiedet am Montag also der MDR in der 13. Etage seines Hochhauses seinen Ewigkeitsintendanten Udo Reiter.
Na gut Ewigkeit: Reiter war so lange dabei, wie es den MDR gibt, also gute 20 Jahre, von denen die ersten 19, wie der Gründungsintendant nicht müde wird zu betonen, ja auch richtig dufte waren. Aber die letzten 13,14 Monate hatten es in sich, natürlich war der MDR Reiters große Liebe, nur mit dem rechten Tun und wer da was hortete ging es zuletzt (Millionenbetrug beim Kinderkanal, MDR-Unterhaltungschef Udo Foht) ja doch arg durcheinander.
Das versucht beim Festakt nicht mal der MDR-Rundfunkchor wegzulächeln. Dann gibt es den bei solchen Veranstaltungen unvermeidlichen Film, der Udo Reiter im Wechsel der Jahreszeiten mal mit, mal ohne Papst zeigt und länglicherweise auch mit Helmut Kohl. Ferner erfährt man: Reiter ist Widder, mag Rotwein, Walser, Wagner, Frauen.
1991 kam er aus Bayern in die ehemalige DDR, um den Menschen in Sachsen.Sachsen-Anhalt und Thüringen genau das zu geben, was ein anderer Bayer namens Rudolf Mühlfenzl (CSU) ihnen als DDR-Rundfunkabwickler auszutreiben versuchte: Nämlich televisonäre Heimat, Wir-Gefühl, Selbstbewusstsein, und auch ein kleines bisschen stolz. Dem ollen Mühlfenzl hat das Schlitzohr Reiter mit dem MDR mehr als nur ein Schnippchen geschlagen.
"Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut"
Dass ihm jetzt eine Ost-Intendantin nachgefolgt ist, passt. Und Karola Wille bedankt sich am Ende ihrer kleinen harmlosen Rede auch sehr persönlich für die Förderung und lässt die Kränkungen weg: "Ihr Erbe ist bei mir in guten Händen". Reiter bekommt - zack - noch eine Genussreise nach Südtirol übergeholfen.
Und dann ist der Ministerpräsident von Sachsen Anhalt dran. Sternstunde, Tucholskys Ratschläge an einen schlechten Redner live. Reiner Haseloff (CDU) flötet noch kurz, ARD und ZDF sollten sich lieber mal damit zufrieden geben, dass die Rundfunkgebühren nie wieder steigen, dann ist die Stimmung der Anwesenden ARD-Granden endgültig im Eimer und es kommt - nein, nicht das MDR-Fernsehballet. Dem sind seit dem Rumgehopse für tschetschenische Präsidenten zweifelhafte Auftritte doch strickt untersagt.
Der MDR-Kinderchor kommt, und weil vorher soviel von Pionierleistungen die Rede war, erwartet man jetzt natürlich das Pionierlied ("Hell scheint die Sonne", usw). Sie singen aber französisch. Überhaupt wird schrecklich viel gesungen, der Chor der sächsischen Staatskanzlei stimmt die alte Heinz-Rühmann-Hymne "Ein Freund, ein guter Freund" für Reiter an - Halt, stopp: Werde gerade korrigiert, nicht Staatskanzlei, doch wieder MDR-Rundfunkchor!
Die Staatskanzlisten sitzen am Tisch davor und gucken ein bisschen traurig, weil Karola Wille schon erste Strippen an ihnen vorbeigezogen hat. Vor dem Festakt hat der Rundfunkrat mal eben Astrid Göbel, Willes Kandidatin für den Posten der Verwaltungsdirektorin, durchgestimmt. Und die Christdemokraten können sich nicht mal beschweren, weil "ihr" Parteimitglied von Wille gekonnt in die juristische Direktion des MDR gehievt wurde.
Dann spricht Reiter endlich selber, und weil Karola Wille schon gesagt hat, dass ja nirgendwo so gelogen wird wie auf einer Abschiedsfeier, macht Reiter ganz artig den Rössl-Kaiser Franz-Josef: "Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren