Jean Paul Gaultier-Schau in München: Ein Hauch von angezogen
Korsetts sind sein Markenzeichen: Die Kunsthalle München feiert den Designer Jean Paul Gaultier mit einer großen Werkschau.
Jean Paul war ein Einzelgänger. Zu Hause, im Frankreich der Fünfzigerjahre, verkleidete er am liebsten seinen Teddy Nana. Auch einen sehr spitzen Papier-BH bastelte er für Nana.
In der Schule war Jean Paul ein Schwächling. „Wenn beim Fußball die Mannschaften gewählt wurden, blieb ich immer als Letzter übrig“, erzählte Jean Paul Gaultier kürzlich dem SZ-Magazin. „Bei der Mannschaft, die mich nehmen musste, ging ein Stöhnen durch die Reihen: nicht diese Sissy!“
Genau dieser Sissy ist nun eine Werkschau in München gewidmet. In sieben Sälen präsentiert die Kunsthalle in der Theatinerstraße hundertdreißig von Gaultiers Kreationen. Für jene, die in Haute Couture und Prêt-à-porter die Kunst, den Stil, das Zeichenhafte der jeweiligen Epoche zu erkennen vermögen, ist die Schau eine große Freude.
Ein Schwelgen in Schönheit, in handwerklicher Vollendung, in jener Körperkunst, die Mode und Popkultur erst seit wenigen Jahrzehnten verbindet. Kaum ein Couturier hat das mit so viel pathosfreiem Witz hingekriegt wie Jean Paul Gaultier, der Junge mit dem Teddy.
Gleich im ersten Ausstellungsraum erwartet er seine Besucher als lebensgroße sprechende Puppe: der markante Bürstenschnitt, die Koteletten, das blau-weiß gestreifte Matrosenshirt, um die Hüften einen bodenlangen dunklen Rock. Ein ironisch blickender Mann im Spotlight, ein freundlicher Talking Head, der in den dämmrigen Raum mit schwerem französischem Akzent nuschelt: „Ello, my name is Jean Paul Gaultier.“ Hello, Jean Paul, denkt man, und wie verdammt lange man ihn mittlerweile schon kennt.
Schluck Essig trinken
Dreiundsechzig Jahre alt ist er, seit vierzig Jahren im Geschäft. Und das auch nur, wenn man die Jahre im Schönheitssalon seiner Großmutter abzieht, wo die Frauen – den kleinen Jean Paul geflissentlich ignorierend – Damengespräche führten und sich unter anderem ausgiebig über das korrekte Anlegen eines Korsetts austauschten (einen Schluck Essig trinken, damit sich der Magen zusammenzieht – dann beherzt ziehen).
Das Korsett sollte später Gaultiers Markenzeichen werden. Als er 1990 Madonna in eine solche satinglänzende gesteppte Rüstung steckte, standen die Frauenrechtlerinnen Kopf. Unterwerfung!, stöhnten sie – nicht verstehend, dass in ebendiesem freiwilligen Einschnüren eine neue sexuelle, mithin körperpolitische Selbstbestimmtheit Platz griff.
Madonnas Korsett – und viele, viele weitere – kann man in München bestaunen. Aus Perlen, aus Stroh oder aus Kristallen, aus Leder oder Federn – es sind unfassbar gut gearbeitete Ikonen einer modernen selbstbestimmten Körperlichkeit.
„Jean Paul Gaultier. From the sidewalk to the catwalk“. Kunsthalle München, bis 14. Februar 2016. Katalog: Thierry-Maxime Loriot (Hg.), Knesebeck Verlag, 288 Seiten, 35 Euro
Graziles Brathähnchen
Über die Stilgöttin Madonna sagte Gaultier mehrfach, sie sei sein „Lieblingsmacho“. Ihr schimmerndes Korsett von der 1990er „Blond Ambition“-Tour ist in München zu besichtigen: so Nude vor Schwarz, erinnert es ein wenig an ein trotz allem graziles Brathähnchen.
Gaultiers weltweiter Feldzug der körperlichen Befreiung hatte in den Siebzigern begonnen. Damals verspottete er die gediegene Präsentation – nie das Handwerkliche! – der französischen Haute Couture. „Als wir Alte und Dicke über den Laufsteg schickten, gingen Schockwellen durch den Raum“, erinnert Gaultier sich im SZ-Magazin an seine erste Couture-Schau. Androgynität, Wesenhaftigkeit, Uneindeutigkeit, Behinderung, Körperfülle – was heute als wohlfeile Pose in popkulturellen Vermarktungsstrategien gilt, war schon damals der genauen Beobachtungsgabe, dem überwachen Sensorium dieses offen schwul und subkulturell lebenden Franzosen entsprungen.
Ob die Londoner Punk-Quilts oder grönländische Innuit-Gewänder, ob schlangenumwundene Jungfrauen oder amputierte Clochards: Auf den Straßen und in den Bars der Städte, in der Filmkunst und in der Musik – überall entdeckte Gaultier Stilkommentare auf das Wesen eines sich immer weiter ausdifferenzierenden Kapitalismus. In seinen Entwürfen bündelte er sie. „Guter Geschmack und reine Eleganz interessieren mich nicht“, so sein Kommentar.
Massenkompatibilität des Unperfekten
Eine eher deprimierende Folge von Gaultiers Treiben ist die bis heute immer weiter zunehmende Massenkompatibilität des Unperfekten, also von Trash als Zeitgeistprodukt. Industriell zerrissene Strumpfhosen, mit der Nagelschere geschnittene Punk-Iros, vergoldete Sicherheitsnadeln – wie weit all dies im Alltag verbreitet ist, erschließt sich im Themenraum „Punk cancan“.
In von kundiger Hand zerrissenen Gewändern mit dekorativ gehämmerten Strassnieten stehen dort die Punk-Puppen in Reih und Glied. Überdimensionierte Irokesen recken sich zur Decke, nicht einmal die Punkfrau im Rollstuhl kann mehr das nun Gefällige einer ursprünglich doch archaischen Popkultur übertünchen.
Vor einem Jahr, mit Anfang sechzig, hat Jean Paul Gaultier sich ausschließlich der Haute Couture zugewandt. Freimütig räumt er ein, dass es ihm damit einzig ums große Geld geht. In einem Markt, auf dem eine Robe durchschnittlich 45.000 Euro kostet, will die Marke JPG gepflegt werden.
Gaultier macht das gern. „Ich bin ein kindischer Erwachsener“, sagt er im Interview. Und dass es diese Seite seiner Persönlichkeit sei, die „mich davor bewahrt, bitter und gemein zu werden oder einen Kult um meine Person zu zelebrieren“. Den Beweis für diese Bescheidenheit bleibt er in München schuldig. Aber das ist ja das Tolle.
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