Im Ruhrpott: Eine Wallfahrt für Fußballfans
Nirgendwo sonst finden sich so geballt Orte und Denkmäler zur Fußballhistorie wie im Ruhrpott.
Die Castroper Straße in Bochum wirkt unscheinbar wie eine Straße, die es tausendfach im Ruhrgebiet gibt: Straßenbahnlinien in der Mitte, zweispuriger Verkehr, Imbisse, ein paar Eckkneipen, Jugendliche an Tankstellen. Nichts scheint hier außergewöhnlich. Bis, ja bis das Ruhrstadion irgendwann zur Linken auftaucht.
Ein schmuckes Kästchen, das heute den Namen eines Sponsors trägt. Der VfL Bochum trägt hier seine Heimspiele aus. Steht man an einem Herbstsonntag bei einem mittelmäßigen Zweitligaspiel in der Ostkurve, lernt man viel über das Ruhrgebiet im Allgemeinen, über den Fußball im Besonderen. Grönemeyers Hymne schallt aus den Stadionlautsprechern. Dort, wo die Sonne verstaubt, wird immer irgendwo gekickt.
Auf der Schalke Meile
Buchtipp: Zusätzliche Tipps bietet "111 Fußballorte im Ruhrgebiet, die man gesehen haben muss". Mit dem Guide kann man von Ort zu Ort pilgern. Jeder Fußballstätte ist eine Doppelseite gewidmet, die Texte informieren über das Wesentliche. Hier finden sich beispielsweise die Fahrt über die A 40, wo die Brücken mit Fußballtexten beschriftet sind, oder ein Besuch im Bochumer Landgericht, in dem der Wettskandal um Ante Sapina verhandelt wurde.
Kees Jaratz, Frank Baade: "111 Fußballorte im Ruhrgebiet, die man gesehen haben muss". Emons Verlag, 2012, 240 Seiten, 14,95 Eur.
Bochum ist ein Beispiel – viele weitere finden sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Als Fußballfan sollte man mindestens einmal in seinem Leben eine Reise durch das Ruhrgebiet unternommen haben – am besten nimmt man das Rheinland und den Niederrhein gleich mit. Mit dem Regionalexpress, der S-Bahn oder, besser, mit dem Rad kommt dies einer Wallfahrt für Freunde des ledernen Runds gleich. Nirgendwo in Deutschland finden sich geballt so viele Denkmäler zum Thema Fußball.
Dabei sind es mitnichten nur die Sportstätten, die hier 120 Jahre Fußballgeschichte erzählen. Auch die Galerien, Theater, Bibliotheken, gar die Autobahnen und Landgerichte der Region kann man aufsuchen, will man sich der lokalen Fußballhistorie annähern.
„Für den Fußball ist das Ruhrgebiet eine sehr besondere Region“, sagt Christoph Biermann, „mehr Stadien und Klubs findet man in Europa so geballt nur in London.“ Biermann, heute Chefredakteur des 11 Freunde-Magazins, ist in Herne aufgewachsen und Kenner der Fußballszene zwischen Oberhausen und Unna. „Es gibt etwa Orte wie die Schalker Meile, wo die Fanprojekte und die Kneipen der Anhänger sich ballen“, sagt Biermann.
Die größte offizielle Route, die durch das Ruhrgebiet führt, ist die „Deutsche Fußballroute NRW“ (www.dfr-nrw.de) . Die ganze Strecke führt von Aachen bis nach Bielefeld, besser: von der Alemannia zur Arminia. Hier kann man sich eine Fahrrad- oder Autoroute aussuchen, man kann sich – je nach Lieblingsverein – seine eigene Route zurechtlegen.
