Ex-MDR-Intendant Udo Reiter: „Natürlich bin ich eitel“

Der langjährige MDR-Intendant Udo Reiter über seine Zockereien auf dem Finanzmarkt und sein Leben als Führungskraft im Rollstuhl.

„Wenn ich etwas anpacke, gebe ich nicht klein bei“, sagt Udo Reiter über sich Bild: dpa

taz: Herr Reiter, Sie schreiben in Ihrer gerade erschienenen Biografie, dass die Welt in den sechziger Jahren „voller Treppen und Bordsteinkanten war“. Ist das heute nicht mehr so?

Udo Reiter: Es ist zumindest viel besser geworden. So viele Rollstuhlklos, wie es heute an Autobahnen gibt, so viele können Sie gar nicht benutzen.

Und wie war die gerade untergegangene DDR 1991, als Sie nach Leipzig kamen, um den MDR aufzubauen, auf Rollstuhlfahrer vorbereitet?

Ganz schlecht. Es gab ja in der DDR keine Behindertenpolitik in dem Sinn, dass man den Betroffenen die Integration ins Leben erleichtern wollte. Die wurden eher aussortiert und saßen zu Hause rum.

Hatten Sie sich darüber denn keine Gedanken gemacht, bevor Sie von Bayern nach Leipzig gezogen sind?

Dass es so schwierig sein würde, wusste ich nicht. Außerdem reizte mich so was auch. Etwas auszuprobieren, wo die Wege nicht so eben sein würden, das hat mir Spaß gemacht.

Wie wurden Sie denn anfangs wahrgenommen: als Besserwessi oder als Behinderter?

Es war eine Mischung. Die Mitglieder des Rundfunkbeirats haben schon sehr verwundert geguckt, als da einer auf dem Rollstuhl zur Tür reinkam. Aber ich bin dann doch gewählt worden, sogar einstimmig.

Reiter, 68, begann seine Karriere als Radiojournalist beim Bayerischen Rundfunk. Hier stieg er 1983 zum Chefredakteur und 1986 zum Hörfunkdirektor auf. 1991 wurde Reiter Gründungsintendant des Mitteldeutschen Rundfunks, den er zum zuschauerstärksten Dritten Programm machte. In Reiters 20-jährige Amtszeit fielen aber auch mehrere Skandale beim MDR und dem von ihm mitverantworteten Kinderkanal. Als 23-Jähriger wurde Udo Reiter in Folge eines Autounfalls querschnittsgelähmt und ist seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen. Am Montag ist seine Autobiografie „Gestatten, dass ich sitzen bleibe“ (Aufbau-Verlag) erschienen.

Und der Besserwessi-Vorwurf kam nicht?

Gegen mich anfangs wenig. Der Vorwurf kam dann später massiv gegen die neue MDR-Führung. Ich hatte ja nur ein halbes Jahr Vorbereitungszeit, um den Betrieb aufzubauen, und kannte hier keinen. Also habe ich Leute aus dem Westen geholt, von denen ich wusste, dass die das können. Und so waren zum Start sechs von sieben Direktoren aus dem Westen. Das haben wir dann möglichst schnell zu korrigieren versucht. Ich habe festgelegt, dass jeder Direktor einen Stellvertreter aus der ehemaligen DDR bekommen sollte.

Und im Westen? Hatten die ehemaligen BR-Kollegen Mitleid mit Ihnen, als Sie nach Leipzig gingen?

Hie und da wurde schon der Kopf geschüttelt. Aber hauptsächlich, weil ich mehr und mehr zum Anwalt der neuen Länder wurde.

In welcher Sache?

Hauptsächlich, wenn die Journalisten hier hochmütig verurteilt wurden: SED, wie konnte man denn?, überall IMs - und all solche Vorwürfe. Einmal ist mir in einer Direktorenrunde in München der Kragen geplatzt: „Ihr seid alle nur in der CSU, weil euch die abendländischen Werte so am Herzen liegen? An Karriere hat von euch keiner gedacht?“ Da sind die an die Decke gegangen.

