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Lohndumping auf dem ArbeitsmarktDie Krankheit Werkvertrag

Mit polnischen Schlachtern fing es an, mittlerweile setzen auch Ikea und Daimler Billigarbeiter mit Werkverträgen ein. Schluss damit, fordern die Gewerkschaften.

Im Schlachthof schuften für drei Euro die Stunde: Der Werkvertrag macht's möglich. Bild: AP

BERLIN taz | Für Berthold Huber, Chef der Gewerkschaft IG Metall, sind Werkverträge die "neue Krankheit des Arbeitsmarkts". Seit einiger Zeit warnen Gewerkschaften und Betriebsräte davor, dass diese Verträge in Unternehmen immer häufiger eingesetzt würden. Die Folgen seien Lohndumping und eine Erosion der betrieblichen Mitbestimmung, da die Werkvertragsnehmer nicht zum Stammpersonal gehörten.

Nun hat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken dazu Stellung genommen. Klar wird: Sie weiß über das Phänomen bisher herzlich wenig - sieht aber auch keinen Handlungsbedarf.

So heißt es in der Antwort, man erhebe selbst "keine Daten zur Erfassung von Werkverträgen", auch seien der Bundesregierung "verlässliche statistische Daten zu dieser Thematik nicht bekannt". In der Tat können Forschungsinstitute oder die Bundesagentur für Arbeit keine Auskunft geben, fragt man nach der Quantität des Phänomens.

Eine Datenerfassung ist schon deswegen schwierig, weil die Ausgaben für Werkverträge in den Betrieben in der Regel als Sach- und nicht als Personalkosten verbucht werden. Von einer Berichtspflicht für Unternehmen hält die Regierung dennoch nicht viel. Schließlich lägen keine Hinweise auf "eine weit verbreitete, systematisierte missbräuchliche Nutzung von Werkverträgen zur Umgehung von tariflichen oder arbeitsrechtlichen Standards" vor. Daher sei eine "Datenerhebung - auch aufgrund der damit verbundenen hohen Bürokratiekosten - nicht angezeigt".

In der Nacht kommen die Litauer

An dieser Sichtweise kann man jedoch Zweifel hegen. Im März beispielsweise sendete der WDR einen Beitrag über das Ikea-Europalager in Dortmund. Ikea beschäftigte dort zu Tagzeiten fest angestellte Mitarbeiter. Nachts rückten litauische Werkvertragler an, vermittelt von einer litauischen Firma in Wilna.

Der Möbelkonzern zahlte eine Pauschale, sparte sich so die Nachtzuschläge. Die Arbeiter erhielten umgerechnet 6,50 Euro Stundenlohn - ausgezahlt in Wilna; Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge flossen so an den litauischen Staat.

Auch in der Fleischindustrie kennt man das Phänomen: Deutschland hat sich mithilfe des Einsatzes osteuropäischer Werkvertragsnehmer mittlerweile zum Billigschlachthaus Europas entwickelt:

Für 3 oder 4 Euro Stundenlohn beinen Polen oder Rumänen die toten Tiere aus. Das ist so unschlagbar billig, dass Betriebe in Frankreich oder Dänemark in die Insolvenz getrieben wurden - oder Schlachthöfe in Deutschland eröffneten. Denn hierzulande gibt es keinen Mindestlohn in der Branche.

Rechtliche Abgrenzung schwierig

Allerdings ist Werkvertrag nicht gleich Werkvertrag, sagt Johannes Jakob, Arbeitsmarktpolitikexperte des Deutscher Gewerkschaftsbunds (DGB). Ihm geht es um die Fälle, in denen Scheinkonstruktionen vorliegen: wenn Arbeiter nicht eigenständig ihr Gewerk anbieten, sondern Weisungen Dritter unterliegen, deren Arbeitsmaterialien nutzen und ihre Zeit nicht frei einteilen können. "Dann haben wir es häufig eigentlich mit Leiharbeit zu tun", sagt Jakob. Für die müsste jedoch zumindest ein Mindestlohn von 6,89 (Ost) bzw. 7,79 (West) gezahlt werden.

Ein Problem ist, dass Deutschland - anders als die meisten europäischen Länder - keine Kriterien zur Abgrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen festgelegt hat. Das sei dringend nötig, um Missbrauch zu verhindern, sagt Jakob. Da die Abgrenzung zwischen korrektem und missbräuchlichem Werkvertrag so kompliziert ist, steht jedoch auch die Gewerkschaft mit Lösungsvorschlägen erst am Anfang.

Werkversträge in den meisten Betrieben

Das Phänomen tritt aber offensichtlich nicht nur bei Geringqualifizierten auf. Auch die IG Metall klagt darüber, dass im Maschinenbau oder in der Automobilbranche, beispielsweise bei Daimler oder Porsche, immer häufiger Ingenieure selbst in zentralen Bereichen wie der Entwicklung per Werkvertrag angeheuert würden.

Auch eine Umfrage unter den Betriebsräten von 900 Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württembergs Anfang des Jahres zeigt den Trend auf: Die Befragten gaben an, dass in knapp drei Vierteln aller Betriebe Werkverträge eingesetzt würden. In mehr als der Hälfte der Unternehmen werde dadurch Stammpersonal ersetzt.