Groundhopping
Um die großen und kleineren Stadien – das Westfalenstadion, die Arena AufSchalke (beide heute ebenfalls nach einem Sponsor benannt), das alte Herner Stadion oder die Stadien an der Essener Hafenstraße und zahlreiche weitere – kommt man aber kaum herum. „Sich etwa die Stadien in Essen jetzt anzuschauen ist interessant“, sagt Biermann, „noch steht da die Tribüne des alten Georg-Melches-Stadions, und im neuen Stadion nebenan wird schon gespielt.“ Ein Denkmal wird die alte Haupttribüne des Georg-Melches-Stadions indes nicht: Die Stadt Essen hat sich trotz der Proteste vieler Fans gegen deren Erhalt entschieden. Das Helmut Rahn-Denkmal (nun in der Nähe des neuen Stadions) gibt es noch – „Der Boss“ trat hier in Essen gegen den Ball.
Das „Groundhopping“, das Besuchen möglichst vieler Fußballspiele in den unterschiedlichsten Stadien in kürzester Zeit, bietet sich in diesen Regionen natürlich auch an. Eben noch am Borussiapark in Mönchengladbach, ist man fix am alten Müngersdorfer Stadion in Köln. Und nebenbei kann man in die Historie eintauchen: „Der Platz des VfL Köln 99 an der Rennbahnstraße in Köln-Weidenpesch ist auch ein besonderer“, sagt Christoph Biermann, „da steht die älteste noch erhaltene Fußballtribüne in Deutschland.“ 1905 und 1910 fanden direkt nebenan die Endspiele um die deutsche Fußballmeisterschaft statt.
Ab Ende 2014 wird es eine zentrale Anlaufstelle für die Fußballbegeisterten geben: Derzeit entsteht gegenüber dem Dortmunder Hauptbahnhof das DFB-Fußballmuseum. Hier soll die Kulturgeschichte des Fußballsports in Deutschland in einem interaktiven Museumsbesuch vermittelt werden. Baubeginn war in diesem Jahr. Das Gebäude wurde von den Düsseldorfer Architekten Hentrich-Petschnigg & Partner entworfen, die sich etwa schon für das EXPO Village in Schanghai oder die Kölner Rheinhallen verantwortlich zeichneten. Das Museum ist das derzeit wichtigste kulturelle Projekt des DFB. Mit dem Standort Ruhrgebiet wird die historische Bedeutung der Region für den Sport hervorgehoben.
Wo Frauen zuerst kickten
Den ersten Verein gab es im Ruhrgebiet übrigens in Witten. Im dortigen Monopol-Gebäude, einem Gründerzeithaus, soll 1891 von Realschülern der Wittener Fußball Club gegründet worden sein. Damit war der Ruhrgebietsklub nach dem Hamburger SV der zweite Fußballverein in Deutschland. Damals eine Sache des progressiven Bürgertums, das aktiv und passiv dem Rasensport frönte.
Geschichtsträchtige Orte der Frauenfußballgeschichte finden sich ebenfalls im Pott. Und auch hier lohnt ein Ausflug nach Hamborn: Auf der Sportanlage von Hertha Hamborn wurde der damals nicht geduldete Frauenfußball am 31. Juli 1955 gewaltsam gestoppt: Ein Spiel zwischen DFC Duisburg-Hamborn und Gruga Essen brach die Polizei ab. Während der DFB den Frauenfußball zu dieser Zeit weiter ächtete, organisierte sich ein Frauenteam aus Westdeutschland zum ersten Frauenfußball-Länderspiel überhaupt. Am 23. 9. 1956 spielen sie in Essen vor 18.000 Zuschauern gegen „Westholland“. In diesem Stadion Matthias Stinnes in Essen-Karnap wird heute nur noch niederklassiger Männerfußball gespielt.
Während der Reise wird klar, dass in dieser Region der Fußball eindeutig mit der Muttermilch aufgesogen wird. Fragt man etwa ein Kind in Gelsenkirchen, wie alt es ist, antwortet es schon mal „Null Vier.“ An der Castroper Straße in Bochum, da hat man ganz andere Sorgen. Da regt man sich über den schlechten Fußball auf, der zurzeit gespielt wird. Aber ins Stadion geht man dann trotzdem.
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