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Kommentar FinanztransaktionssteuerDie Politik entdeckt sich selbst

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Die Fiktion vom total globalen Finanzmarkt verliert an Wert. Ein Indiz dafür ist Sarkozys Finanztransaktionsteuer, die im Sommer kommen soll.

T otal global: Angeblich sind die Finanzmärkte entgrenzt und unkontrollierbar. Vor allem die Bankenlobby bastelt an der Fiktion, dass das Kapital ungehemmt um den Globus kreist. Geld sei "flüchtig wie ein Reh" - wie oft war diese Waid-Metapher zu hören, sobald eine Regierung wagte, über Beschränkungen für den Bankensektor nachzudenken.

Doch die Fiktion vom total globalen Finanzmarkt verliert an Wert. Ein Indiz: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy kündigte an, im Sommer eine Finanztransaktionsteuer einzuführen. Im Alleingang, nur für Frankreich.

Noch handelt es sich zwar nur um Rhetorik, denn Sarkozy befindet sich im Wahlkampf. Außerdem ist nicht ganz klar, welche Variante der Finanztransaktionsteuer er im Visier hat. Trotzdem wird es Folgen haben, dass Sarkozy so ungebremst bereit ist, den Finanzmarkt neu zu definieren. Plötzlich ist dieser nicht mehr global, sondern national - womit wieder das Primat der Politik gilt.

Bild: taz
ULRIKE HERRMANN

ist finanzpolitische Korrespondentin der taz.

Sarkozys Vorstoß ist übrigens keineswegs ungewöhnlich. Auch andere Länder haben begonnen, ihre nationalen Interessen gegen die angeblich unbezwingbaren Finanzmärkte durchzusetzen. Bestes Beispiel ist die Schweiz. Für die Eidgenossen war die Finanzkrise 2008 existenzbedrohend.

Die beiden Großbanken des Landes, die UBS und die Crédit Suisse, standen kurz vor der Pleite - und es war ein Szenario denkbar, in dem die Wirtschaftskraft der Schweiz nicht mehr ausgereicht hätte, die beiden Institute zu retten. Ein solches Grauen wollten die Schweizer nicht noch einmal erleben. Also haben sie angefangen, das vorgeschriebene Eigenkapital für ihre Banken drastisch nach oben zu setzen. Im Alleingang.

Allerdings blieben die Schweizer nicht allein. Die Eigenkapitalquoten steigen in ganz Europa. Ähnlich könnte es bei der Finanztransaktionsteuer kommen. Denn das angeblich Undenkbare ist gedacht: Die Finanzmärkte sind nicht total global.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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5 Kommentare

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  • I
    Illoinen

    Warum frage ich mich gibt es so viele Kritiken, bezogen auf die Finanztransaktionssteuer? Interessen gesteuert? Sparpakte, und Schuldenbremsen wurden doch eingeführt, obwohl Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben. Hat da jemand vorher gefragt ob es richtig oder verkehrt war? Wenn man sich einmal erinnert, dass die Krise vieler Investment Banken, Banken und der Pleite von Lehman Brothers der Auslöser dieser Krise waren. Sollte man eigentlich davon ausgehen, dass man die Ursachen bekämpft und nicht die Symptome. Warum wohl. Wie sagte schon Roosevelt " Von dem organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden. Diese Erkenntnisse liegen bekanntlich schon einige Jahrzehnte zurück. Danach wurden die Finanzmärkte massive reguliert. Und heute?

  • D
    Diaspora

    Empirisch gesehen sind die Finanzmärkte noch nicht globalisiert. Das kann man belegen- denn die Investitionsquote in einem Land wird von der nationalen Sparquote determiniert. Ein anderes Beispiel sind nicht-bankfähige Menschen, die mit Mikrokrediten versorgt werden sollen. Ein weiteres Beispiel sind Häusermärkte, die immer noch einen lokalen/regionalen Bezug haben, solange es sich nicht um Büroflächen und Grundstücke in global cities handelt.

     

    Finanzmärkte sind sicherlich der avancierteste Markt, der je von Menschen institutioalisiert worden ist- weit vor ebay und amazon.

     

    Die Finanztransaktionssteuer ist sinnvoll, wenn man es mit immigrantischen Rücküberweisungen verknüpft. Die Rücküberweisungen sind der grösste Geldstrom in den Trikont. Rücküberweisungen und Finanztransaktionen verhalten sich anti-zyklisch zueinander, weil Immigranten die Zahlungen in der Krise erhöhen, während Investoren Gelder aus dem Trikont abziehen - daher ist es natürlich Finanztransaktionssteuer und Rücküberweisungen zusammen in einen Regelkreis zu organisieren.

     

    In jedem Fall ist die Finanzierung von Armutsbekämpfung durch die Finanztransaktionssteuer im Inland abzulehnen, denn die Ursache von Armut liegt in der Arbeitsmarkt, Industrie und Handelspolitik der Regierungen. Diese Wirtschaftspolitik begünstigt einige Milieus mit wachsenden Wohlstand, daher sollte eine höhere Einkommens- und Körperschaftssteuer gerechtfertigt sein. Die Finanztransaktionen spielen mit ihren Derivaten, Aktion, Währungsoptionshandel nur eine sekundäre Rolle bei der Unterstützung eines dezentralen, globalen Produktionsapparates. Die Steigbügelhalter für diese Zustände ist aber letzten Endes die Wirtschaftspolitik.

  • ML
    Martina Lippmann

    Ich glaube nicht das ein Land, das über Valuta verfügt darüber in Gefahr gerät, vielleicht tätigen sie dann keine Finanztransaktionen mehr, gibst Du mir dein Geld mit dem man wenig kaufen kann, geb ich dir mein mit dem man noch weniger kaufen kann.

    Mit Finanztransaktionen kann man überhaupt nichts anfangen, keine Schatzpapiere, keine Versicherung, keine Beteiligungen, kein Wert?

    Wer ist denn hier arbeitslos und steht im Rampemlicht? Behördenleiter mit einer Superbehörde, die sich alle unter den Nagel reißen wollen, stimmt's?

  • K
    KingNothing

    Wär echt eine gute Sache wenn diese Steuer erst einmal in einem Land wie Frankreich kommt.

    Dann zeigt sich, ob dieses "Wunderbare Mittel zur Entschleunigung der Finanzmärkte" tatsächlich die gewünschten positiven Effekte erzielt. Oder Ob stattdessen die Volatilität auf Grund der geringeren Liquidität eher noch zunimmt und die Märkte einfacher mit geringerem Kapitaleinsatz kriminell beeinflusst werden können.

    Zur Zeit ist es ja schon ein quasi religiöses Dogma, dass diese Steuer sinnvoll ist. Vor allem in Kreisen, die selbst zugeben, die Finanzmärkte kein bisschen zu verstehen.

    Von daher: In einigen Ländern einführen und entweder sie wirkt positiv und wird übernommen oder in wenigen Jahren wieder verschwinden (wobei ich von Variante 2 ausgehe).boot

  • N
    naseweiser

    "...womit wieder das Primat der Politik gilt." ..."Denn das angeblich Undenkbare ist gedacht: Die Finanzmärkte sind nicht total global."

     

    Zu kurz gesprungen , liebe Frau Herrmann ! "Die Politik" spielt nur den Krisen - , wenn nicht den Insolvenzverwalter in der Krise des Kapitalverwertungssystems . Wo sollen die Finanzmärkte mit ihrem Zaster noch hin wollen , wenn sie den schon für lau (minus Inflation ) in US-Staatsanleihen (ua) stecken - ... zur bloßen Sicherung des (noch) vorhandenen Wertes ?!