"Werkverträge dienen dazu, die Löhne zu drücken und tarifvertragliche Regelungen, beispielsweise zu Urlaubszeiten oder Sonderleistungen, zu umgehen. Die Firmen entziehen sich ihrer Personalverantwortung", sagt Kai Bliesener, Sprecher der IG Metall in Baden-Württemberg.

Stammbelegschaft bekommt Werkverträge

Für ihn gehören viele der Beschäftigten eigentlich zur Stammbelegschaft. "Einige arbeiten seit Jahren in ein und demselben Betrieb." Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeitspolitik bei der Linksfraktion, fordert, dass in solchen speziellen Fällen die Werkvertragler die gleichen Löhne und Konditionen wie die Stammbelegschaft erhalten müssten. "Dann ist eine Auslagerung als Lohndumping-Strategie ausgeschlossen."

Daimler-Sprecher Markus Mainka sieht bei dem Autobauer jedoch keinen Trend zu mehr Werkverträgen. Ihre Anzahl bleibe konstant. Genaue Zahlen will er jedoch nicht nennen. "Wir setzten Werkverträge in hoch spezialisierten Bereichen ein, die nicht zu unserer Kernkompetenz gehören, oder auch bei der Reinigung von Gebäuden." Dabei gehe es jedoch nicht um Kosteneinsparungen.

Um die Daten zu systematisieren, fordert die IG Metall als einen ersten Schritt, dass Betriebsräte über die Anzahl der Werkverträge in einem Unternehmen informiert werden müssen.

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9 Kommentare

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  • O
    odranoel-64

    Wenn es mit der Beschäftigung von Billigarbeitern so weiter geht, dann wird wahr, was seinerzeit die Briten mit dem Vermerk "Made in Germany" gemeint haben. Das sollte nämlich auf den Unterschied zu in GB hergestellten Waren hinweisen. Das war aber ein Schuß ins englische Knie, weil ziemlich schnell herauskam, dass die deutschen Waren qualitativ besser waren.

  • F
    Farbenseher

    Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Linke die mit Abstand beste Oppositionsarbeit macht.

     

    Eine absolute Schande und vor allem eine unglaubliche Dummheit, dass das weder von den Medien noch vom Wahlvolk goutiert wird.

  • B
    bb1921

    Solange die Arbeitnehmer hier nicht auch in Massen auf die Strasse gehen, sehe ich nicht, wie sich das Dilemma Werkverträge lösen liesse. Die miserablen Arbeitsbedingungen sind politisch von allen Parteien, außer der Linken, erst durch deren Gesetzgebung möglich geworden. Die Gewerkschaften haben sich von Schröder einlullen lassen, statt sich sofort gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch z.B. die Deregulierung der Leiharbeit zu wehren. Finnische Arbeitnehmer bestreikten jüngst ihre Firma, um ihre polnischen Kollegen, alle Leiharbeitnehmer, vor ungesetzlichem Lohndumping zu schützen. Erfolgreich. Wir haben zusätzlich noch die Generation Praktika, Freiwilligenarbeit, Hartz IV-Ehrenamtler usw. Alles Arbeit voll lau. Das Gefälligkeits-Gesetz zur Einstellung von Fachkräften aus Drittstaaten war in gefühlten 4 Wochen verabschiedet. Ein Gesetz für einen gesetzlichen Mindestlohn kommt nicht. Da in der BRD keine zahlreichen Demos zu diesen Themen stattfinden, sieht die herrschende Politkerkaste keinen Handlungsbedarf. Es wird Zeit, diesen von uns bezahlten Politikern die Haltung, sie seien gewählt und könnten jetzt vier Jahre lang machen, was sie wollen, auszutreiben. Stuttgart 21 hat gezeigt, dass der Bürger dem Durchregieren einen Riegel vorschieben kann.

  • R
    Rosa_Lux

    Ikea (und H&M) sind Beispiele dafür, wie desaströs unmoralisch sich unternehmerisches Handeln entwickelt hat.

    Beide Unternehmen zahlen dank ausgeklügelter Unternehmensstrukturen (in Matroschka-Manier) fast keine Steuern, (be-)nutzen aber Infrastruktur und Kaufkraft in den jeweiligen Ländern und konzentrieren den Konsum in ihrem Segment auf sich, so dass ethischer agierende Unternehmen diesem Wettbewerb nicht standhalten können oder auf die gleichen Strategien verfallen.

    Arbeitsplätze? Ja. Aber überwiegend unsichere Arbeitsverhältnisse - und möglichst Sozialbeitragsfrei.

    Es liegt in unser aller Hand hier deutlich Position zu beziehen- aber sollte die politisch Verantwortlichen dringend zu wirkungsvollen Gegenstrategien veranlassen!

     

    Aus ästhetischer Sicht vorteilig wäre dann vielleicht auch wieder eine größere Varietät in deutschen Wohnzimmern zu beobachten...