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Außer Ihnen und Wolfgang Schäuble gibt es kaum Rollstuhlfahrer in Spitzenpositionen. Warum eigentlich?

Es gibt schlicht objektive Schwierigkeiten. So eine Rollstuhlexistenz bringt gesundheitliche Probleme mit sich. Und wenn Sie einen Spitzenjob haben, können Sie nicht einfach sagen: Ach, heute tut mir der Hintern weh, ich ruhe mich lieber ein bisschen aus. Da gibt es nur „ganz oder gar nicht“. Ich hatte genau die gleiche Erfahrung wie Schäuble, als der seinen Dekubitus hatte, im Krankenhaus lag und gleichzeitig diese ganzen Finanzministertreffen wegen des Euros liefen. Was hat er gemacht? Er ist zu früh aufgestanden. Und dann geht die ganze Malaise erst richtig los.

Sie schreiben von „Qualen“, von „Dabeisein oder aufhören“, von „Elend“. Sind Sie Masochist?

Wenn ich etwas anpacke, gebe ich nicht klein bei. Ich war aber 2005, als ich meinen Dekubitus hatte, kurz davor aufzuhören. Aber ich habe die Kurve dann doch noch gekriegt. Ich neige halt nicht zum Kapitulieren. Und ein bisschen Glück war auch dabei.

Aber Sie neigen zum Zocken. Sind Sie ein Zocker?

„Zocker“ ist so ein hässliches Wort. Sagen wir lieber: Ich habe eine spielerische Ader.

Immerhin haben Sie die Anschubfinanzierung durch Finanzgeschäfte verdoppelt und schreiben selbst darüber, dass Sie beim MDR vom Hof gejagt worden wären, wenn der Neue Markt zwei Jahre früher zusammengebrochen wäre.

Was wäre denn die Alternative gewesen? Wir hatten 560 Millionen Mark. Dabei waren sich alle Experten einig, dass wir 1,2 Milliarden bräuchten für den im Staatsvertrag vorgeschriebenen Aufbau des MDR. Hätten wir den Fehlbetrag durch Schulden finanzieren sollen? Das wäre ja eine Hypothek auf Ewigkeit geworden. Und auf der anderen Seite stand halt dieser boomende Markt – und da dachte ich mir: Komm, du musst auch mal was riskieren.

Worin haben Sie eigentlich investiert?

In alles. In Fonds, in Staatsanleihen. Wir waren ja unglaublich erfolgreich. Mit Ausnahme dieser Peanuts da in Ecuador.

Na ja, Sie haben im Jahr 2000 immerhin 2,6 Millionen Mark da verloren.

Aber schauen Sie, in demselben Jahr haben wir durch andere Anlagen 79 Millionen Mark Gewinn gemacht. Die Gewinne wurden nicht zur Kenntnis genommen, aber für die 2,6 Millionen hätten sie uns fast aufgehängt.

2009 zockten Sie noch einmal und kandidierten erneut für die Intendanz. Ärgern Sie sich heute, dass Sie damals Ihr Glück überreizten und sich noch einmal haben wählen lassen?

Im Nachhinein wäre es gescheiter gewesen, das nicht zu machen.

Dann kamen die Skandale, erst um den ehemaligen MDR-Sportchef Wilfried Mohren, dann um den Unterhaltungschef Udo Foht und auch um den Kinderkanal Kika.

