Laizisten gegen Orthodoxe in Israel: Sabbatkerzen vorm Supermarkt
Ram Vromen ist genervt: Immer mehr orthodoxe Juden dringen in das weltliche Ambiente Tel Avis und anderer Städte vor. Dagegen rührt sich Widerstand.
TEL AVIV taz | Sie stehen mit Sabbatkerzen am Eingang vom Supermarkt oder laden junge Männer dazu ein, den Gebetsriemen anzulegen. Frauen mit langen Röcken und Perücke, Männer im schwarzen Anzug und mit schwarzem Hut. Selten sind sie aufdringlich, immer aber freundlich, auch wenn sie eine Absage bekommen. Eigentlich stören sie niemanden.
Trotzdem organisiert sich in diesen Wochen landesweit eine Gruppe weltlicher Juden, um "die Gefahr der Verschwarzung" ihrer Nachbarschaften zu unterbinden. "Sie sollen wohnen, wo sie wollen", sagt Ram Vromen, Mitgründer des "Forums zum Schutz des weltlichen Charakters/Lebensgefühls in den Nachbarschaften landesweit" über die Frommen. Nur gegen den "organisierten Versuch charedischer Gruppen, das weltliche Ambiente zu verändern", will sich Vromen wehren.
Der Anlageberater mit holländischen Wurzeln sitzt im "Beta-Café" in Ramat Aviv, dem Tel Aviver Stadtviertel, in dem er, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, seit seiner Kindheit lebt. Das Publikum ist überwiegend leger gekleidet, die Küche nicht koscher.
Trotzdem ist Vromen beunruhigt. "Das war früher das Kino Tamus", sagt er und deutet auf ein mittelgroßes Gebäude, direkt neben dem Café. Der heute 43-Jährige verbindet Jugenderinnerungen mit der alten Filmbühne, wo er Bekanntschaft machte mit Bambi, Mogli und Superman. Heute ist anstelle des Kinos eine Jeschiwa, eine Gebetsschule.
Jeden Tag kämen 20 Talmudschüler eigens aus der ultraorthodoxen Kleinstadt Bnei Brak bei Tel Aviv hierher. "Es tut mir weh, wenn so ein zentrales Gebäude in meinem Viertel jetzt orthodox ist", sagt Vromen, dem es auch um die symbolische Bedeutung geht. Schließlich würde er umgekehrt genauso wenig nach Bnei Brak ziehen, um dort ein Theater zu eröffnen.
"Juden zum Glauben"
Die Jeschiwa ist nur eine Einrichtung, mit der sich die Ultraorthodoxen in Ramat Aviv Schritt für Schritt heimisch einrichten. Eine Ulpana (Schule für orthodoxe Mädchen), eine Mikwe, ein religiöser Kindergarten, Talmudschulen sind entstanden. "Die Chabadnikim, Anhänger des Lubawitscher Rabbi Schneerson, sind missionarisch", schimpft Vromen, der selbst Vater von zwei schulpflichtigen Kindern ist.
"Sie verfolgen das klare Ziel, weltliche Juden zum Glauben zu bringen." Dazu stellen sie sich an die Schulen, legen den jungen Männern Gebetsriemen, die Tfilim, an und locken mit kostenlosen Vorbereitungskursen auf die Bar-Mizwa.
"Sie sind geduldig", sagt Ilana Sagiv. "Manchmal dauert das Frommwerden Jahre." Sie weiß, wovon sie spricht. Zwei von vier Kindern der komplett weltlichen Frau sind heute ultraorthodox. Sagiv ist geschmackvoll geschminkt, sie trägt teuren Schmuck und wohnt mit ihrem Mann Motti in einem großzügigen Reihenhaus in der Kleinstadt Raanana.
Die beiden Mittsechziger gehören zum Bildungsbürgertum, zur gehobenen Mittelklasse mit osteuropäischen Wurzeln. "Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, dass meine Kinder eines Tages Charedim sein werden, hätte ich ihn für verrückt erklärt", sagt die Mutter von Noa* und Schauli*.
Unglückliche Beziehung
Noa war kaum 30, als sie auf einer Reise in Indien zum ersten Mal Kontakt mit einer Gemeinde hatte, die zum Lubawitscher Rebben gehört. Die Sonderschullehrerin, die damals gerade mit dem Studium fertig war, hatte eine unglückliche Beziehung hinter sich. "Sie ist oft enttäuscht worden", sagt ihre Mutter. Damals habe Noa angefangen, sich für Religion zu interessieren. Das war vor acht Jahren.
Alle paar Wochen fuhr sie danach die zehn Kilometer nach Ramat Aviv, um einen Rabbiner zu hören. "Einmal hat sie mich mitgenommen", erinnert sich Ilana Sagiv. "Es war surrealistisch." Noa habe jedes Wort mitgeschrieben. "Damals war die Gehirnwäsche schon in vollem Gange."
Auch äußerlich veränderte sich die junge Frau. Zuerst habe sie lange Ärmel getragen, später ihre Jeans durch einen Rock ausgetauscht. Erst drei Jahre später, nach der Verlobung mit einem Mann, den ihr eine Verkupplerin aus der Gemeinde vermittelte, sei alles ganz schnell gegangen. "Sie weigerte sich, bei uns zu essen, und kommunizierte nur noch in Form von Mantras, wie ,Gott sei Dank' und ,Mit Gottes Hilfe'."
