Halbe Ehrung für die "Bild": Eklat beim Henri-Nannen-Preis
Die „Bild“-Zeitung wird für ihre Berichterstattung über die Wulff-Affäre mit renommiertem Journalistenpreis ausgezeichnet. Die "Süddeutsche Zeitung" lehnt daraufhin eine Ehrung ab.
HAMBURG taz | Er hätte etwas Ruhe nötig gehabt, der Henri-Nannen-Preis. Im letzten Jahr musste der Spiegel-Redakteur Réne Pfister seinen Preis zurückgeben. Er hatte für eine Reportage über Horst Seehofer unsauber recherchiert, die Jury entzog ihm den „Henri“ einige Tage nach der Verleihung wieder. Doch auch ein Jahr später endete die Verleihung des renommierten Journalistenpreises erneut mit einem Eklat.
Es kam ganz anders. Der Verleihung 2012 am Freitagabend im Hamburger Schauspielhaus wurde noch turbulenter als die im vergangenen Jahr. Es scheint fast, als ob sich die vom Verlag Gruner + Jahr sowie dem Stern vergebene Ehrung zu einem verlässlichen Skandalgarant entwickelt. Und wer ist dieses Mal Schuld?
Mit etwas Ironie könnte man sagen: Christian Wulff - es wäre nicht die erste Institution, die er beschädigt. Oder die Bild, die in der Kategorie Investigation nominiert war, für ihre Berichterstattung über die Fehltritte des ehemaligen Bundespräsidenten. Oder aber die Juroren, die sich einen Tag vor der Verleihung entschieden, das Boulevardblatt aus dem Springer-Verlag auszuzeichnen – wenn auch unter großem Dissens in der Jury, der auch Ines Pohl angehört, die Chefredakteurin der taz. Auch ein Vertreter des Axel-Springer-Verlags saß in der 15-köpfigen Hauptjury: Jan-Eric Peters, Chefredakteur der Welt-Gruppe. Zudem unter anderem die Chefredakteure von Spiegel, Zeit und Stern.
Mehrmals wurde abgestimmt, zuletzt offenbar geheim, mehrmals ergab sich ein Patt. Bis sich die Jury auf einen Kompromiss einigte. Die Bild sollte prämiert werden, aber nicht alleine. Auch die SZ-Redakteure Hans Leyendecker, Klaus Ott und Nicolas Richter sollten in der Kategorie „Investigation“ einen Preis erhalten, sie hatten ein kriminelles Geflecht rund um die Formel 1 enttarnt. „Ein Fall von großartiger Reporter-Leistung“, so die Jury. Zwei Preisträger in einer Kategorie, eine Ausnahme. Die Bild-Befürworter hatten sich in der Jury durchgesetzt. Vorerst.
Seit Wochen hatte die Branche die Nominierung der Bild diskutiert. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung (Bild und Wulff - Ziemlich beste Partner), erschienen am vergangenen Montag, hatte nachgezeichnet, warum das Boulevardblatt nicht preiswürdig sei. Bild und Wulff hätten seit Jahren eine Geschäftsbeziehung unterhalten, die von Bild zuletzt einseitig aufgekündigt worden sei. Viel Investigation, also das ermitteln gegen Widerstände, sei da nicht gewesen. Die Bild ignorierte die Studie und verweigerte einen Kommentar. Gabor Steingart, Chef des Handelsblatts, trommelte für das Boulevardblatt in einem Newsletter.
So war es am Freitag auch das Handelsblatt, das als erstes Medium sein Wissen aus der Jury verbreitete - schon vor der Verleihung. Woher wusste die Zeitung von der streng geheimen Entscheidung der Jury? Wollten sich die Bild-Freunde unter den Juroren bei Steingart bedanken und stachen ihm die Info durch?
Als am Freitagabend Antonia Rados, Reporterin bei RTL, auf die Bühne kam, wurde sie von Moderatorin Judith Rakers als Frau angekündigt, die Ahnung habe von heiklen Situationen. Rados interviewte im vergangenen Jahr Gaddafi. Über keine Kategorie sei so viel diskutiert worden, wie über die „Investigation“, in der die Bild-Redakteure Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch nominiert waren, leitete Juror Helmut Markwort ein, Herausgeber des Focus. Dabei habe man im Fall der Bild-Nominierung weniger über die Tiefen und Untiefen des Boulevardjournalismus diskutiert, als über die eingereichten Arbeiten selbst. Die hätten, laut Jury-Begründung, letztendlich zum Rücktritt des Bundespräsidenten geführt. Ein Fall von „größtmöglicher Fallhöhe“.
Als aber die Bild-Redakteure Nikolaus Harbusch und Martin Heidemanns zur Auszeichnung auf die Bühne gerufen wurden, da mischte sich Applaus mit Buhrufen. Die Geehrten hielten sich knapp. Ob er denn Genugtuung empfinde über den Rücktritt des Bundespräsidenten, fragte Moderatorin Rakers. Harbusch verneinte. Genugtuung spiele da überhaupt keine Rolle.
Dann folgte der Auftritt eines Mannes, den nach diesem Abend wohl einige bewundern, über den sich aber wohl auch einige ärgern werden – vor allem im Axel-Springer-Haus in Berlin: Hans Leyendecker, renommierter Investigativredakteur der Süddeutschen Zeitung, sagte, dass er und seine Kollegen nicht zusammen mit der Bild ausgezeichnet werden wollen. Dafür gab's Applaus und einige überraschte Gesichter.
Ob der Preis nun beschädigt sei, fragte Judith Rakers daraufhin den Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule, Andreas Wolfers, der zusammen mit Ines Pohl auf die Bühne gekommen war, um die Ablehnung zu kommentieren. Nein, sagte Wolfers. Man habe nun die Gelegenheit wieder intensiv über das Handwerk zu diskutieren.
Und ähnlich wie im Fall Pfister im vergangenen Jahr wird wohl auch diesmal über die journalistische Qualität eines Beitrags gestritten werden, den eine prominent besetzte Jury zuvor als preiswürdig erachtet hatte – mehrheitlich. Die Bild wird sich über diese Diskussion am wenigsten freuen können. Und wohl auch nicht so richtig über ihren „Henri“. Durch den Rückzug Leyendeckers, der in der Branche von vielen respektiert bis bewundert wird, ist der Preis eher Bürde als Belohnung.
In der Kategorie „besonderer Einsatz für die Freiheit der Presse“ gewann übrigens der Journalist Nick Davies. Er hatte intensiv über die illegalen Methoden einer Boulevardzeitung recherchiert, der britischen News of the World.
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