Der Fall Mohren: Mein Gott, so was kommt vor. Der Hessische Rundfunk hatte Jürgen Emig, der Norddeutsche Rundfunk die Fernsehspielchefin Doris Heinze. Es passiert mitunter, dass Leute betrügen, auffliegen und dann entlassen werden. Durch Mohren ist dem MDR ja kein Cent Schaden entstanden. Die Sache ist abgehakt. Und bei Foht war es eher eine skurrile Geschichte: Der hat an allen Dienstanweisungen vorbei dieses merkwürdige Zwischenfinanzierungsmodell aufgebaut, sich hier was geliehen und damit woanders wieder Schulden beglichen. Ich bin davon überzeugt, dass er sich nicht persönlich bereichert hat, und dem MDR ist nach allem, was man weiß, auch kein Schaden entstanden.

Bleibt der Kika, wo ein ehemaliger Herstellungsleiter über fünf Jahre 8,2 Millionen Euro unterschlagen hat.

Das ist das einzige Ereignis, das dem Begriff Skandal gerecht wird. Das war eine scheußliche Affäre, die mich auch persönlich getroffen hat. Der Kinderkanal war meine Idee, ich hatte viel dafür getan, dass der in Erfurt angesiedelt wird. Dass dann so ein Gauner das derartig diskreditiert, hat mich sehr getroffen.

Hat die Kontrolle gefehlt?

Man kann nicht sagen, dass der Kinderkanal nicht kontrolliert wurde: Die Rechnungshöfe waren da jedes zweite Jahr, die Wirtschaftsprüfer waren jedes Jahr da, die interne Revision von Hessischem Rundfunk und vom ZDF hat geprüft. Keiner ist drauf gekommen. Es war eine Mischung aus hoher Intelligenz, hoher krimineller Energie und Glück.

War Ihr Herstellungsleiter überhaupt zeichnungsberechtigt für solch hohe Summen?

Das Hauptproblem war, dass er auch noch zuständig war für die Controllingberichte.

Das hört sich aber schon stark nach mangelnder Kontrolle an.

Klar. Aber darauf kommen Sie erst, wenn es schiefgegangen ist. Vorher wurden wir für die schlanken Strukturen gelobt.

Und dann mussten Sie 2011 im Zuge dieser Skandale abtreten.

Mir war klar, dass ich nach 20 Jahren aufhören würde. Ich hätte das auch schon früher verkündet, aber dann kam diese Kika-Geschichte. Da konnte ich nicht einfach gehen. Also habe ich noch die Grundbereinigung vorgenommen und bin dann gegangen. Natürlich hätte es einen schöneren Abschied geben können.

Wie fühlt es sich denn an, wenn nun ehemalige Mitarbeiter auf Distanz zu Ihnen gehen?

Der König ist tot, es lebe der König. Die Neuen können ja nicht einfach als Regierungsprogramm verkünden, dass sie das Denkmal des Chefs möglichst gut pflegen werden. Die müssen sagen, dass nun eine neue Zeit komme. Aber was wir hingestellt haben, das steht.

Aber Sie sind doch schon eitel, was Ihr Vermächtnis angeht. In Ihrem Buch steht, dass Sie nach Ihrem schweren Unfall noch den Doktor für den Grabstein machen wollten.

Natürlich bin ich eitel. Sie finden in unserem Gewerbe kaum einen, der das nicht ist.

Der Grabstein hätte einmal fast schon bestellt werden müssen. Sie haben, kurz nachdem feststand, dass Sie querschnittsgelähmt bleiben würden, darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen. Wie konkret waren diese Gedankenspiele?

Die waren absolut ernst. Ich hatte das Gefühl, so nicht leben zu wollen, und hab mir dann überlegt, wie ich das machen kann und hab mir dann ganz legal einen Revolver besorgt. Und ich weiß noch genau, wie ich mir eines Abends im Studentenwohnheim dachte: So, das soll es jetzt sein. Ich hab mir noch ein Bier aufgemacht, einen Brief an meine Eltern geschrieben, den Revolver bereitgelegt, und in dem Moment habe ich gemerkt, dass ich gar nicht tot sein will. Von irgendwo her brach die Vitalität durch: lieber das beschissenste Leben als gar keins.

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