Heute wohnt Noa in der ultraorthodoxen Kleinstadt Elad, geht einmal im Monat in die Mikwe, das rituelle Reinigungsbad, trägt eine Perücke und kümmert sich um die drei Kinder. "Bei dieser Hitze eine Perücke zu tragen", schüttelt Ilana Sagiv den Kopf. "Das ist doch verrückt. Dabei hat sie so hübsche Haare." Ihre dreijährige Enkelin habe sich schon beschwert darüber, dass ihre Oma "nicht keusch" angezogen sei, wenn sie eine ärmellose Bluse trägt.
Fromme Menschenfänger
Nur noch selten besucht Noa ihre Eltern, die dann vorher koscher gekochtes Essen einkaufen. Manchmal kommt auch ihr heute 30-jähriger Bruder Schauli mit seiner Familie dazu. Ihn erwischten die frommen Menschenfänger, als er während des letzten Libanonkrieges im Panzer saß und an der Grenze auf seinen Einsatz wartete.
"Damals hatten alle seine Kameraden das kleine Heft mit den Psalmen in der Hand", erinnert sich sein Vater, "auch die Kibbuzniks, die die Frommen immer ausgelacht haben". Motti vermisst die gemeinsamen Abende mit den Kindern, wenn "wir alle zusammen gegessen haben, über Politik geredet oder auch nur vor dem Fernseher gesessen haben".
"30 bis 40 Kinder" aus Ramat Aviv, so schätzt Vromen, "sind auf dem Weg, ,mit einer Antwort zurückzukehren'", der hebräischen Umschreibung dafür, religiös zu werden. Seine eigenen Kinder bekämen regelmäßig schriftliche Nachrichten auf ihren Mobiltelefonen, in denen es dann heißt, "dass der Messias bald kommt".
Seit ein paar Monaten geht die Initiative mit ersten Aktionen, Interviews und einer Internetseite an die Öffentlichkeit und stößt auf riesiges Interesse. Das "Forum" bedient dieselbe latente Unzufriedenheit, die 1999 Tommi Lapids antiklerikale "Schinui" mit 15 Abgeordneten in die Knesset brachte.
Ein Teil der Weltlichen findet sich heute in Avigdor Liebermans nationaler "Israel Beteinu" wieder. Die Sorge vor der "Verschwarzung" ist nicht an Parteiideologien gebunden.
"Vor vier Wochen hatten wir Interessengruppen in 15 Ortschaften, heute sind es schon 27", berichtet Vromen. Die weltlichen Bürgerrechtler arbeiten auf eigene Kosten. Wenn beim Streit um öffentliche Räume, die von den Orthodoxen für ihre eigenen Zwecke genutzt werden sollen, Anwaltskosten anfallen, finanzieren sie das aus eigener Tasche. Jedes öffentliche Gebäude, dass die Ultraorthodoxen erwerben, "ist für uns verloren".
Graswurzelbewegung
In Modeiin protestieren sie gegen eine Synagoge, die anstelle eines Kindergartens errichtet werden soll, in Kfar Jona für die Aufrechterhaltung der "Weltlichkeit" des Dorfes. Mal sind es 5, mal 10, mal 25 Demonstranten. Es ist ein Kampf von ganz unten, eine Graswurzelbewegung. Das landesweite Netz soll durch den Erfahrungsaustausch und durch Kooperation Wege verkürzen.
"In manchen Orten kommen wir schon zu spät." Dazu gehöre Ramat Beith Shemesh, Yavne und einige Viertel in Jerusalem, aus denen die Weltlichen wegziehen und den Frommen das Feld überlassen. Dabei kann das Prinzip "leben und leben lassen" funktionieren, wie das Paradebeispiel Sheinkinstraße, vis-à-vis vom Carmel-Markt, zeigt.
Dort koexistieren händchenhaltende Schwule ganz friedlich mit den frommen Jeschiwastudenten. "Sheinkin funktioniert, weil die Frommen nicht missionieren", erklärt Vromen.
Der engagierte Bürgerrechtler gibt zu, grundsätzlich nicht einverstanden zu sein mit der "undemokratischen Wertvorstellung" der Ultraorthodoxen, für die "blinder Gehorsam selbstständiges Denken ersetzt, wo Rassentrennung (zwischen Aschkenasen und Sepharden) praktiziert wird, wo Frauen einflussreiche Posten verwehrt bleiben und wo sexuell anders Orientierte verdammt werden".
Paradoxerweise gelten in der Auseinandersetzung der beiden Gruppen ausgerechnet die Weltlichen als die "Rassisten", die gegen Pluralismus und Liberalismus eintreten. Was, so fragen die frommen Missionare unschuldig, hätten sie denn nur gegen "ein bisschen Jüdischkeit".
Im Supermarkt von Beth Shemesh weisen die Kerzen verteilenden Frauen und auch der Chabadnik mit den Gebetsriemen missionarische Absichten weit von sich. "Um Gottes Willen", schüttelt die junge Sari Schapira den Kopf. "Ein Licht für den Sabbat", so heißt die Organisation, die sie jeden Freitag zum Kerzenverteilen schickt. "Wir wollen nur, dass es allen gut geht."
* Namen geändert
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