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Kommentar Baubeginn S21Die geschlagene Schlacht

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Es gibt technische Probleme. Polizisten stehen vor Gericht. Die EU prüft Quersubventionen. Trotzdem beginnt in Stuttgart der S21-Bau. Bitter.

Protestbuttons gibt es viele, Protestgründe auch. Bild: dpa

E ntgegen landläufiger Meinung ist der schwäbische Ingenieur kein sonderlich rationaler Mensch. Zwar exportiert er Maschinen höchster Güte in alle Welt, sein Ursprung liegt aber eher im kindlichen, wagemutigen Tüfteln, eine emotionale Notwendigkeit, gepaart mit Gottvertrauen und Millimetergenauigkeit. Insofern ist Stuttgart 21 ein echt schwäbisches Projekt.

Zum Umbau des Stuttgarter Bahnknotens wird dieser Tage damit begonnen, ein gewaltiges Loch in die Innenstadt zu buddeln, und das, obwohl es an allen Ecken und Enden klemmt. Da, wo das Loch hin soll, verläuft bis heute der Hauptabwasserkanal der Stadt. Die Strecke zum Flughafen ist nicht einmal genehmigt. Es gibt Probleme mit dem Grundwasser.

Wegen des Brandschutzes muss die neue Bahnhofshalle umgeplant werden (Berlinern sollte dieses Problem geläufig sein). Jeder Schofseckel (sprich: Schof-Säggel) kann sich mittlerweile ausrechnen, dass das ganze Projekt deutlich teurer wird als die offiziell heruntergebeteten 5,987 Milliarden Euro. Falls jemand aus der Deutschen Bahn gern ein paar interne Unterlagen dazu an die Öffentlichkeit spielen will: Wir veröffentlichen sie gerne.

Der alte Bahnhof war zudem nachweislich leistungsfähiger als der neue. Polizisten stehen vor Gericht, weil sie Bahnhofsgegner mit Wasserwerfern verletzt haben sollen. Selbst die EU-Kommission prüft, ob das Projekt vom Land Baden-Württemberg unlauter quersubventioniert worden ist. Wichtige andere Zugtrassen werden entgegen der Beteuerung der Bahn nun doch nicht in Angriff genommen, weil das Geld nicht da ist.

Aber, mein Gott, die Pyramiden wären auch nicht gebaut worden, hätten damals die Geizdeifel (Geizteufel) regiert! Nach dem Motto wird das Ding samt Neubaustrecken gebaut, auch wenn die halbe Schwäbische Alb weggesprengt werden muss. Daran lässt sich leider nichts mehr ändern. Die Argumente sind längst ausgetauscht.

Es gab eine Schlichtung, einen Schub für die öffentliche Mitbestimmung, eine Volksabstimmung; selbst die meisten Stuttgarter sprachen sich für das Milliardenprojekt aus. Mitte des nächsten Jahrzehnts ist es dann fertig. Bis dahin wird, ganz schwäbisch: getüftelt.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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13 Kommentare

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  • Um den Bahnhof durchzudrücken wurde auch eine ganze Region belogen. Ohne Bahnhof keine Elektrifizierung von Ulm nach Friedrichshafen. Jetzt ist diese wegen der Kosten abgeblasen. Die vorgestreckten Planungskosten der Anliegerstädte in den Orkus geschoben. Als Ausweg soll nun die Hybridlok kommen. Als ob so eine Lok nicht auch auf elektrifizierten Strecken fahren könnte

  • In der Volksabstimmung haben viele nur deswegen für S21 gestimmt, weil sie den Linken und Grünen reaktionärerweise eins auswischen wollten.

    Wer kann das Ding ernsthafterweise wollen, außer die paar Leute, die daran verdienen?

  • wie diese schlacht schon geschlagen sein soll, muesste mir noch einmal erklaert werden.

    ich dachte, ich waere schon einigermassen informiert, dann stolperte ich beim querlesen ueber oettinger auf diese verflechtungen der CDU und beteiligten baufirmen, dass mir die kinnlade runterfiel. mit einem schlag erklaerte mir dies den enormen eifer, mit dem jahrelang gegen den immer deutlicher werdenden sicherheitstechnischen, logistischen, oekonomischen und oekologischen wahnsinn gekaempft wird:

     

    http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2010-10/stuttgart-goenner-einkaufszentrum

     

    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/moeglicher-interessenkonflikt-mappus-s-21-und-die-spaetzle-connection-seite-all/3559572-all.html

     

    zustaende wie in sueditalien

    • @the real günni:

      Ja, da gibt es noch den Weltmarktführer Tunnelbohrmaschinen Herrenknecht - BaWü und guter Parteispender. Außerdem Arbeitsplätze im Ländle.

