Kolumne Melodien aus Malmö #3: Zlatan ist nicht mehr da
Schwedens größter Fußballer begann seine Karriere auf den Bolzplätzen Malmös. Im Stadtteil Rosengard erwartet man wehmütig seine Rückkehr.
I n beinahe allen Zeitungsartikeln liest man zu den möglichen Sightseeingpunkten von Malmö: Rosengard besser meiden. Ist wie die Bronx im New York der Seventies. No-Go-Area. Ingen svensk! Heißt: Schwedisch wird nur mit den Polizisten gesprochen, falls die sich mal vorbeitrauen.
Ansonsten: Multikulturalität in ihrer ghettoisiertesten Art. Es ist das Quartier, in dem der größte neuzeitliche Sohn der Stadt aufgewachsen ist: Zlatan Ibrahimovic, Fußballer, ach was, Kicker von Gnaden in jedweder Hinsicht. Ein Kotzbrocken seiner Arroganz wegen, ein Rotzer vor dem Herrn, ein furchtloser Mann, der sich von keinem schmallippigen Pädagogen hat je einschüchtern lassen. Rosengard – ist das wirklich die Zone, die man besser meidet?
Aleksandra Edwardsson, Stadtplanungsstudentin aus Lund bei Malmö, eine der vielen Hundert Supporterinnen des ESC in Malmö, sagt auf meine Frage: „Nein, da kann man hinfahren. Okay, das ist nicht der gemütlichste Stadtteil. Viele Hochhäuser, alles sozialer Wohnungsbau der Siebziger, aber man muss keine Angst haben.“
Sie selbst zählt sich auch zu den Nachfahren jener Einwanderer, die zu Hunderttausenden seit Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nach Schweden kamen – manche aus politischen Gründen wie die Boatpeople aus Vietnam, andere aus verständlichen ökonomischen Erwägungen. Edwardssons Mutter ist Polin, ihr Vater Schwede – und beide zusammen haben ihre Tochter stets in diesem Glauben erzogen, erzählt die angehende Spezialistin für Stadtentwicklungsfragen: Sei du selbst und versuche dein Glück – es ist auch dein Land.
Jahrgang 1957, Autor und Redakteur der taz, schreibt über den Eurovision Song Contest seit vielen Jahren. Er hat Bücher zum Thema geschrieben, seit 2005 und auch momentan bloggt er auch unter eurovision.de, der ESC-Plattform des in der Bundesrepublik federführenden Senders NDR/ARD, zum Event. Die politischen Begleit- wie Kehrseiten des ESC sind Thema dieser taz-Kolumne.
Auf nach Rosengard
Der Bus 33, der vom Messezentrum an der ESC-Halle startet, fährt mich nach Rosengard. Um es kurz zu machen: In einem Falafel-Café, mitten in diesem angeblich riskanten Viertel, sagt mir der Mann hinter der Theke, er trauere noch, denn nun sei Zlatan endgültig weg – ganz und gar weg. Wie kann das sein? Wird er nicht immer der Held bleiben, gerade für die jungen Männer von Rosengard? Der Wirt schluckt. Er will seinen Namen nicht nennen, nein, zuviel sei Schlechtes über Rosengard geschrieben worden. Er möchte einfach kein Kronzeuge für irgendetwas sein.
Aber habe ich das denn nicht mitgekriegt mit Zlatans Haus? Man muss wissen, dass der bosnischstämmige Kicker bei einem Rosengard-Verein namens Anadolu anfing, sich schnell zusammenriss und diszipliniert den Weg nach oben schaffte. Man darf ihn heute als Multimillionär im achtstelligen Zahlenbereich vorstellen – ob in Italien, Spanien oder nun in Frankreich.
Doch seine Wurzeln, nicht die bosnischen, sondern jene, die sich einst fest in Malmös Asphalt gruben, die habe er nie vergessen. Ibrahimovic, der Gegenspieler wegen deren mangelhafter Technik gern mal verspottet, der nicht zur Mannschaftskür neigt, sondern zum brillierenden Solo (das er drauf hat, wie ja beim 4:4 gegen Deutschland zu sehen war), dieser Mann hatte sich vor Jahren am Ostseestrand am Limhamn-Vägen in Malmö ein Haus bauen lassen. Es war in Pink gestrichen – und Menschen in der Stadt erzählen sich, es habe schön ausgesehen, wie ein Schloss.
Mit dem Fahrrad also hin zu dieser Adresse. Und man sieht gleich, was das Problem ist: Zlatan und Lebensgefährtin haben ihr prunkiges Haus nicht nur neulich verkauft. Nein, die Maklerfirma hat Zlatans Hütte vom bizarren Rosa farblich befreit und der avangardistischen Bude, wohl um die Verkaufschancen zu erhöhen, ein neutrales Meeresgrau verpassen lassen. Was aber diese Villa hinter Steinmauerzaun nach wie vor verspricht, ist erstens eine vorzügliche Geschmacklosigkeit – eine Herberge, die nicht dem Wohnen dient, sondern der Angeberei.
Realisierte Aufsteigerarchitektur
An prominenter Stelle liegt die Herberge da, nicht einmal irgendwo versteckt, wo Villan sonst gern gebaut werden, etwa in Hamburg am Elbhang, kaum einsehbar für Spaziergänger oder Passanten. Nein, Ibrahimovic hat dieses Monstrum, diesen ästhetischen Alptraum von realisierter Aufsteigerarchitektur, so sehr zum Sehen und Einsehen konstruieren lassen, dass einen die Phantasie gleich verleitet zu denken: Der wollte, dass alle sehen, wie sehr er die Etablierten alle scheißegal findet, weil er mit seinem Geld sie doch alle ausstechen kann.
„Kontant“, also Bares in der Hose zu haben, ohne viel Überweisungsschnickischnucki, ist eben der beste Potenzausweis. Nun ist Zlatan, wie der Falafel-Wirt bedauert, weg. Was bleibt? Die Fußballplätze rund um Rosengard, die von ihm, dem Fußballaufsteigerhelden, bezahlt wurden und noch aufrechterhalten werden. Und die Erinnerungen, dass wenigstens einer von ihnen es ganz bis nach oben geschafft hat.
Dass Zlatan Ibrahimovic’ Karriere über die (Selbst-)Integrationsnöte der gewöhnlichen Rosengarder hinwegtäuscht – geschenkt. Beim Finale des ESC am 18. Mai soll er auf den VIP-Plätzen in der Malmö-Messe-Halle Platz nehmen. Ein Superehrengast. Er wird winken, er wird sein charakterisistisch unschwedisches Gesicht lächelnd zeigen. Kann sein, dass er diese Einladung auch nur annimmt, um mal wieder Verwandte zu besuchen. Das ist jedenfalls das, so der Falafel-Kompositör, das, was alle Welt in Rosengard hofft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos