piwik no script img

Kolumne Knapp überm BoulevardWir brauchen eine „Talking Cure“

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Die Gesellschaft sei fast „libidinös“ darauf fixiert, über Migration zu sprechen, findet unsere Autorin. Für einen Gesprächsmodus hätte sie eine Idee.

Warum sprechen fast alle über sie, die wenigsten aber mit ihnen? Geflüchtete in einem Lager in Niger Foto: dpa

W ie redet man über Migration? Das ist die zurzeit wohl akuteste politische Frage. In den 1980er Jahren ging es darum, nicht im Namen der Unterdrückten zu sprechen. Die Ausgeschlossenen sollten selbst das Wort ergreifen. Heute gibt es eine andere Dringlichkeit. Denn die Rechten haben das Sprechen über Fremde zu ihrem Atout gemacht.

Sollte man dieses verminte Terrain lieber meiden? Aber wenn sich die Emotionen bei der „Ausländerfrage“ ballen, wenn die Leidenschaften genau hier investiert sind, kann man dann sagen: Reden wir über etwas anderes?

Akut wird ein Problem nicht ob seiner realen Größe, sondern ob der Intensität der Gefühle, die es weckt. Dass kein anderes Thema greift, ist ein Hinweis auf die Größe der investierten Emotionen. Ein Hinweis auf die Umcodierung eines realen Problems in ein existenzielles. Es ist diese Aufladung, die eine fast libidinöse Fixierung auf das Thema Migration erzeugt.

Wenn wir also darüber reden müssen, dann braucht es etwas, das man dem um sich greifenden negativen Diskurs entgegenhalten kann. Ein neues Narrativ? Vielleicht braucht es ja etwas ganz anderes – keine neue Erzählung, sondern eine neue Art der Gesprächsführung: Wie redet man über Migration?

Benennt die Probleme!

Der springende Punkt ist der Umgang mit Problemen: Probleme von und mit Migranten. So werfen die Rechten den Linken – oder den Pappkameraden, die sie dafür halten – vor, diese Probleme nicht zu sehen, unter den Teppich kehren zu wollen, zu verschweigen. Ihre Forderung lautet: Gebt zu, dass es Probleme gibt! Benennt diese Probleme!

Mal abgesehen davon, dass nicht einmal das eingefleischteste Klischee eines linksgrünen Gutmenschen meinen würde, eine so massive Veränderung wie die der Pluralisierung würde problemfrei über die Bühne gehen – was heißt es eigentlich, diese Probleme zu benennen?

Heißt es zugeben, dass es Probleme bei der Integration gibt – und dann nach möglichen Lösungen zu suchen? Oder wird es nicht vielmehr ins Gegenteil verkehrt? Soll das Benennen der Probleme nicht genau den Beleg liefern, dass es keine Lösungen gibt? Keine außer der Maximallösung (die zugleich die Maximal­illusion ist), die da lautet: Wenn die alle weg wären, wäre alles gut. Wie kann man Probleme der Integration benennen, wenn jedes „Zugeben“ als Eingeständnis für ein Nichtfunktionieren genommen wird, für die Unmöglichkeit von Zusammenleben, von Integration?

Ja, es gibt Probleme. Migration schafft Probleme. Niemand kann behaupten, dass das eine leichte Aufgabe ist. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung – logistisch, ökonomisch, bildungspolitisch, kulturell, auch sicherheitstechnisch. Aber die emotionale Aufladung verhindert einen nüchternen, pragmatischen Umgang. Reale Probleme mischen sich mit den eigenen Vorbehalten.

Für viele sind Fremde per se bedrohlich

Das ist die erste Hürde der gesuchten Gesprächsführung. Wie kann man das auseinanderhalten? Wie unterscheidet man Kritik am Verhalten der Fremden vom kulturellen Unbehagen an ihrem Hiersein? Heißt das, man muss über Migranten als Opfer und Migranten als Täter sprechen?

Aber da sind wir schon bei der zweiten Hürde. Denn dieser Gegensatz zwischen Opfer, arm, und Täter, bedrohlich, ist für viele gar kein Gegensatz. Für viele sind die Fremden in jedem Fall bedrohlich. Nicht nur als Täter, sondern auch als hilflose Opfer, die versorgt werden müssen. In diese emotionale, reale und imaginierte Gemengelage hinein muss das Gespräch eine Bresche schlagen.

Es ist heute für Politiker und für die Gesellschaft überlebenswichtig, einen Gesprächsmodus zu finden. Die Gesellschaft braucht eine Talking Cure. Eine, die das Reden zulässt und zugleich dagegenhält. Dazu müssen Politiker zu Politiker-Therapeuten werden. Man müsste die besten Köpfe, die versiertesten Experten versammeln: Soziologen, Psychotherapeuten, Theologen, um einen Modus des Sprechens, eine Art der Gesprächsführung zu entwickeln. Es braucht einen richtigen Leitfaden, eine Anleitung: Wie redet man über Migration?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!