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Kolumne Blind mit KindSie sieht was, was ich nie seh'

Kolumne
von Hannah Reuter

Viele bekannte Kinderspiele sind nicht barrierefrei. Unsere Autorin spielt trotzdem mit ihrer Tochter „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

Viele Kinderspiele stellen nicht gerade Chancengleichheit her. Spaß machen können sie trotzdem Foto: Gabby Orcutt/Unsplash

E s gibt diese Spiele, die alle kennen, die alle mit ihren Eltern gespielt haben – und jetzt vielleicht mit ihren Kindern spielen. Wir spielen sie auch mit unserer Tochter, aber nicht selten mit eindeutigem Handicap und erfrischendem Lacher auf unserer Seite.

„Ich sehe was, was du nicht siehst – und das ist rot!“, verkündet unsere Tochter. „Das stimmt zweifelsohne“, sage ich, während der Mann auf dem Sitz gegenüber sich lautstark räuspert. „Dein Kleid?“, rät mein Mann unbeirrt. Der Arme ist eindeutig im Nachteil, weil er die Farben unserer Kleidungsstücke nicht so aus dem FF kennt wie ich. Aber auch für mich ist es nicht ganz ohne, zu überlegen, was a) eigentlich überhaupt so um uns herum sein könnte und b) dann auch noch die richtige Farbe zu wissen. In der fremden Umgebung einer Ferienwohnung, draußen auf der Straße oder hier im überfüllten U-Bahn-Waggon haben wir quasi schon verloren. Unsere Tochter stört herzlich wenig, dass ein Teil der guten alten Kinderspiele einfach nicht barrierefrei ist. Hauptsache spielen!

Das sehe ich nach anfänglicher Überwindung auch so und verstecke mich auf dem Weg zur Kita tapfer hinter jedem Baum, der mir vor den Stock gerät, während sie unbeholfen, aber gut hörbar zählt. Die eigene Tochter wiederzufinden ist eine noch größere Herausforderung. Glücklicherweise kichern kleine Kinder immer sofort los, wenn man sich in ihre Richtung bewegt – sonst bräuchte sie nämlich nur still vor mir zu stehen und ich würde sie nicht finden (für diesen Fall habe ich meinen Hund, der dem Spiel ohnehin so verständnislos gegenübersteht, dass er immer alle zuerst aufstöbert und damit jedes Versteck an die Gegenseite verrät).

Vorsicht, Umrenngefahr

Auch beim Fangenspielen kommt mir zugute, dass es nicht ohne Quietschen, Schreien oder Lachen geht. Also immer der Geräuschquelle nach – aber unbedingt die „Umrenngefahr“ einkalkulieren, die eigene Orientierung nicht verlieren und den Stock nicht irgendwo in die Gegend rammen.

Am Anfang hatte ich überlegt, ob ich das alles sein lasse. Ob ich ihr erkläre, dass Papa und ich diese Spiele nicht gut spielen können und wir andere auswählen sollten. Aber (ihr) Spaß muss einfach sein! Ich selbst habe dabei sehr viel gelernt – über die Muster auf unseren Frühstücksbechern und die Stromkästen in unserem Viertel. Und: Ich habe dabei eine Menge netter, verwunderter Leute kennen gelernt. Dann sieht sie halt was, was ich nicht sehe!

PS: Beim Topfschlagen, einem der wenigen Kinderspiele, die die Chancengleichheit von sich aus wieder herstellen, hat unsere Tochter den Topf lieber im Gehen gesucht, mit dem Kochlöffel vor sich über den Boden pendelnd. Ihre unter der Augenbinde „erblindeten“ Freunde hat sie selbst zum Topf geführt. Sie kennt sich eben aus mit Blindheit!

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