      Da werden dann eben Tunnel gebaut, die keiner braucht.

      Um Eisenbahn geht es heir schon mal gar nicht. Schade.

    • @the real günni:

      Süditalien?

       

      Ich dene, für den Bahnhof in Palermo brauchen sie weniger als 1% von dem in Stuttgart.

      • @Helmut van der Buchholz:

        ich meine die exemplarische sueditalienische verfilzung von baufirmen, politikern und mafia, wo krankenhaeuser, bahnhoefe, autobahnen alle unvollendet in der landschaft stehen. brauchen koennte man sie vielleicht, aber um den nutzen ging es augenscheinlich bei diesen staatlich finanzierten objekten eh nie.

  • "die meisten Stuttgarter sprachen sich für das Milliardenprojekt aus"

    Wer über gewissen Dingen nicht den Verstand verliert, hat keinen. (Lessing, so oder so ähnlich)

    Und das - beide oz. Kernsätze - deutet auf Bildungsschwäche hin. Und wie solls auch anders sein, wo Zaster-über-alles-Konzerne statt Frei- und Quergeistern zunehmend den Uni-Betrieb (in Folge den Parteien- und Medienbetrieb, etc.) strohmann- und in die Eigentasche lenken.

  • Mitte des nächsten Jahrzehnts ist es dann fertig? In welchem Jahrhundert denn bitte? Nein! Wer zwischen den Zeilen lesen kann und die lokalen Blätter durchforstet stößt auf erstaunliche Nebensätze. Da ist Bilfinger und Berger gerade aus dem Projekt ausgestiegen (dabei sagte doch Herr Grube, die Verträge wäre unkündbar), in Untertürkheim kommt plötzlich ein Regionalbahnhof hin (wo bisher ein Abstellbahnhof geplant war) und eine Umleitung im Falle eines Totaldesasters, nämlich der Erhalt der Gäubahn darf gerade von Hinterbänklern medial vorbereitet werden. Das wäre ein reiches Feld für investigativen Journalismus.

  • Seit der Volksabstimmung ist klar, dass die vorher genannten Kosten weit überschritten werden - es geht nur noch darum WIE weit und wer zahlt.

    Also ist diese Volksabstimmung hinfällig.

    Außerdem - wer jetzt Baubeginn des Bahnhof feiert - der Brandsschutz ist immer noch nicht geplant und genehmigt.

    Da gibt es ein anderes Milliardengrab, woran uns das erinnert - der unsägliche Flughafen. Und der hat wenigstens keine 60 km Tunnel.

    Vor der Rente brauchen sich die S21-Verdiener keine neuen Jobs suchen.

    Und darum geht es wahrscheinlich.

    • @austenjane:

      im Hausbaugewerbe ist es so...dass man auf einen leistungsvertrag (sprich die summe die ein unternehmen für z.B. ein haus haben will ....mit definierten leistungen) mindestens ein drittel draufschlagen sollte (als bauherr/-frau) da die firmen aufwendige details oder aufwendige arbeiten (die zeitl. schlecht kalkulierbar sind oder der architekt zu dem zeitpunkt im urlaub war und keiner weiß wieś es aussehen soll) gerne aus dem leistungsvertrag ausklammern und auf regiestunden (also stundenlohn) nacharbeiten.....

      dieses drittel ist "normal" bei relativ gutem bauverlauf.....nach art berliner flughafen kann man bei der preisangabe eher davon ausgehen das es sich da um das architektengehalt handelt (man denke an die philarmonie in HH)

    • @austenjane:

      Die Baustelle wird der fortwährende Beweis, dass 'Volksabstimmungen' mehr Stimmungen sind als die Stimme des Volkes.

      • 6G
        677 (Profil gelöscht)
        @friedjoch:

        Hab ich doch schon immer gesagt - Volksabstimmungen sind nur dann demokratisch, wenn das Ergebnis der eigenen Meinung entspricht.

        • @677 (Profil gelöscht):

          Lieber Michael, ich möchte ja mehr Basisdemokratie, aber dann seh ich wieder: nee, wir sind noch nicht soweit.

           

          Ich bin mir zB. sicher, dass in 10 Jahren die Zustimmung für S21 unter 20% liegen wird. Das Ding wurde doch jetzt schon nur deshalb durchgewunken, weil es hieß, jetzt aufhören würde teurer werden, als es zu bauen.

           

          Ich möchte außerdem niemandem zu nahe treten, aber wenn die, die den Irrsinn haben wollten, ihn auch selbst bezahlen würden, dann bitte.