  • TT
    Theobald Tiger

    Wieso Bürokratie? Wenn die Betriebsräte erstmal Bescheid wissen, kann man die Daten doch einfach zentral in einem Sklavenwiki sammeln und so den Protest oder Streiks genau da ansetzen, wo es nötig ist.

  • WR
    Weiße Rose

    Es ist schier unfassbar wie hier Arbeitnehmerrechte, Steuer -und Sozialkassen ausgehöhlt werden.

    Wunderbar lässt sich einmal mehr erkennen, wer uns eigentlich regiert. Die großen Kartelle haben fest zugebissen und lassen bestimmt nicht sobald locker.

    Wen oder was haben die auch zu befürchten? Unsere Opposition etwa?

  • SS
    Susi Sorglos

    Wer zu lange pennt rettet nichts mehr.

     

    Die Gewerkschaften haben sich die letzten 20 Jahre mehr um sich selber als um die Mitglieder gekümmert. Jetzt, nachdem es schon lange Sklavenhändler gibt, die zu enormen Gagen aber Spottlöhnen Leiharbeiter vermieten, werden sie wach.

     

    Liebe Gewerkschaften, denkt euch bitte mal ne gute Ausrede aus, die 20 Jahre Betrug an den Mitgliedern glaubwürdig erklärt.

  • Y
    yberg

    in den meisten großen unternehmen,die hier benannt werden sitzen arbeitnehmervertreter hälftig im aufsichtsrat und stimmen fleißig sozialabbau,arbeitsplatzverlagerung und sonstigem sozialstandardabbau seit jahren folgsam zu,damit sollten in der republik arbeitsplätze gerettet werden,wie man nun liest,lediglich die löhne wurden gedumpt.und nun beginnt die gewerkschaft nach dem ausverschenken der arbeitnehmerinteressen und dem davonlaufen der mitglieder rumzuhubern.die personalvorstände sind in den meisten großbetrieben von der gewerkschaft vorgeschlagen worden.im übrigen sollte der huber mal nachzählen welche gewerkschaftsmitglieder und vertreter im parlament hartz 4 zugestimmt haben.die sozialpartnerschaft hat sich schon längst für die gewerkschaft in eine komplizenschaft mit den kapitaleignern verflüchtigt.

    weichgespült und kanzlerinbespaßt wacht huber auf. reichen die mitgliedsbeiträge nicht mehr für sein viertel millionen gehalt und sonstige privilegien.er wird im gegensatz zu arbeitnehmern im alter nicht darben.für seine verdienste kann er sicher sein,dass das eine and andere ar-mandat weiterhin für ihn abfällt.

  • BA
    bitte anonym

    Grosskonzerne tun sich auf Langzeit selber weh,denn wo man Wert auf 'Quantitaet' legt, laesst die 'Qualitaet'(der Produkte) oftmals nach.

    Das sieht man schon an den Wiederhohlten 'Fleisch-recalls', da weniger auf die Qualitaets 'arbeit' geachtet wird welche die Arbeiter vollbringen: da gehts drauf an so viel Tiere zu schlachten und zu verabreiten wie nur in einer Stunde moeglich - ob es unter den Vorgesetzten ' Reinheits' Bestimmungen geschiet, achtet der Quantitaetskonzern kaum mehr

     

    Genauso ist es in anderen Betrieben; zwar wird das Deutsche Auto und die Herstellung immer noch Gross geschrieben und weltweit sehr hoch anerkannt, es kann sich in Kuerze aendern sollten ' Facharbeiter' mit 'Billigarbeitern' ersetzt werden - wenn man dann den Satz hoehrt:" da ist ne Schraube locker' ist es evt. nicht mehr allegorisch gemeint.

     

    Man sieht es doch schon an der Kleidung - jeans sind nicht mehr was sie mal waren( nur als Beispiel)

    Frueher waren Jeans Farbfest- heute bekommt man blaue Beine wenn man die guten Farben nicht von den schlechten unterscheiden kann - Adlerauge sei Wachsam'

     

    Zwar hat man als Ausrede, oder 'quality-work-cover-up', die falschen Groessen als ' Vanity Groessen' bezeichnet, weil falsche Groessenlabels an Kleidung (wohl ausversehen, nach dem motto' ups') zu finden waren, die qualitaet wird immer schlechter.

     

    Labels welche das Produktionsland besagen, stimmen ja schon lange nicht mehr- man weiss das labels ' made in China, Taiwan, India, nicht immer der wahrheit entsprechen, denn sie wurden Im eigenen Land produziert - man will sich die 'shipping'kosten auch sparen UND keine verantwortung tragen sollten verschiedene Kleidungsstuecke Allergien auf der Haut ausloesen, wegens ' billigfarben. ( Sparen wo's nur geht)- und es auf die Firma irgendwo I'm Hiterland in China, schieben, wo nur ein bruchteil produziert wird (das meiste jedoch in sweatshops vonwelchen nur wenige wissen)

    Auf langzeit werden sich die Deutschen firmen damit schaden wenn sie das Amerikanische Bild der Grosskonzerne als Vorbild nehmen, aka : milk the cow but don't feed it -